Ein bisschen lieblos und wenig inspirierend: Mit dem Magazin Neustart versucht t3n, dem Relaunch von WIRED zuvor zu kommen. Doch der Prozessor will nicht booten. // von Marcus Jänecke
Der t3n-Verlag yeebase versucht sich in einem Magazin für den Netzneugierigen von Nebenan und stellt sich der Mission, den Deutschen einen neuen Web-Optimismus ein zu impfen. Ein Schnäppchenpreis von 3,90 Euro, knapp 120 Seiten Umfang und Gute-Laune-Rapper McFitti auf dem Cover machen erst einmal ordentlich Kauflust. Aber statt luftig lockerer Sprache und zukunftsweisenden Themen bietet Neustart eher durchwachsene Qualität. Mehr Business, mehr Überraschung und ein poppigerer Sound würden dem Projekt sehr gut tun. Autor Marcus Jänecke wünscht sich einen Reboot inklusive Neukonfiguration.
Warum ist das wichtig? Ein Magazin, dass die Nische zwischen t3n und Business Punk ausfüllen könnte, dass „Netzstarter“ wie Versierte zum Schmökern einlädt und unterhaltsam und erhellend ist, fehlt dem schrumpfenden Zeitungsmarkt und könnte Netzthemen auch breiten Kreisen schmackhaft machen. Konkurrent WIRED vom Verlag Condé Nast hat sich nach nur fünf deutschen Ausgaben in eine einjährige Neukonzeptionsphase zurückgezogen. Neustart gelingt es im Pilotheft trotz erfahrener Zeitschriftenmacher nicht, das Segment für sich zu besetzen.
Debatten anstoßen? Fehlanzeige! Trotz ambitioniertem Name hängt Neustart den Trends hinterher und glänzt mit Nullaussagen: „Cat-Content im Netz geht immer!“ Scheitern an der eigenen Mission: Die gute Hälfte des Magazins überzeugt mit einer inspirierend-kritischen Sicht, die andere Hälfte verharrt in naiv-optimistischer Langeweile. Konzept ohne Zielgruppe: Technische Spezialistenthemen stehen seichten Listicles für kauflustige Einsteiger unvereinbar gegenüber.
Zu viele Themen sind nicht überzeugend
Insbesondere im ersten und zweiten Teil des Heftes („User“ und „Login“ genannt) kommen die Themen von Neustart nicht so richtig aus der Deckung. Hier, wo die meisten Magazine ihre brisantesten Thesen und frischesten Formate platzieren, quält man sich beim Lesen eher. Ausgerechnet die Titelstory, die offensichtlich nur dem Käuferfang dient, ist kein Glanzstück der yeebase-Redaktion: das Bild über McFitti bleibt unpersönlich, da der „Tech-Nick“-Rapper nicht die Zeit fand, um mit dem Magazin persönlich zu reden. Das gibt der Autor sogar transparent und mit einem eher ungeschickten Augenzwinkern zu. Es bleibt die Frage: Wieso macht man so einen handwerklich mittelmäßigen Text dann zum Titel?!
Zudem gelingt es selten, mit den gesetzten Themen Aufbruchsstimmung zu verbreiten. Das Bild der Maker-Szene bleibt das der ziellosen Techie-Bastler und wie Gamer die Gesellschaft verändern, wird ebenso wenig klar. Auch die bewusst naive Sicht auf zehn apokalyptische Digitalisierungsdystopien hinterlässt nichts beim technisch interessierten Leser außer Verwunderung: der Durchschnitts-Computerspieler wird da schnell mal zum gesundheitsgefährdeten Realitätsflüchtling degradiert. Und auch wenn wir als Leser uns manchmal gerne in das Leben Anderer schleichen: ein Listicle über den Inhalt von Jan Christes Handtasche ist einfach nicht interessant.
