T.S.: Kommen wir zur Enquete-Kommission. Der Leiter der Enquete-Kommission „Internet und Gesellschaft“, ihr Karlsruher Parteikollege Axel Fischer, bezeichnete am Anfang mal seine fehlende Nähe zu den Sachthemen als Vorteil. Da wenn er überzeugt werden kann, man auch den Rest der Bevölkerung überzeugen kann. Sie waren Mitglied der Enquete-Kommission und sind bei den meisten Themen nicht unbeleckt. Wie bewerten Sie den Nutzen ihres bereits erworbenen Wissens für die tägliche Arbeit im Ausschuss?
J. K.: Also ich bezeichne mich nicht als Digital Native. Es gibt Kollegen in meinem Ausschuss, die es wirklich sehr gut können. Wir haben ja gute Fachpolitiker in der Regierungsmannschaft, also in der Koalition, als auch in der Opposition, die das teilweise richtig von der Pike auf gelernt haben. Die sind in den Fachthemen noch viel viel besser drin, deswegen sind die teilweise auch Berichterstatter. Aber ich beschäftige mich schon sehr lange mit den Themen, aber nicht ganz genau. Ich kann jetzt genau nicht sagen, wie eine IP-Adresse entsteht und so weiter, sondern ich hatte eher immer diese Chancendiskussion auf dem Schirm, weil ich auch als Elektrotechniker ein technologiefreundlicher Mensch bin. Diese Dinge, die dort entstehen, nutze ich immer auch selbst, mache sie auch nutzbar und hinterfrage natürlich auch, wenn ich etwas nutze, was passiert zum Beispiel mit meinen Daten. Das sehe ich als Vorteil insofern an, dass man das einfach weitergibt. Ich kann den Leuten nicht erklären, wie das eine oder andere in der Programmiersprache funktioniert. Das können aber allerdings auch die wenigsten und das muss auch nicht sein.
Mein Anspruch ist es, dass wir auch versuchen, eine andere Sprache gegenüber der Öffentlichkeit zu finden. Die Netzpolitiker haben, wie Ärzte oder wie Rechtsanwälte, so ein bisschen die Arroganz der Sprache. Also je komplizierter ich spreche, desto schicker ist das in der – ich sag mal – Community. Wer in der Informatiksprache spricht und uns dann die Fachbegriffe um die Ohren haut, der ist der tolle Netzpolitiker. Davon sollten wir abkommen, weil wir sind ja auch dazu da, gerade als Politiker, den Menschen etwas zu erklären und nicht nur der Community zu gefallen. Und so sehe mich vielleicht auch ein bisschen als Verbinder. Deswegen hat man nicht nur junge Leute, die ständig nur als Nerd vor den Kisten hängen, sondern eben auch erfahrene Politiker oder auch Unternehmer bei uns im Ausschuss, die ganz normale Nutzer sind. Ich glaube, das ist auch wichtig.
J.V.: Die Enquete-Kommission hat abschließend 400 Handlungsempfehlungen vorgelegt – davon waren 100 fraktionsübergreifende Vorschläge. Trotzdem wurde bisher kein einziger von diesen Vorschlägen umgesetzt und in den Ausschusssitzungen des Ausschusses „Digitale Agenda“ werden die gleichen Fragestellungen mit den gleichen Sachverständigen wie in der letzten Legislaturperiode nochmal besprochen. Warum wird das gut dokumentierte Wissen, das man durch die Enquete-Kommission hat, nicht viel besser umgesetzt?
J. K.: Die wichtigste Handlungsempfehlung wurde umgesetzt. Das ist, dass wir jetzt einen seperaten Ausschuss haben. Das war die größte und wichtigste Handlungsempfehlung, an der wir gearbeitet haben, parteiübergreifend und auch fraktionsübergreifend. Das wir gesagt haben, die Digitalisierung, die „Digitale Agenda“, muss sich ab jetzt in einem festen Gremium immer widerspiegeln. Und das haben wir umgesetzt. Das ist die wichtigste aus meiner Sicht, weil wir wollten keinen Unterausschuss, wir wollten nicht eine weitere Enquete-Kommission, wir wollten wirklich einen eigenständigen Ausschuss, den wir jetzt ja auch haben. Diese Handlungsempfehlung ist umgesetzt. Eine Enquete-Kommission gibt Handlungsempfehlungen, die natürlich über das Tagesgeschäft hinwegschauen. Man kann von einer Enquete-Kommission nicht verlangen, das ist auch gar nicht ihre Aufgabe, dass was als Handlungsempfehlungen gegeben wurde, dass das alles eins zu eins umgesetzt wird. Und schon gar nicht im ersten Jahr. Das gibt es nicht, das gab es auch noch nie und das wird es auch nicht geben, weil es ist ja auch eine Handlungsempfehlung eines anderen Bundestages. Eine Empfehlung. Und ob die neue Regierung und die neue Regierungsmannschaft und die neue Bundesregierung davon etwas nehmen, ist die eine Sache, aber sie müssen es nicht machen.
