Carbon 1 im Test: Leichtgewicht für Individualisten

Spezifikationen sind nicht alles. Während sich die großen Hersteller wie Samsung oder Apple mit Hardware-Werten übertrumpfen, konzentriert sich ein Berliner Start-Up auf Design und Nachhaltigkeit. Das Carbon 1 Mk II ist das weltweit erste kommerzielle Android Smartphone mit einem ultraleichten Gehäuse aus überschüssigem Hightech-Material. Dadurch ist das Gerät besonders flach und leicht. Ich konnte das schicke Telefon im Alltag testen und verrate euch, ob es seinen Kaufpreis von 799 Euro wert ist.

Dank Carbon-Gehäuse nur 127 Gramm leicht

In den letzten Jahren sind unsere Smartphones immer größer geworden. Und auch das Carbon 1 Mk II macht da keine Ausnahme. Mit 15,3 x 7,4 Zentimetern und einem 6 Zoll großen Display bietet es eine große Aktionsfläche. Gleichzeitig ist es mit 6,3 Millimetern erfreulich dünn und damit auch leicht. Möglich wird dies durch ein neu entwickeltes Carbon-Gehäuse mit leuchtendem Emblem. Ursprünglich im Rennsport und in der Luftfahrt eingesetzt, findet der Hochleistungs-Werkstoff mit dem Carbon 1 Mk II den Weg in die Elektro-Technik.

Der Einsatz der Kohlenstoff-Faser ist alles andere als selbstverständlich, denn sie wirkt isolierend gegenüber Funkwellen. Ein Unding bei Mobiltelefonen. Das Entwicklerteam um Firas Khalifeh hat deshalb über einen Zeitraum von vier Jahren ein spezielles Monocoque konstruiert, das im Bereich der Antennen Kunststoffsegmente besitzt. Die manuelle Fertigung im neuartigen HyRECM-Verfahren ist innovativ und zudem umweltfreundlich: Zum Einsatz kommen die Überschnitte der Carbon-Gewebe für industrielle Bauteile, die normalerweise im Müll landen. Durch den speziellen Wannen-Aufbau ist das Android-Smartphone besser recyclebar als andere Geräte und besteht aus nur fünf Prozent Kunststoff.

Auf der Seite des Carbon 1 Mk II befindet sich neben Fingerabdrucksensor Powerbutton und Lautstärketasten.
Auf der Seite des Carbon 1 Mk II befindet sich neben Fingerabdrucksensor Powerbutton und Lautstärketasten. Image by Jonas Haller

Die Haptik des Carbon 1 Mk II ist im ersten Moment gewöhnungsbedürftig, denn durch das geringe Gewicht wirkt es auch weniger wertig als aktuelle Konkurrenzprodukte. Doch bereits nach wenigen Minuten Nutzung hat man sich daran gewöhnt und mein Daily Driver, das Apple iPhone 11 Pro, ähnelt im händischen Vergleich einem metallischen Klotz. Das schmale Design fordert jedoch hinsichtlich der rechts angeordneten Buttons seinen Tribut: Sowohl Lautstärke-Tasten als auch der Power-Button sind dünn und lassen sich nur schwer fühlen. Ferner arbeitet der Fingerabdrucksensor spürbar langsamer als bei Geräten der Mitbewerber. Beim Entsperren ist Geduld gefragt.

Farbintensives AMOLED-Display überzeugt

Für einen zweiten Wow-Effekt sorgt beim Entsperren das 6 Zoll große, helle AMOLED-Display. Es löst mit branchenüblichen 2.160 x 1.080 Pixel auf und kommt im 18:9 Formfaktor daher. Die Inhalte werden für meinen Geschmack sogar etwas zu farbintensiv wiedergegeben. Ein flaches Farbprofil fehlt leider. Dafür integriert Carbon Mobile einen Nachtmodus, der die Farben in den Abendstunden wärmer erscheinen lässt. In Verbindung mit dem geringen Gewicht lassen sich im Bett Inhalte gefühlt ewig konsumieren, ohne dass das Smartphone unangenehm schwer wird. Ob das nun positiv oder negativ ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Das Display des Carbon 1 Mk II ist sehr farbintensiv.
Das Display des Carbon 1 Mk II ist sehr farbintensiv. Image by Jonas Haller

Den Rotstift hat Carbon Mobile beim leistungsstarken Prozessor angesetzt. Unter der Haube findet sich mit dem Mediatek P90 Octa-Core ein nicht wirklich konkurrenzfähiger System-On-Chip mit einer Rechenleistung bis 2,2 Gigahertz. Selbst die 8 Gigabyte Arbeitsspeicher können in Sachen Tempo nichts gut machen. Es wirkt eben wie ein zwei Jahre altes Android-Smartphone. Grund für die Entscheidung dürfte der kompakte Aufbau und der dadurch entstehende Wärmestau unter dem Carbon-Gehäuse sein. Dafür spendiert der Hersteller einen 256 Gigabyte fassenden Festspeicher mit schneller UFS 2.1 Anbindung. Eine Speicherkarte ist deshalb nicht nötig.

Gute Kamera fällt dem flachen Design zum Opfer

Das Carbon 1 Mk II ist das perfekte Smartphone für Foto-Muffel. Denn die beiden integrierten Linsen hauen ambitionierte Mobil-Fotografen nicht wirklich vom Hocker. Im Gegenteil: Das 16 Megapixel auflösende Hauptmodul ist eher eine Notlösung, wenn keine vollwertige Kamera zur Hand ist. Ähnlich wie beim Prozessor mussten die Entwickler auf das flache Design reagieren: Ein dünnes Smartphone und High-End-Spezifikationen vertragen sich eben nicht. Zumindest ermöglicht die Software dynamische HDR-Fotos und einen Beauty-Modus. Ferner landen Videos in 4K-Auflösung auf dem Speicher.

