Der Boston Globe will den Filmstart und den maßgeblichen Erfolg von Spotlight als Chance nutzen, um sich bei neuen Lesern zu vermarkten. In diesem Herbst hat der CEO des Boston Globe, Mike Sheehan, ein neues Puzzlestück zu der Präsentation, die er potenziellen Werbekunden vorführt, hinzugefügt: Den Trailer für den Film Spotlight. Der Film erzählt die Geschichte der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Globe-Recherche über Kindesmisshandlung in der katholischen Kirche. Sheehan hat den Trailer vorgeführt, um Werbekunden die Wirkung zu demonstrieren, die die journalistische Arbeit des Globe und insbesondere die Arbeit des ermittelnden Teams von Spotlight ausgeübt hatte.
“Ich sage den Werbekunden nicht, dass sie bei uns inserieren sollen, um den Journalismus zu unterstützen”, sagte Sheehan. “Aber wenn Sie inserieren oder uns sponsern oder sich mit uns zusammentun, gibt es einen positiven Nebeneffekt: Sie helfen ihrer Gemeinschaft damit sehr.”
Über Sheehans Verkaufspräsentation hinaus hat der Globe die Aufregung um Spotlight (der Film erhielt bereits drei Golden-Globe-Nominierungen und gilt als Oscar-Anwärter) dazu genutzt, sich selbst zu vermarkten und seinen Journalismus zu fördern.
Es ist selten, dass ein von den Kritikern gelobter Film über die eigene Zeitung gemacht wird, daher wollten sich die Geschäftsführer des Globe die gute Publicity zu Nutze machen. Aber es sollte auch nicht so aussehen, als würden sie eine Tragödie für ihren Profit ausschlachten. “Aus tiefem Respekt für die Überlebenden und den derzeitigen Klerus, der hervorragende Umbauarbeit geleistet hat, wollen wir sichergehen, dass wir dies nicht als Möglichkeit zur Schädigung nutzen”, sagte Sheehan. Deshalb hat der Globe eine Mischung aus redaktionellen und geschäftlichen Strategien gestaltet, die darauf abzielt, archivierte Artikel wieder aufzulegen und gleichzeitig auch neuen Lesern die Artikel des Globe näher zu bringen.
Die ursprünglichen Spotlight-Artikel, auf denen der Film basiert, sind wieder auf der Liste der meistgelesenen Globe-Artikel erschienen und die Zeitung hat ein kostenloses E-Book und eine 12-minütige Dokumentation zusammengestellt, um nicht nur die Artikel über die katholische Kirche, sondern auch andere Arbeiten, die das investigative Spotlight-Team über die Jahre durchgeführt hat, herauszustellen. Die Zeitung nutzte eine Kombination aus zielgruppengerichteter E-Mail-Kontakte, Social-Media-gerichteter und suchwortrelevanter Werbung und Anzeigen auf ihrer eigenen Seite, um die Produkte zu bewerben und neue Abonnenten zu gewinnen.
“Wir wollten uns auf das Spotlight-Team konzentrieren, auf den Journalismus, und warum der ‘Big J’-Journalismus im Allgemeinen wichtig ist”, sagte Meghan Lockwood, stellvertretende Leiterin für Verbrauchermarketing beim Globe. “[Wir wollten uns] darauf konzentrieren, dass das Team seit schon 1970 existiert, und den Leuten eine Chance geben, sich noch mehr auf das Thema einzulassen.”
Das 12-minütige Video, das der Globe erstellt hat, geht kurz auf die Ermittlungen zur katholischen Kirche ein, verwendet aber die meiste Zeit darauf, die mehr als 40-jährige Geschichte des Ermittlerteams von Spotlight zu behandeln, wobei es mehrere Untersuchungen des Teams hervorhebt.
Der Globe hat das Video an verschiedenen Stellen hochgeladen, auch direkt auf Facebook, wo es seit seiner Veröffentlichung Anfang November fast 330.000 Mal angesehen wurde. Matt Karolian, Leiter für Social Media beim Globe, sagte, dass die Zeitung eine “bedeutende Investition” durch die starke Präsentation des Videos, des E-Books und der ursprünglichen Berichterstattung auf Twitter und Facebook, zusammen mit bezahlter suchwortgebundener Werbung, vorgenommen hatte.
“Eines der Dinge, die ich als sehr wirkungsvoll an der Facebook-Plattform empfinde, ist, dass man in der Lage ist, eine Gruppe von 50 Leuten anzusprechen, es können aber auch 5.000, 50.000 oder 50 Millionen sein”, meint Karolian. Der Globe nahm diejenigen Nutzer ins Visier, die angaben, dass sie den Film gern sehen würden, oder in Posts ausdrückten, dass sie dafür durchaus ins Kino gehen würden. Man konzentrierte sich aber auch auf Nutzer, die ein Interesse an breiteren Themenbereichen wie investigativem Journalismus zeigten.
