Canon EOS R im Test: Premiere mit Potenzial

Spiegellos! Vollformat! Endlich! Canon fügt sich dem Trend und hat eine hochwertige Kamera ohne Spiegelreflextechnik aber großem, sogenannten Vollformatsensor vorgestellt. Das verspricht ein kompaktes Paket mit hoher Bildqualität. Wir hatten das neue Modell im Praxiseinsatz. Wie schneidet die Canon EOS R im Test ab?

Das steckt in und an der Canon EOS R

Bei der Canon EOS R handelt es sich um eine Kamera im Look einer DSLR, die aber ohne das Kernmerkmal derselben auskommt: dem Schwingspiegel. Dadurch ist das Gehäuse kompakter und benötigt neue Objektive, die für den kürzeren Abstand zum 30-MP-CMOS-Sensor gerechnet sind. RF nennt Canon das neue Bajonett. Dabei gibt es die Canon EOS R im Set mit einem 24-105-mm-Objektiv dieses neuen Standards, das durchgehend mit Blende F4 öffnet. Mit einem zum Lieferumfang unseres Kits gehörenden Adapter können wir jedoch auch problemlos existierende Objektive mit EF-Bajonett montieren. Der Autofokus funktioniert trotzdem.

Das Magnesiumgehäuse fühlt sich hochwertig an und ist augenscheinlich hervorragend verarbeitet. Im Sucherbuckel sitzt statt eines optischen Suchers eine elektronische Variante, die 3,69 Millionen Pixel auflöst und das Bild 0,78-fach vergrößert. Alternativ komponieren und sichten wir Bilder auf einem 3,2-Zoll-Display, das 2,10 Millionen Bildpunkte auflöst. Weil es klapp- und schwenkbar ist, ermöglicht es kreative Einsätze und eine bequemere Bedienung in ungewöhnlichen Perspektiven. Zudem können wir Einstellungen auf einem monochromen Schulterdisplay ablesen.

Mit 660 inklusive Akku liegt das Gewicht auf dem Niveau anderer spiegelloser Vollformat-Kameras wie der Nikon Z6 oder Sony Alpha A7 III. Zusammen mit dem Kit-Objektiv handelt es sich aber alles andere als um ein leichtes Paket – über 1,3 Kilogramm bringt unser Exemplar der Canon EOS R im Test auf die Waage.

Als „Immer-dabei-Kamera“ für Reisen, Familien-Events und Street Photography ist das Canon-Modell somit nicht ideal. Stattdessen eignet es sich eher für bewusstes Fotografieren, etwa in der Landschaftsfotografie, wofür wir sie während einer Reise nach Berchtesgaden ausprobiert haben. Dennoch ist die EOS R leichter und kompakter als eine Vollformat-DSLR wie die EOS 5D Mark IV oder 6D Mark II, was für viele Umsteiger ein Plus-Punkt sein dürfte.

Bedienung: Viele es ist anders, aber nicht einfacher

Nicht nur beim Gewicht speckt Canon gegenüber seinen traditionellen DSLR ab, auch in Sachen Steuerung trennt sich der Hersteller von Bewährtem. Mit neuartigen Bedienelementen und ungewöhnlicher Platzierung geht er neue Wege. Das fängt schon mit dem Verzicht auf ein separates Rad für den Betriebsmodus an. Denn den wertvollen Platz links neben dem Sucherbuckel belegt Canon lieber mit einem großen An-/Aus-Schalter. Stattdessen rufen wir den Betriebsmodus über einen Knopf auf, der im hinteren Rändelrad versenkt ist.

Zwei Rändelräder für Blende und Verschluss sind Fixpunkte, alle weiteren Funktionen lassen sich frei belegen und sind meist erst über einen Auswahlknopf einstellbar. Wir finden den Druckpunkt der meisten frei belegbaren Tasten aber sehr schwammig, deshalb freuen wir uns über alles, was wir über die gut fühlbaren Rändelräder bedienen können.

