Einen guten Eindruck über die Innovationskraft der deutschen Gründerszene vermitteln Plattformen wie die Bits&Pretzels, die vom vergangenen Sonntag bis Dienstag in München stattgefunden hat. In sechs Themen-Clustern haben Startups Besucher und Investoren mit ihren Drei-Minuten-Pitches von ihrer Geschäftsidee überzeugt – oder eben nicht. Die von den Veranstaltern ausgemachten Innovationsfelder waren Future Commerce, Fast Mobility, Hot Lifestyle, Sophisticated IoT, Smart Company und Big Money.
„Im Vergleich zu den anderen Clustern war der Commerce Cluster mit Abstand der am weitesten Entwickelte. Das gilt sowohl für die Qualität der Pitches als auch die Innovationskraft“, so Marie Hélène Ametsreiter, Partner beim Seed-Investor Speedinvest und Mitglied in der Jury, die den besten Pitch gekürt hat.
So hat es dann auch ein Startup, das im Commerce-Cluster angetreten ist, geschafft, den Sieg im kategorieübergreifenden Pitch-Wettbewerb mit nach Hause zu nehmen. Freya Oehle begeisterte die Jury mit ihrer Plattform für individuelle Preisbildung Spottster. Das Prinzip dahinter ist einleuchtend: Kunden geben einen Wunschpreis an, zu dem sie ein Produkt kaufen möchten. Der Händler kann dann wiederum entscheiden, ob er das Produkt zum reduzierten Preis abgibt und erhält außerdem wertvolle Daten für seine Preisgestaltung. „Es war das ausgereifteste Produkt und eines, das erfolgreiche Kennzahlen zeigen konnten“, meint Ametsreiter, die sich über erfolgreiche Female Founder freut.
#Plattformen
Die vorgestellten Ideen hinterließen den Eindruck, dass die Stärke deutscher Gründer und Gründerinnen im E-Commerce in der Weiterentwicklung von Plattformansätzen liegt, die Anbieter und Kunden in unterschiedlicher Weise in der Nische oder der Fläche zusammenbringen und provisionsbasiert verdienen. Von acht vorgestellten Geschäftsideen lag sechs ein Plattformgedanke zugrunde. Erfolgsgeschichten wie die von airbnb, uber oder Helpling haben die neuen Gründer offensichtlich inspiriert, ihr Glück in Vermittlungsmodellen zu suchen.
#Shareconomy
Viele Plattformen eint der Gedanke, Menschen zu verbinden, um Produkte gemeinsam zu nutzen. Recommerce und Collaborative-Consumption-Ansätze sind nicht neu, doch die Umsetzung wird ausgefeilter. So hat Mark Kugel mit seinem Team ein Prinzip gesucht, mit dem Privatpersonen ihre Besitztümer möglichst unkompliziert verleihen können, wenn sie nicht in Gebrauch sind. Bei der Entwicklung der Geschäftsidee seines Startups Useley hat er deshalb einen Fokus auf die logistische Umsetzung gelegt. „Der Trend geht für uns klar dahin, den Produkten einen längeren Lebenszyklus zu geben. Unsere Mitglieder wissen es außerdem zu schätzen, Stücke von Menschen zu erwerben, die eine Geschichte zu erzählen haben“, so Martina Löhner von Kleiderkreisel, einer Recommerce-Plattform, die seit 2008 am Markt ist.
„We put the sharing back into the shareconomy“ sei auch der häufigste Satz, den er gehört habe, bestätigt Raphael Thierschmann von Rakuten. Das Unternehmen aus Japan tätigt strategische Zukäufe unter anderem mit der Absicht, Innovationsfelder zu erschließen. Auf der Bits&Pretzels hat Rakuten die Pitches daher auch durch die Investorenbrille verfolgt.
Wer mit der Erwartung kam, dass sich die Startups im Commerce Cluster mit den neuen Spielzeugen – hier seien die Stichworte künstliche Intelligenz, Virtual Reality und Blockchain genannt – austoben, kam nicht ganz auf seine Kosten. Auch Raphael Thierschmann hat Ansätze vermisst, die „die virtuelle Welt noch besser in die Kohlenstoffwelt integrieren, vor allem, wenn man weiß, was wir gerade vorantreiben.“ Rakuten sei sehr aktiv mit eigenen Research Instituten, doch dabei noch nicht einmal der größte Player im Forschungsbereich.
#Blockchain
Thierschmann glaubt an das Potenzial von Kryptowährungen, da es noch keine wirklich kundenfreundliche Lösung gibt, die tatsächlich unabhängiges, länderübergreifendes Zahlungswesen bietet. Rakuten, das seit 2015 die Zahlung mit Bitcoins ermöglicht, hat erst kürzlich ein Blockchain Lab in Belfast eröffnet. Hier beschäftigt man sich mit dem Potenzial der Blockchain-Technologie unter anderem für den E-Commerce-Sektor. Damit ist Rakuten nicht allein: Auch der chinesische E-Commerce-Riese Alibaba entwickelt über den unternehmenseigenen Zahlungsdienst Alipay gerade eine blockchain-basierte Cloud-Plattform.
#VirtualReality
Nicht nur Kevin Spacey sieht in Virtual Reality einen „Game Changer“, wie er in seiner Keynote auf der Bits&Pretzels betonte. Auch für Ametsreiter und Thierschmann ist es eines der großen Buzzwords. „Virtual Reality macht einfach Spaß. Gemeinsam mit unserem Online-Markplatz Priceminister hat unser Institute of Technology in Paris eine virtuelle Shopping-Boutique entwickelt, in der Kunden mit VR-Brille einkaufen können. Aktuell ist das noch ein Prototyp, aber die ersten Tests waren vielversprechend. Ich bin sehr gespannt, was dabei herauskommt“, so Thierschmann über die Pläne von Rakuten.
#ArtificialIntelligence
Die Marketing- und Commerce-Branche sieht in AI kurzfristig ein Einsatzszenario für Chatbot-Lösungen. Schon auf der dmexco wurden Chatbots zum nächsten großen Trend erklärt. Und auch Rakuten streckt die Fühler in diesem Bereich aus. In den Startup-Pitches im Commerce-Cluster auf der Bits&Pretzels waren diesbezüglich noch keine Ansätze zu sehen.
Auf dem Gründer-Festival in München zeigen sich die deutschen Newcomer stattdessen mit pragmatischen, soliden Ansätzen. „Das Niveau der technischen Entwicklungen in Deutschland ist sehr hoch. Wir sehen, dass die Entwicklungen in Europa sehr oft viel nachhaltiger und durchdachter sind“, so Ametsreiter. Die entscheidende Frage sei, wann der richtige Zeitpunkt für AI, Machine Learning und Virtual-Reality-Anwendungen gekommen ist. Es sei für alle schwer abzuschätzen, wann ein Trend in die Breite geht und die Usability gegeben ist, die es kommerziell tragfähig macht. Martina Löhner von Kleiderkreisel hingegen hat die Hoffnung, künftig nicht nur technologische Innovationen zu sehen, sondern neue ideelle Ansätze, die authentisch und nah am Menschen sind.
Image „Lightbulb“ by Unsplash (CC0 Public Domain)
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