Smarte Unterhaltungs- und Haustechnik boomt. Doch auf dem Weg zum wirklich intelligenten Heim kann der derzeitige Hype nur eine Zwischenphase sein. Denn meistens beschränkt sich der smarte Aspekt darauf, dass Verbraucher WLAN-fähige Glühbirnen oder Heizungsthermostate per Smartphone-App oder Sprachbefehl steuern. Das ist modern aber immer noch sehr manuell. Richtig intelligent wäre es, wenn das Zuhause automatisch weiß, wann es zu leuchten und heizen hat. Solche automatischen Abläufe einzurichten, geht zwar mit der aktuellen Technik viel einfacher und günstiger als früher, fällt aber selbst Enthusiasten noch nicht leicht. Das Startup Conrad Connect will das ändern.
Auf der Webseite von Conrad Connect können Verbraucher smarte Produkte verschiedener Hersteller per Drag-and-Drop verknüpfen. Dadurch können sie nicht nur ihr Heim, sondern ihren gesamten Alltag intelligent steuern lassen. Conrad Connect spricht daher auch von Smart Living statt Smart Home. Nach dem Start in 2016 und dem Ausbau der Plattform im vergangenen Jahr, will die Tochter des Elektronik-Händlers Conrad im Jahr 2018 groß durchstarten und die Hausautomation massentauglich machen. Wir sprachen mit Andreas Bös, Senior Director der Conrad Connect GmbH, über die Pläne für die Plattform und die Zukunft des Smart Living.
Netzpiloten: Andreas Bös, Smart Living soll das Leben sicherer und komfortabler machen und auch ganz handfest Geld sparen, Heizkosten zum Beispiel. Klingt toll, warum leben wir nicht längst alle in einem Smart Home?
Andreas Bös: Das Thema Smart Home hat den Durchbruch noch nicht geschafft, weil viele Hersteller die Menschen mit den neuen Funktionen überfordern. Außerdem ist die Techniklandschaft sehr heterogen, sodass vieles nicht auf Anhieb zusammenpasst. Und dann stellen sich die Konsumenten natürlich die Frage, ob das alles zukunftssicher ist und ihre jetzige Investition nicht vielleicht schon bald wieder veraltet ist.
Warum gelingt es den jeweiligen Herstellern nicht, diese Zweifel zu entkräften?
Viele Anbieter schauen aus nachvollziehbarem Interesse nicht über den Tellerrand, sondern kommunizieren nur die Vorteile ihrer eigenen Lösungen. Und das zum Teil auch noch sehr abstrakt. Wir sind überzeugt, dass Technik noch viel einfacher erklärt werden muss, und zwar bezogen auf die Lebensrealität der Anwender. Die Probleme sind aus Sicht von Technik-Experten manchmal erstaunlich trivial. Zum Beispiel möchten manche Verbraucher sich einfach nur in einer Fitness-Challenge mit ihren Freunden messen. Das scheitert dann oft schlicht daran, dass sich die Fitness-Tracker verschiedener Hersteller untereinander nicht verstehen.
Was will Conrad Connect daran ändern?
Als Spin-Off von Conrad Electronics sind wir bei Conrad Connect von der DNS her Händler, kein Hersteller. Daher sind wir nicht produktverliebt, sondern offen für Lösungen. Mit dieser Herangehensweise wollen wir die Hausautomation endlich für alle bedienbar machen. Das Konzept gibt es seit 20 Jahren. Und immer noch steht es am Anfang. Aber die Zeit ist jetzt reif für den Durchbruch. Mit der Plattform von Conrad Connect ermöglichen wir, intelligente Geräte, Apps und Webdienste über ein frei konfigurierbares Dashboard im Webbrowser miteinander zu vernetzen – und das auch herstellerübergreifend. Einfach durch Drag-and-Drop, so wie es Anwender vom Computer gewohnt sind. Dadurch lassen sich komplexe Abläufe sehr einfach automatisieren.
Weil viele Menschen an den gleichen Abläufen interessiert sind, ist es möglich, diese als bestehende Projekte aus einem Katalog herunterzuladen oder selbst erstellte Projekte mit einer Community zu teilen. All diese Aspekte gelten übrigens nicht nur für das Smart Home. Wir sehen uns als Plattform für Smart Living, die das Potenzial hat, jeden Lebensbereich – also auch über die eigenen vier Wände hinaus – intelligent zu vernetzen und das Leben der Nutzer so zu bereichern.
Mit Amazon Alexa, Google Home oder Apple HomeKit gibt es doch schon drei populäre Plattformen für Konsumenten, mal ganz zu schweigen von den unzähligen Smart-Home-Standards. Wie will sich Conrad Connect angesichts dessen positionieren?
Wir sehen uns nicht als direkte Konkurrenz zu Amazon und Google, sondern als Bindeglied. Amazon Alexa und Google Home sind genauso eingebunden in Conrad Connect wie herstellerspezifische Produktserien von Marken wie Philips, Fitbit, Nest, Netatmo und Nokia. Nur HomeKit ist übrigens außen vor, weil Apple auf ein geschlossenes System setzt. Wir sehen uns in einer Meta-Position und bezeichnen uns deshalb auch als „IoT-Plattform für Smart Living“. Außerdem sind die Lösungen von Amazon, Google und Apple noch sehr stark darauf fokussiert, smarte Funktionen per App oder Stimme zu steuern. Das kann nicht die Zukunft des Smart Home sein.