“[Unser Ziel war nicht,] das ganze Universum zu sprengen oder es alleinig mit Boston als Schlagwort zu verknüpfen. Wir wollten Leuten, die nach dem Film oder den Artikeln suchen, einen tiefergehenden Gewinn bieten, mit dem sie sich befassen und weiter beschäftigen konnten”, stellt Lockwood heraus.
Der Globe hat Werbung für das E-Book von Spotlight auf seiner Homepage und bestimmten Zielseiten geschaltet, die er angelegt hat, um seine Berichterstattung zum Film und den investigativen Artikeln unterzubringen.
Bezüglich des E-Books wird zudem eine Kampagne für E-Mail-Retargeting betrieben. Um das Buch herunterladen zu können, müssen die Nutzer ihre E-Mail-Adresse angeben. Dann werden den Interessenten drei Mails geschickt, von denen jede mehr Informationen über Spotlight und den Globe als die vorige enthält, und in der dritten E-Mail gibt es schließlich Informationen dazu, wie man die Zeitung abonnieren kann.
Das E-Book kam etwa zwei Monate zuvor auf den Markt und wurde ein paar tausend Mal heruntergeladen, sagte Lockwood. 17,5 Prozent der Nutzer, die auf eine Werbeanzeige für das E-Book klicken, gelangen über die Zielseite hier her und geben ihre Mailadresse heraus. Ähnliche Kampagnen haben oft einen einstelligen Umrechnungssatz, gab Lockwood an.
“Es war wichtig, etwas kostenlos anzubieten”, erklärte Lockwood. “Vom Gesichtspunkt der Umwandlung geben wir den Leuten etwas wirklich wertvolles für ihre E-Mail-Adresse, und leiten sie von dort aus an.”
Der Globe hat etwa 65.000 Digitalabonnenten, das sind mehr als alle anderen Regionalzeitungen der Vereinigten Staaten. Und ein digitales Abonnement ist nicht billig: Der digitale Zugang kostet über 360 US-Dollar pro Jahr, denn die Leser zahlen mehr als 99 Cent pro Tag.
Ken Doctor hat die digitale Preispolitik der Zeitung bereits in einer früheren Kolumne aufgeschlüsselt:
Der Globe verdiente durchschnittlich nur 57 Cent pro Nutzer und Tag, das waren etwas mehr als 200 US-Dollar im Jahr, bevor die sogenannte ‘Ein-Dollar-pro-Tag’-Preisbildung eintrat. Durch diese kommen etwa 160 US-Dollar im Jahr pro Abonnent hinzu. Diese Art der Rechnung bildet einen Grundstein zu einer hauptsächlich digitalen und durch die Leser unterstützten Zukunft.
Das sind die Regeln des ARPU, (Average Revenue Per User, zu deutsch: durchschnittlicher Erlös pro Kunde, in diesem Fall: Abonnent). Den ARPU zu erhöhen, ist meiner Meinung nach der Schlüssel zum Aufbau der nächsten Generation des Unternehmens. “Unser durchschnittlicher Erlös ist um 40 Prozent gestiegen”, sagt [der stellvertretende Leiter für Vertrieb und Marketing] Peter Doucette.
Die Analysen des Globe besagen, dass die Online-Leser wahrscheinlich nicht kündigen werden, sobald sie den 13. Monat des Abonnements erreichen. Genau an diesen kritischen Punkt werden die Lesergebühren für die Artikel auf 99 Cent pro Tag hochgesetzt. Frische Abonnenten zahlen demnach 99 Cent im ersten Monat. Später während des ersten Jahres als Abonnent hat man eine Grenze von 3,99 US-Dollar pro Woche erreicht, also 15,96 US-Dollar monatlich. Hat man die 13 Monate erreicht, ergeben sich somit genau 99 Cent Gebühren pro Tag.
Mit der Strategie, den Film Spotlight zu nutzen, um neue Leser anzuziehen, die an Journalismus interessiert sind und die dann – hoffentlich – gewillt sind, einen entsprechend höheren Preis dafür zu bezahlen, zielt der Globe darauf ab, sich Abonnenten heranzuziehen, die etwas länger bleiben werden.
“Es sind geringere Bruttozahlen, aber ich denke, es handelt sich dabei um ein sehr interessiertes Publikum”, sagte Lockwood. “Das sind die Leute, die dann die langfristige Abonnenten ausmachen.”
Dieser Artikel erschien zuerst auf “Nieman Journalism Lab” unter CC BY-NC-SA 3.0 US. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Teaser & Image “Spotlight Movie” (adapted) by Thomas Cole (CC BY)
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Schlagwörter: Abo, Abonnent, Film, journalismus, Spotlight, The Boston Globe, Verfilmung