Business-Sekten produzieren Regel-Befolgungs-Automaten

Von Professor Rupert Hasenzagl gibt es eine vernichtende Prophezeiung für das Management: „Wir bedienen uns derzeit eines toxischen Systems und fahren mit 300 Stundenkilometer gegen die Wand.“ Wir könnten uns noch gar nicht vorstellen, wo wir in fünf Jahren stehen würden, weil uns die Dimensionen fehlen. Weil wir uns in einem enormen Umbruch befänden. Weil Unsicherheit und Angst zunähmen. Weil es vielen Managern an der Profession fehlt, um die Komplexität zu erfassen. Stattdessen würden wir die Dosis an Macht und Bürokratie erhöhen.

Organisationen als ISO-Norm

In diesen bürokratischen Organisationen gedeiht eine trügerische Fantasie der Rationalität. Sie verschanzt sich hinter Controlling-Kennzahlen, Erbsenzähler-Monitoring-Systemen, ISO-Normen, Zertifikaten, Testaten und sonstigen Hilfsmitteln der Planungsgläubigkeit. Professor Benedikt Hackl sprach beim HR-Festival auf der re:publica von einer verhängnisvollen Zahnradlogik, die in vielen Organisationen das Tagesgeschäft dominiert.

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Es werden mit analogen und digitalen Instrumenten Regel-Befolgungs-Automaten herangezüchtet: „Fast überwunden geglaubte Herrschaftsformen leben wieder auf und verschärfen sich teilweise in Form von Benchmarking- und anderer Evaluationspraktiken. Im Grunde hat der Taylorismus nur eine andere Form angenommen und sich vertieft“, mahnt der Buchautor Reinhard K. Sprenger in seinem jüngsten Werk mit dem vielsagenden Titel „Das anständige Unternehmen“, erschienen im DVA-Verlag.

Mitarbeiter-Bashing mit Monitoring-Systemen

Freiräume werden immer mehr eingeengt, die letztlich in massiven Freiheitsbeschränkungen münden. Was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am meisten runterzieht, sei nach Auffassung von Sprenger nicht das offene Misstrauen der Vorgesetzten:

Es ist das Pseudovertrauen, das knitterfreie, korrekt-opportune Verbalvertrauen, das mit der Forderung nach Transparenz einhergeht und sich dadurch ad absurdum führt.

Man sagt seinem Gegenüber nicht mehr offen die Meinung, sondern versteckt die Giftpfeil-Attacken gegen Untergebene hinter Reporting- und Monitoring-Systemen. Denn Zahlen können ja nicht lügen – kleiner Scherz des Notiz-Amtes.

Mit Ethik-Seminaren zum betreuten Arbeiten

Mit den Tabula rasa-Steuerungsmethoden zerschlägt man das individuelle Anderssein. Jede Abweichung von einer Norm wird pathologisiert. „Dahinter steckt eine weit verbreitete Optimierungsideologie“, so Sprenger, der von einer Pädagogisierung der Unternehmensführung spricht. Unterschiede werden über das Personalmanagement wegtherapiert. Übrig bleibt eine geschmeidige Formmasse, die einer Sekte sehr nahe kommt. Dazu zählt Sprenger auch Mitarbeiterbefragungen, Ethik-Seminare oder ganzheitlich-idiotische Feedback-Rituale, die zur Entmündigung des Menschen beitragen. Übrig bleibt „betreutes Arbeiten“. Es werden immer mehr Distanzen und Freiräume verschüttet, die sich mit menschlichem Anstand nicht vereinbaren lassen. Die Distanzlosigkeiten werden als solche oft gar nicht wahrgenommen und falls doch, werden sie als Fürsorge und Hilfe interpretiert. „Aber der Preis ist hoch. Man lebt wie unter einer Glasglocke“, führt Sprenger im Welt-Interview aus.

Wenn in Gesellschaften und Organisationen der dümmliche Spruch von Facebook-Chef Mark Zuckerberg „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“ zum Maßstab des Zusammenlebens wird, bleibt am Ende nur noch die Führungsphilosophie der Kommunistischen Partei China übrig. Man landet in der Falle einer freiheitsfeindlichen Vorzensur, die sich im Kopf abspielt.

Standards töten Rebellen

Rebellen haben in diesem standardisierten Orwell-Kosmos nicht den Hauch einer Chance, moniert Ole Wintermann von der Bertelsmann-Stiftung im HR-Festival-Interview.

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Mit digitalen Werkzeugen verschärfe sich das sogar. Es bestehe die große Gefahr, dass man kreative Köpfe mit Excel Sheets und anderem Unsinn einfängt und domestiziert. Alles wird auf Planbarkeit, auf Messbarkeit und Werthaltigkeit überprüft. Freiräume können sich so nicht entfalten. Im Internet ist ähnliches zu beobachten, meint Wintermann.


Image „Wheels“ by katermikesch (CC0 Public Domain)


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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1 comment

  1. Am liebsten waren mir in meiner Zeit als Angestellter eines Multis die sinnlosen Mitarbeitergespräche. Das Abnicken beider Seiten zu dummen Lehrsätzen ohne Inhalte und ohne Konsequenzen. Wir hätten lieber ein Bier trinken gehen sollen.
    „Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?“ – „Jedenfalls nicht auf deinem Stuhl!“

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