Was spricht gegen die Steuerung per App oder Sprache?
Grundsätzlich nichts. Aber wenn wir im Wortsinne von einem Smart Home, also einem intelligenten Heim reden, muss das Ziel sein, eine App gerade nicht nutzen zu müssen. Heimautomatisierung ist ja dann erst wirklich smart, wenn sie nicht von Nutzerhand gesteuert wird. Daher ist es unser Anspruch, eine Lösung zu schaffen, die keines manuellen Eingriffs bedarf. Nutzer von Conrad Connect richten sich ihren Ablauf einmalig per Web-App ein – und müssen danach das Projekt im besten Fall nie wieder aufrufen.
Conrad ist mit 1 Milliarde Umsatz, 4.000 Beschäftigten sowie Filialen in mehreren Ländern Europas ganz klar im Elektronik-Handel verwurzelt. Warum der Quereinstieg in das unbekannte Terrain von Smart-Living-Dienstleistungen?
Conrad beobachtet den Markt sehr genau und probiert mit der extra dafür eingerichteten Abteilung Business Innovation auch viel aus. Aus dieser ist Conrad Connect Anfang 2016 hervorgegangen. Das war ganz klar eine strategische Entscheidung. Die Wertschöpfung im Markt für Consumer Electronics verlagert sich zunehmend von der Hardware ins Virtuelle. Bisher sind Händler von diesem „Enabler“-Geschäft abgeschnitten. Eine Plattform wie die von Conrad Connect ist eine Möglichkeit, in dieser neuen Marktkonstellation wieder eine aktive Rolle einzunehmen und als Bindeglied zwischen dem Kunden und den Webservices der Produkthersteller zu fungieren.
Wie sieht das Geschäftsmodell von Conrad Connect aus?
Unser Ziel ist, ein Freemium-Modell zu etablieren. Conrad Connect ist für den Nutzer derzeit komplett kostenlos. Die Grundfunktionen werden das auch immer bleiben. Ab 2018 werden wir einen kostenpflichtigen Pro-Account einführen, mit dem Nutzer mehr Möglichkeiten erhalten, beispielsweise viel mehr Dashboards einrichten können und Ähnliches. Zudem werden wir im kommenden Jahr einen Community-basierten Marketplace geben.
Was soll dort gehandelt werden?
Im Zentrum wird die Möglichkeit stehen, Experten zu beauftragen, die Dashboard-Daten zu analysieren. Denn die eigenen Daten transparent einsehen zu können, ist das eine. Daraus sinnvolle Schlüsse zu ziehen, das andere. Naheliegend ist die Auswertung des Energieverbrauchs mit anschließenden Spartipps. Denkbar ist aber auch, dass ein Tierarzt Bewegungsdaten des Haustiers interpretiert. Fitness-Tracker gibt es schließlich längst nicht mehr nur für Menschen. Ein weiteres Beispiel: Versicherungen könnten anhand von Verbrauchsdaten und einem Geräteinventar passgenaue Tarife für die Hausratsversicherung erstellen.
Naheliegend ist auch ein Affiliate-Modell: Werden Sie als Conrad-Tochter Nutzer zum Online-Shopping bei Conrad animieren?
Das ist nicht das primäre Ziel. Wir wollen uns unabhängig aufstellen. Aber ein Affiliate-Modell ist durchaus denkbar. Das muss jedoch nicht allein zu Conrad führen. Es ist auch eine Art Cloud-Basket denkbar. Kunden legen alles dort hinein, was sie kaufen wollen. Conrad Connect zeigt dann an, wo die Artikel am günstigsten sind. Das könnte dann auch Amazon sein. Wir sind als ausgegründete GmbH ja gerade unabhängig, damit wir schnell auf den Markt reagieren und eigenständig wachsen können.
Wie groß wollen Sie denn werden? Was ist die Vision von Conrad Connect?
Wir sehen uns jetzt schon als führende Plattform in unserem Bereich. Seit Jahresbeginn hat sich die Zahl der angemeldeten User auf 100.000 verzehnfacht. Sowohl in Deutschland als auch im europäischen Ausland sehen wir noch großes Wachstumspotenzial. Ein nächster großer Schritt ist die Integration in die Webangebote von Kooperationspartnern. Künftig werden Online-Händler die Projekte von Conrad Connect in ihr Frontend einbauen können. Dann ist es denkbar, dass ein Kunde mit einem Klick bei Amazon alle Produkte kaufen kann, die nötig sind, um ein bestimmtes Projekt der Conrad-Connect-Community umzusetzen.
Das klingt nach der Demokratisierung des Smart Home. Müssen sie dafür die technische Einstiegshürde nicht noch viel niedriger schrauben?
Wir sind überzeugt, dass wir die Heimautomation so stark vereinfachen können, dass sie auch für die Masse jenseits der Early Adopter attraktiv wird. Aber natürlich wird unsere Zielgruppe immer aus Kunden bestehen, die technisch interessierter sind als der Durchschnittsbürger. Aber auf eine simple Formel gebracht: Wer eine Option aus einem Dropdown-Menü auswählen kann, wird auch die Heimautomation mit Conrad Connect beherrschen können.
Andreas Bös, vielen Dank für das Gespräch.
Images by Berti Kolbow-Lehradt; Conrad Connect
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