Deswegen sind es trotzdem teilweise gute Empfehlungen. Nicht alle trage ich dort mit, auch wenn sie fraktionsübergreifend sind oder waren, aber so eine Enquete-Kommission macht vor allem eine Bestandsaufnahme. Mit den Sachverständigen ist es ja so gelaufen. Wie ist der Stand der Digitalisierung in Deutschland, der digitalen Gesellschaft in Deutschland? Dann gibt es daraus die entsprechenden Handlungsempfehlungen. Dieses Papier halte ich nach wie vor für sehr wichtig und sehr gut. Viele aus der Community und die netzaffinen Leute haben mir gesagt, das wissen wir alles, ihr habt einfach nur gesagt, wie es ist. Aber trotzdem haben sie letztendlich gesagt, das ist aber gut, dass das mal gemacht wurde. Und daraus entsteht ja jetzt dieser Handlungsdruck. Weil diese ganzen Handlungsempfehlungen, die da sind, die sind bekannt. Und das man dann sagt, jetzt müssen wir ja endlich mal was machen. Das wir nicht die nächsten 15 Jahre bei der Digitalisierung wieder verschlafen, wie es in Deutschland schon mal war. Und deswegen gibt es eben diesen Aufbau in den Ministerien, von den verschiedenen Ressorts, im Deutschen Bundestag. Alle beschäftigen sich damit.
Wie man an der Bundeskanzlerin sieht: in jeder größeren und wichtigen Regierungserklärung und Ansprache, auch zum Haushalt, macht sie als ersten Tagesordnungspunkt die Digitalisierung. Das halte ich für sehr wichtig, dass das in den Köpfen auch der führenden Mannschaft angekommen ist. In Europa ist es angekommen. Wir haben jetzt auch einen reinen Digitalkommissar. Ob jetzt die Person die richtige ist, darüber will ich jetzt gar nicht diskutieren. Sondern jemand, der mit seiner gesamten Direktion, mit seinem gesamten Kabinett nur die „Digitale Agenda“ in Europa begleitet. Das halte ich für einen riesen Fortschritt. Das ist ganz toll. Und die Kollegen aus anderen Parlamenten, auch Ausschusskollegen, wo es keine „Digitale Agenda“ gibt, die sagen, ihr hattet eine Enquete-Kommission und jetzt habt ihr eine „Digitale Agenda“, egal wie fertig oder unfertig die ist. Ihr habt einen Digitalkommissar, der aus Deutschland kommt. Und ihr habt einen Ausschuss. Ihr habt eine Bundeskanzlerin, die das Thema mindestens inhaliert hat und immer wieder nach außen bringt und das so ein bisschen zur Chefsache gemacht hat. Und das halte ich für sehr wichtig. Und da beneiden die uns so ein bisschen drum. Da haben die gesagt, Respekt dafür. Obwohl natürlich Länder wie Estland im eGovernment viel weiter sind, sagen die trotzdem, ihr versucht das ganzheitlich zu machen.