Ein besonders gewöhnungsbedürftiges Konzept ist ferner die Touch-Bar auf der Rückseite. Über Wischen und Tippen können wir dort beispielsweise ISO oder EV-Korrektur einstellen. Doch weil die Touch-Bar kein haptisches Feedback vermittelt, erweist sich ihre Bedienung bei der Canon EOS R im Test als sehr unpräzise. Nicht nur in eiligen Situationen bereitet das keine Freude. Alternativ lässt sich ein Einstellring am Objektiv mit einer wichtigen Funktion belegen. Dieser spricht deutlich spürbarer und schneller an als die Touch-Bar. Jedes RF-Objektiv wird künftig damit ausgestattet.

Klar, man kann sich mit diesem ungewöhnlichen Bedienkonzept arrangieren. Es erfordert jedoch ein gehöriges Maß an Kompromissbereitschaft und Einarbeitung. Jedenfalls erweist sich die Canon EOS R im Test als keine Kamera, die man nach kurzer Zeit in spontanen Fotogelegenheiten sofort unter Kontrolle hat.

Im Einsatz: Erstklassige Bildqualität mit einem Aber

Wenn die Bedienung erst einmal sitzt, bereitet das Fotografieren mit der Canon EOS R im Test durchaus großen Spaß. Dank der ausgeprägten Griffwulst liegt die Kamera gut in der Hand und lässt sich selbst mit einem schweren Objektiv akkurat führen. Der Autofokus schärft äußerst schnell und präzise – auch im Schummerlicht und bei sich schnell bewegenden Motiven.

Action-Aufnahmen sind dennoch nicht die Spezialität des neuen Canon-Modells. Mehr als fünf Bilder pro Sekunde mit kontinuierlicher Nachschärfung sind nämlich nicht drin. Um heran preschende Skifahrer auf der Piste im richtigen Moment festzuhalten, sollte man sich daher lieber nicht auf eine Bilderserie verlassen.

Die Bildqualität, die Canon aus dem 30-MP-CMOS-Vollformatsensor herausholt, betrachten wir als erstklassig. Schärfe, Details und Farben begeistern. Die Abbildungsleistung des Kit-Objektivs überzeugt uns. Das überrascht aber auch nicht, weil es sich um ein hochwertiges L-Objektiv handelt.

Dagegen fällt der Dynamikumfang nicht so groß aus wie erwartet. Dass Spitzlichter in Laternen trotz Nachbearbeitung in Lightroom CC derart ausfressen, wie auf der Langzeitbelichtung in der Bildergalerie, überrascht uns. Im gleichen Bild ist ferner erstaunlich viel Luminanzrauschen in den dunklen Bereichen des Berges zu sehen. Beides ist kein Weltuntergang. Doch an ein Vollformat-Spitzenmodell sind höhere Ansprüche zu stellen. Testergebnisse der Kollegen beispielsweise von DPReview decken sich mit unseren Beobachtungen.

Nichts auszusetzen haben wir an den Möglichkeiten der Sichtkontrolle. Sowohl der elektronische Sucher als auch das rückwärtige Display sind hell und scharf. Wer nicht extra einen Blick darauf werfen möchte um Einstellungen abzulesen, kann dafür auch das monochrome Schulterdisplay verwenden.

Trotz der vielen zu beleuchteten Displays ist Energie kein Problem. Der mitgelieferte Akku vom Typ LP-E6N bringt uns mit der Canon EOS R im Test trotz kalten Wetters locker über einen Tag. Selbst aktivierte smarte Funktionen wie Wi-Fi saugen den Energiespeicher nicht aus.