Die Potential zeigt sich dort, wo Neustart die t3n überwindet
Seine wirklich starken Momente hat das Magazin Neustart dann, wenn es seine t3n-Wurzeln hinter sich lässt. Insbesondere die Bestandsaufnahme der deutschen Webfirmen-Situation „Der gedrosselte Adler“ ist ein hervorragender Artikel. Man bekommt eine ungeheure Lust, den Adler von seinen Fesseln zu befreien und sich gemeinsam mit ihm in die Höhen des Start Up-Olymps empor zu schwingen. Auch das Porträt von Nick D’Aloisio gibt einen faszinierenden Einblick über einen der spannendsten Youngster des Web-Businesses. Hier geht es um Wirtschaftsthemen, hier kommt bei aller Kritik aber auch Aufbruchstimmung auf, hier spürt man die Freude der Redakteure an den Netzthemen. Auch andere Texte aus den Bereichen „Error“ und „Upgrade“ sind kurzweilig und laden zum Nachdenken ein. Florian Blaschkes Kolumne zu seinem endgültigen Facebook-Logout kommt frisch daher und wirkt, als würde sich der Autor von einer lieb gewonnenen Marotte trennen. Der Text zum „Angriff der Codekrieger“ strotzt nur so vor sicherheitspolitischen Abkürzungen (NSA, ISIS, USCYBERCOM, NCAZ, GIZ und CNO) und vermittelt einem den Eindruck, als unbewaffneter Teilnehmer in einem chaotisch tobenden Jeder-gegen-Jeden-Krieg zu stecken. Klar, das ist populistisch, kann aber eine prima Motivation für den eigenen Aufbruch sein – indem man sich noch einmal intensiv über die persönliche Datensicherheit Gedanken macht.
Noch ein wenig unvereinbar: Anspruch und Wirklichkeit
In einem Interview für newsroom.de erklärt Jan Christe, Chefredakteur des neuen yeebase-Zöglings, dass Neustart den Schwerpunkt auf einen gesellschaftlichen Blickwinkel des Netzes legt. Beim Lesen wird aber noch nicht klar, aus welcher Sichthöhe die Redakteurs- und Leser-Augen auf diese Themenkomplexe schauen sollen. Manchmal bekommt man den Eindruck, wenn die t3n die GEO wäre, wäre Neustart die GEOLINO. Und im nächsten Moment geht es um die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Mesh-Netzwerke – einem ausgesprochen nerdigen Thema. Auch Christes Aussage, nicht auf tagesaktuelle Themen zu setzen, hinterlässt einen abgestandenen Beigeschmack: nicht selten bekommt man den Eindruck, Neustart würde den Themen eher hinterherlaufen, als sie bei einer vierteljährlichen Erscheinungsweise bewusst setzen zu wollen. Der Wunsch zu inspirieren gelingt dem Magazin dann auch nur in wenigen Momenten: zu trocken ist die Sprache, zu Techie-lastig die Themenauswahl, zu unausgegoren das Konzept. Auch darf die Frage erlaubt sein, ob ein Magazin, das für Aufbruch sorgen will, drei Listicles mit Produktempfehlungen braucht.
Fazit: Neu konfigurieren und dann Reboot
Neustart hat einiges an guter Hardware in sich, kriegt sie aber über die Software nicht in ein leistungsstarkes und überzeugendes Zusammenspiel. Das schicke Layout ist zwar für ein Szene-Magazin essentiell, auf Dauer aber kein Kaufgarant. Neu zu konfigurieren heißt, sich das Konzept des Heftes noch einmal genau anzuschauen und einen roten Faden und vor allem einen über das ganze Magazin hinweg konsistenten Mehrwert für den Leser herauszuarbeiten. Zuvor muss aber noch die Frage beantwortet werden: Für wen soll die Neustart nun wirklich sein? Oder versucht man sich weiterhin an dem schwierigen Spagat zwischen Netzneuling und Online-Enthusiast?
Weiterhin: Wieso nicht auch einmal bekannte Web-Größen als Gastautoren einladen? Köpfe wie Silke Burmester, Dirk von Gehlen und Elisabeth Rank haben sich quasi zeitgleich auf das spannende Magazinprojekt Scheitern eingelassen – für einen ernst gemeinten Neustart wären sie vielleicht auch zu haben gewesen. Michael Brake von DIE ZEIT gibt dann auch ein treffendes Fazit zum neuen yeebase-Projekt: Es fehlt „die Tiefe, die Verve, die Überraschung, irgendein irrationales, anarchisches Moment“ – eben die Essenz eines Neustarts. Da waren die ersten WIRED-Ausgaben schon spritziger und der Businesspunk macht mit seinen rotzigen Kolumnen viel mehr Lust auf Risiko. Trotz meiner ersten Enttäuschung bleibe ich aber neugierig: Mal sehen, ob die Neustart in der nächsten Ausgabe besser bootet.
Teaser & Image by Tobias Schwarz/Netzpiloten (CC BY 4.0)
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Schlagwörter: Blattkritik, magazin, Medien, Netzkultur, Neustart, t3n
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