Jetzt liegt es an uns, dass wir uns nicht selbst die Beine stellen und dass wir uns nicht ausbremsen in dem Sinne, wir müssen erstmal alles regulieren. Wenn da irgendwo was entsteht, dann haben wir es manchmal an uns, dass wir sagen müssen, um dieses Geschäftsmodell oder um diese Idee erstmal alles ringsherum zu regulieren und dann kann man auf Start drücken. Es muss anders sein! Ich sage immer, wir müssen machen. Wir müssen auch machen lassen. Wir müssen sagen, ok, da ist jemand, ein Startup, das hat eine Idee, lass das machen! Sonst entsteht hier nichts. Wenn man sagt, das könnte laufen, dann fangen wir sanft und smart an zu regulieren. Regulieren ist immer so ein böses Wort. Eben auch Standards zu setzen und die vielleicht auch vorher mal zu sehen, dass sich das bewegen kann. Dass man innerhalb der Leitplanken sich auch wirklich ordentlich und gut bewegen kann. Das ist so mein Ansinnen. Und vielleicht auch diese regulierte Selbstregulierung. Das man sagt, ihr reguliert euch. Aber nicht das ihr sagt, wir regulieren uns und dann machen wir es doch nicht. Diese Selbstregulierung auch kontrolliert oder überprüft werden. Wir sagen dazu: regulierte Selbstregulierung. Das ist vielleicht eine Idee, wo man sagen kann, mit der Standardsetzung aus dem Ideengeber, aus den Innovationen heraus. Über den der Gesetzgeber so ein bisschen mal drauf geschaut hat. Das wär doch eine Maßnahme, die funktionieren könnte.
T.S.: Abschließend zu diesem Abschnitt noch eine Nachfrage: Die sprachliche Arroganz. Das fand ich sehr interessant. Vor allem auch, da wir sonst immer von Netzpolitik gesprochen haben, von der Enquete-Kommission „Internet und Gesellschaft“, kam es auf einmal zu diesem sprachlichen Bruch, in dem von „Digitale Agenda“ gesprochen wurde. Ich kann mich erinnern, vor einem Jahr auch auf Politik-Digital.de über eine Überlegung gelesen zu haben, ob das ein Versuch ist, die Deutungshoheit der bisher sehr aktivistischen Bewegung zu entziehen, um politisch selber Maßstabe setzen zu können. Das war eine Überlegung von außen. Würden Sie das auch so unterschreiben?
J. K.: Nein. Wir wollten es so einfach wie möglich machen. Da gab es auch mal die Idee, Ausschuss für Internet und Digitale Agenda und dann mit der Abkürzung AIDA. Das ist nett. Da hat man diskutiert, was man machen könnte. Das klingt ja ganz nett, aber wenn man irgendwie über den Hashtag AIDA gegangen ist, dann hat man festgestellt, dass da viel anderes darunter lag. Unter anderem auch ein paar unschöne Seiten. Also nicht nur das Schiff AIDA, da waren da ein paar Seiten, die da nicht gepasst hätten. Und das ging dann halt doch nicht, weil der auch schon zu besetzt war. Aber das war nicht der Hauptgrund, sondern der Hauptgrund war eben zu sagen, bei Internet und Digitale Agenda wird sich zu viel auf das Internet fokussiert. Es ist aber mehr – die „Digitale Agenda“. Da gehört das Internet ohne Zweifel mit dazu, aber das ist ja nicht alles, sondern die Digitalisierung in der Gesellschaft ist ja eigentlich viel mehr. Mit dem Internet zusammen. Und deshalb haben wir gesagt, es ist eine Agenda, also eine Tagesordnung, und die ist digital. Das Hauptwort sollte „Digital“ sein, da blieb dann nur „Digitale Agenda“ übrig. Das ging nicht gegen die Netzpolitiker, sondern wir wollten es so einfach wie möglich machen. Das man sich darunter was vorstellen kann. Viele haben darunter den Breitbandausbau verstanden, zum Beispiel wie bei mir im Wahlkreis: Ja, du bist jetzt in der „Digitale Agenda“, sorg mal dafür, dass da jetzt der Breitbandausbau kommt. Das ist auch zu kurz gegriffen. Man kriegt es aber wahrscheinlich nie in ein Hauptwort rein, aber ich glaube mittlerweile ist es angekommen, weil jetzt auch die Bundesregierung gesagt hat, das ist die „Digitale Agenda“ der Bundesregierung. In Europa sagt man „Digitale Agenda“. Ich glaube, da haben wir es ganz gut getroffen, dass das jetzt so übernommen wurde. Und wenn sich die Aktivisten oder die Netzpioniere da auch wiederfinden, wäre das doch ganz gut.
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Schlagwörter: Ausschuss, Beteiligung, BTADA, bundestag, CDU, Digitale Agenda, Interview, Jens Koeppen, Netzpolitik, Öffentlichkeit, parlament
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