Auch Audio-Fans dürften ernüchtert am Mono-Lautsprecher lauschen. Er befindet sich wie bei den meisten Mitbewerbern auf der Unterseite des Telefons. Für das Youtube-Video zwischendurch ist er gut nutzbar, mehr aber auch nicht. Musik klingt blechern, wie man es eben von einem Lautsprecher dieser Größe erwartet. Weiterhin verzichtet der innovative Hersteller wie auch andere Mitbewerber auf einen Klinkenstecker. Der Sound landet also lediglich kabellos per Bluetooth 5.0 auf den Ohren der Nutzenden.

Funkqualität außerordentlich gut

Wie bereits erwähnt war es für die Ingenieure eine Herkules-Aufgabe das strahlenisolierende Carbon-Gehäuse mit entsprechender Antennentechnik auszustatten. Im Test war von dieser Herausforderung nichts spürbar. Denn die Empfangsleistung – etwa im WLAN-Bereich – war selbst an Orten, an denen das Apple iPhone 11 Pro an seine Grenzen stößt, außerordentlich gut. Durch den Fokus auf das Thema Funkqualität konnten also bessere Ergebnisse erzielt werden als bei leistungsstärkeren Mitbewerber-Geräten. Daumen hoch!

Durchschnittliche Werte erreichte das Carbon 1 Mk II in Sachen Akkuleistung. Der Berliner Hersteller integriert ein 3.000 mAh fassendes Modul, das gut über den Tag hilft. Nicht mehr und nicht weniger. Für die Zielgruppe könnte sogar eine längere Laufzeit möglich sein. Neue Energie erhält der Akku per USB-C-Anschluss. Aus Umweltgründen verzichtet Carbon Mobile auf die Beigabe eines Netzteils. Dafür gibt’s ein robustes Kordel-Kabel.

Neben dem Mono-Lautsprecher findet sich auf der Unterseite ein USB-Anschluss zum Laden des Akkus.
Neben dem Mono-Lautsprecher findet sich auf der Unterseite ein USB-Anschluss zum Laden des Akkus. Image by Jonas Haller

Stock-Android mit kleinen Anpassungen vorinstalliert

All jene, die in den nächsten Wochen die “Founders Edition” erhalten, müssen mit dem angestaubten Android 10 Vorlieb nehmen. Erst im Laufe des zweiten Quartals soll die Version 11 auf das Carbon 1 Mk II ausgerollt werden. Google-Fans kommen schnell mit der gewohnten Oberfläche zurecht. Alles ist an seinem Platz und Carbon Mobile hat nur wenige Anpassungen getroffen. Tief im Code ist mit DuraSpeed ein Optimierer von MediaTek verankert, der oft genutzte Apps im Hintergrund lädt und so die Performance verbessert.

Ferner spendieren die Entwickler das sogenannte Carbonizer Center, in dem über aktuelle Entwicklungen berichtet wird und das Community Forum beherbergt ist. Vermisst habe ich im Test lediglich die Gestensteuerung: Jede Aktion muss per Fingertipp ausgeführt werden. Schnelles Wischen nach rechts oder links für “Vor” und “Zurück” ist leider Fehlanzeige. Aber Software lässt sich ja bekanntlich schnell updaten.

Fazit Carbon 1 Mk II: Ein interessantes Smartphone für die Nische

Ein Jahr nach dem eigentlichen Release ist das Carbon 1 Mk II endlich hierzulande verfügbar. Lockdown und Produktionsengpässe hatten einen früheren Marktstart des innovativen Smartphones verhindert. Und doch ist es auch in 2021 ein einzigartiges Gerät: Das Carbon-Monocoque sorgt nicht nur bei Rennsport-Fans für offene Münder. Man hat beim Nutzen den berühmten Hauch von Nichts in der Hand und so ein ganz besonderes Nutzungserlebnis.

Das Carbon-Monocoque wird nach dem neuen HyRECM-Verfahren hergestellt.
Das Carbon-Monocoque wird nach dem neuen HyRECM-Verfahren hergestellt. Image by Carbon Mobile

Leider trübt die abgespeckte Hardware die User Experience. Das Carbon 1 Mk II wirkt behäbig, Features wie Kamera oder Lautsprecher sind nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit. Zumindest werden die Inhalte auf dem AMOLED-Display ansprechend wiedergegeben. Das kann man für den aktuellen Kaufpreis von 799 Euro jedoch auch verlangen. Und so lohnt sich das erste Smartphone von Carbon Mobile vor allem für Liebhaber:innen und Individualist:innen, die eben kein Smartphone von der Stange nutzen möchten. Alle anderen sollten auf die nächsten Modelle des aufstrebenden Berliner Start-ups warten.


Images by Carbon Mobile and Jonas Haller

arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Chemnitz und erforscht unter anderem 3D-Druckverfahren. Die technische Vorschädigung tut dem Interesse zum mobilen Zeitgeschehen und der Liebe zur Sprache jedoch keinen Abbruch – im Gegenteil. Durch die Techsite HTC Inside ist er zum Bloggen gekommen. Zwischendurch war er auch für das Android Magazin aktiv. Privat schreibt er auf jonas-haller.de über die Dinge, die das Leben bunter machen. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: , , , ,