Es gibt nur wenige Unternehmensvertreter, die die digitale Abstinenz deutscher Führungskräfte so nüchtern betrachten, wie Stephan Grabmeier von Haufe-Umantis:
„Wenngleich es die sozialen Medien nun seit rund 15 Jahren in der breiten Nutzung gibt, strotzt die DAX Management Elite mit digitaler Ignoranz. Fast alle Dax-Vorstände meiden – trotz des wachsenden Drangs zur Digitalisierung und der notwendigen Transformation in ihren Unternehmen – den Kurznachrichtendienst Twitter und die wesentlichen Social Media Netzwerke“ , schreibt Grabmeier in seinem Blog.
Führungskräfte mit Lücken
Die Lücke zwischen dem allgegenwärtigen Digitalisierungsanspruch der Konzerne und dem persönlichen Verhalten ihrer Führungskräfte sei riesig. Sie hinterlassen keinen digitalen Fußabdruck. Dafür dominieren aber eine Menge Ausreden, um in der alten Generaldirektor-Attitüde zu verharren. Etwa die Furcht vor Shitstorms. Es werde immer wieder befürchtet, dass eigene Aktivitäten im Web irgendwelche unkontrollierbaren Kettenreaktionen auslösen, die dann nicht mehr in den Griff zu bekommen seien, so die Erfahrung von Kerstin Hoffmann aka @pr_doktor, Autorin des Buches „Lotsen in der Informationsflut“: Eine der interessantesten Ideen zum Selbstschutz präsentierte mir der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens in der Diskussion nach einem meiner Vorträge: Er selbst lade nur unscharfe Bilder von sich selbst hoch, selbst bei Xing, und er empfehle seinen Mitarbeitern das Gleiche. So könne man die automatisierte Bilderkennung unterlaufen und zudem einer widerrechtlichen Nutzung des eigenen Bildes vorbeugen.
Man hat Besseres zu tun
Blöd nur, wenn andere Nutzer aus dem Netzwerk aktiv werden und die Fotos teilen und personalisieren. Für Hoffmann ist diese Aussage ein Beleg für Kontrollillusionen. Entwicklungen und Reaktionen im Netz werden nicht besser kontrollierbar, wenn man sich heraushält oder mit angezogener Handbremse unterwegs ist. Eher sei das Gegenteil der Fall: „Womöglich erfährt man sogar viel zu spät davon, dass etwas schief läuft oder sich falsche Informationen verbreiten. Es fehlt das Netzwerk derjenigen, die einem Informationen zeitnah zutragen oder unterstützend ihre Stimme für jemanden erheben, der von anderen derzeit Gegenwind erfährt.“
Ein weiteres inflationär vorgetragenes Abwehrargument rangiert unter der Kategorie „Zeitfresser“ oder „Ich habe Besseres zu tun.“ Selbst eine große Zahl von PR- und Marketingsfachleuten denkt bei Stichworten wie Social Media und digitale Medien nicht zuerst an professionelle und zeitgemäße Kommunikation, betont Hoffmann: „Dabei müsste es ja einleuchten, dass jegliche Form der Kommunikation, die nicht mit Erfahrung, Fachwissen und den richtigen Werkzeugen betrieben wird, nicht zeiteffizient stattfinden kann. Das ist ungefähr so, als wollte man den Erfolg eines Telefonates zwischen zwei Zwölfjährigen als Referenz für einen Vertriebsanruf herbeiziehen.“
Der 4.0-Spießercode für Stillstand
Vielleicht liegen die Ursachen für die digitale Diätkost in Vorstandsetagen auch tiefer. Wolf Lotter beleuchtet sie in seinem Prolog in der März-Ausgabe von brandeins: „Alles bleibt, wie es ist, nur mit Internetanschluss.“ Dafür steht auch das elende Kürzel 4.0. Leerformel-Geschwätz zur Systemerhaltung – „ein Spießercode“, so Lotter: „Der Wissensarbeiter wacht in einem Unternehmen und in einem Staat auf, der für die Fabrikgesellschaft entwickelt wurde, und Parteien und Institutionen, die im Schatten des Schornsteins erdacht wurden, erklären ihm die Welt.“
Fast überall trifft man auf „Vorgesetzte“, die eigentlich viel weniger wissen als ihre Mitarbeiter, ihnen aber qua Amt ständig sagen, wo es langgeht. So zitiert Lotter den IG-Metall-Berater und Informatiker Ulrich Klotz. Was von oben kommt, sind häufig hohle Befehle einer Positionselite, die ohne Positionen zu kleinbürgerlichen Gestalten schrumpfen. Zu bewundern an gescheiterten Heroen des Managements wie Martin Winterkorn oder Thomas Middelhoff. Als Symbol dieser aalglatten Ikonen rhetorischer Nichtigkeit sehe ich Johann Holtrop, die Hauptfigur im gleichnamigen Roman von Rainald Goetz. Das Werk ist ein erschreckendes Panoptikum der Wirtschaftselite. Holtrop ist auswechselbar. Ein Schnösel und Wichtigtuer, der sich mit abgedroschenen Plattitüden durchs Leben boxt. Er erzählt überall zusammengelesenes, letztlich nur nachgeplappertes Zeug. „Holtrop selbst merkte nicht, wem er was nachplapperte, wo er sich bediente und von wem er was übernommen oder gestohlen hatte“ , so Goetz.
Jämmerliche Söldner meiden die Nahbarkeit
Durch diese Defizite entstand die besondere mimetische Energie, „die Holtrop das von außen anverwandelte, was ihm fehlte.“ Er implantierte der Außenwelt seine Ideen, indem er sie kopierte und zugleich so manipulierte, dass sie seine Ideen für ihre eigenen hielten – ein begnadeter Blender. Und diese Blender haben es schwer, sich offen und nahbar im Social Web zu bewegen. Es sind jämmerliche Söldner, die der Schweizer Publizist Frank A. Meyer so herrlich aufs Korn nimmt. „Sie verfügen nicht über Produktionsmittel, sie stehen nicht mit eigenem Kapital in der Verantwortung, ihre gesellschaftliche Position entspricht der von Kleinbürgern: nicht unten, aber auch nicht wirklich oben.“
Unkultivierte Typen und neureiche VIPs, die ohne Positionen wieder zu Gartenzwergen schrumpfen. So eine neofeudal gestimmte Luxusclique, die ihre Kinder in der Potsdamer Luxus-Kita „Villa Ritz“ für eine Monatspauschale von mindestens 1.000 Euro (ein Schnäppchen) unterbringt, muss sich abschotten. „Wer sich global wie lokal so behütet, so getrennt vor der wirklichen Wirklichkeit durch den eigenen Lebensfilm bewegt, dem fehlt die Lust am Engagement für die ferngerückte Gemeinschaft“, schreibt Meyer.
Deshalb ist die Suche nach den Social-CEOs in der Deutschland AG auch sinnlos. Das passt nicht zum Mindset der Teleprompter-Topmanager. Für inhabergeführte Unternehmen gibt es also ein enormes Potenzial, sich von den Lackaffen der Wirtschaft abzusetzen und auf die persönliche Vernetzung zu setzen. Marken und die Winterkorns dieser Welt geraten schnell in Vergessenheit. Aber glaubwürdige Markenbotschafter, die auf der digitalen Klaviatur spielen können, verankern sich dauerhaft in den Köpfen. Das Notiz-Amt wird sie registrieren und vorstellen.
Image (adapted) „Evolution“ by Thomas Wensing (CC BY-SA 2.0)
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