Canon EOS R im Test mit Canon Camera Connect und DPP Express

Canon stattet Kameras vorbildlich umfangreich mit Konnektivitätsfunktionen aus. Daher lassen sich Bilder von der Canon EOS R im Test nicht nur per SD-UHS-II-Karte oder per USB-C-Kabel, sondern auch drahtlos auf Smartphone und Tablet übertragen. Zu diesem Zweck sind Wi-Fi und Bluetooth an Bord. Das ist insbesondere beim beruflichen Einsatz der Kamera praktisch. Beispielsweise auf Events, von denen hochwertige Fotos sofort auf Social Media erscheinen sollen.

Für den kabellosen Transfer ist die kostenlose Android– und iOS-App Canon Camera Connect nötig. Die Verbindung per WLAN herzustellen, ist anfangs fummelig, danach läuft sie stabil. Entweder laden wir die Bilder manuell herunter oder lassen sie automatisch, direkt nach dem Fotografieren, hinüber schaufeln. In beiden Fällen gelangen sie als JPG-Dateien auf dem Mobilgerät – nicht als Raw. Beim manuellen Herunterladen können wir immerhin noch auswählen, ob eine Version von 2 MB Größe oder die Original-Auflösung übertragen wird. Beides geht sehr schnell.

Wer unterwegs Raw-Dateien aus der EOS R auf größerem Screen sichten und bearbeiten möchte, kann dies nur auf einem iPad vornehmen. Dafür hat Canon die kostenlose Software DPP Express für iOS veröffentlicht, die exklusiv mit dem neuem Raw-Format der EOS R, CR3, klarkommt.

Das aus unserer Sicht beste Setup für den Transfer ist, Canon Camera Connect und DPP Express auf dem iPad im „verknüpften Modus“ zu verwenden und dann mit der EOS R zu verwenden. Dann werden die etwa 60 MB großen CR3-Dateien direkt in DPP Express importiert und gehen keinen Umweg über Apple Fotos.

Der Import geht fix, doch mehr Lob können wir für DPP Express nicht aufbringen. Denn die Zahl der Werkzeuge für Belichtung und Schärfe sind arg begrenzt. Außerdem gelingt es der Canon-Software nicht, die Verzeichnungen des Objektivs in Weitwinkelstellung anständig zu entzerren. Wir raten daher, Raw-Fotos aus der EOS R lieber in Lightroom am Computer zu bearbeiten.

Fazit: EOS R braucht noch Feinschliff

Die Canon EOS R ist ein spannender Start in den Bereich der spiegellosen Vollformat-Kameras. Allen voran bietet sie eine erstklassige Bildqualität mit leichten Abstrichen im Dynamikbereich und Rauschverhalten. Verarbeitung und Ausstattung sind außerdem vom Feinsten. Beispielsweise ein voll klapp- und schwenkbares Display ist in dieser Produktkategorie nicht selbstverständlich. Demgegenüber nervt die Canon EOS R im Test mit einer experimentellen Bedienweise, die sowohl für Canon-User als auch für Einsteiger gewöhnungsbedürftig ist. Der Mehrwert insbesondere der Touch-Bar ist nicht ersichtlich.

Problematisch ist ferner der Preis. Denn ein Gehäuse für 2.500 Euro plus Objektive spricht Profis an. Doch für die bietet die Canon EOS R etwas zu wenig, beispielsweise eine viel zu gemächliche Serienbildgeschwindigkeit. Hingegen für viele Hobbyisten dürfte die Kamera zu teuer und auch zu schwer sein.

Insofern ist die Canon EOS R die erste Generation eines Neuanfangs, der noch Feinschliff braucht. Ein paar Kritikpunkte hat der Hersteller bei der kürzlich erschienenen Canon EOS RP ja schon angegangen. Sie ist mit 1.500 Euro und 440 Gramm deutlich günstiger und leichter.

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Images by Berti Kolbow-Lehradt

ist Freier Technikjournalist. Für die Netzpiloten befasst er sich mit vielen Aspekten rund ums Digitale. Dazu gehören das Smart Home, die Fotografie, Smartphones, die Apple-Welt sowie weitere Bereiche der Consumer Electronics und IT. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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