In Großstädten ist Coworking bereits ein fest verankerter Trend in der Arbeitswelt (auch wenn es noch nicht jeder kennt), die nächste Herausforderung wird deshalb das Land sein. Städte wie Berlin, Barcelona, San Francisco und New York haben bereits jetzt mehr Coworking Spaces als jemand Interessiertes wohl in einem Jahr in Ruhe erkunden könnte. Ständig eröffnen neue Coworking Spaces und auch wenn die meisten Menschen noch nichts davon mitbekommen haben, ist das Thema in der urbanen Arbeitswelt angekommen. Seit letztem Jahr lässt sich weltweit das Vordringen von Coworking Spaces in den ländlichen Raum beobachten, was das Leben und Arbeiten der Menschen auf dem Land mehr verändern könnte als das in den Städten.
Diesen Sommer reiste ich mit meiner Freundin für zwei Monate durch Europa und besuchte Coworking Spaces in zehn verschiedenen Ländern. Wir hielten uns auf der Reise vornehmlich in Städten auf, erledigten unsere alltägliche Arbeit aus den Coworking Spaces, die wir zugleich porträtierten, und genossen unseren Feierabend an den mit unter schönsten Orten dieses Kontinents. Unsere durch das Internet von Orten losgelöste Arbeit und die hervorragende Infrastruktur ermöglichten es uns, alle paar Tage eine neue Stadt, ihre Sehenswürdigkeiten und Coworking Spaces, zu erkunden.
Coworking als Chance zur Umkehrung der Landflucht
In Lyon lernten wir Julie Pouliquen kennen, die zusammen mit ihrem Partner Michael Schwartz das französische Coworking-Netzwerk La Cordée gegründet hat. Es fing mit einem Coworking Space in Lyon an, bald waren es vier Spaces und dann fingen die Mitglieder an, sich neue Ableger von La Cordée in anderen Städten zu wünschen. So kam es, dass Julie und Michael in der französischen Kleinstadt Morez ein Coworking Space auf dem Land eröffneten. Die Wahl fiel auf den nahe der Schweizer Grenze in einem engen Quertal im Hochjura gelegenen Ort, da dieser sich auch um La Cordée bemühte und ein Coworking Space für seine fast 5.000 Einwohner schaffen wollte.
Das Coworking Space nach Morez zu holen beruhte auf dem Engagement verschiedener öffentlicher und privater Akteure in der Region, wie Olivier Menard erklärt, der schon das La Cordée am Gare du Lyon in Paris mit aufbaute, dem ersten Ableger von La Cordée außerhalb Lyons. Laurent Petit, der Bürgermeister von Morez, spielte dabei eine entscheidende Rolle. Eine Wirtschaftsstudie über die Region zeigte, dass in Morez sowohl die Voraussetzungen für die sogenannte Telearbeit vorhanden waren und dass ein Coworking Space der Region nützen könnte, denn „die ortsunabhängig arbeitenden Telearbeiter könnten aus ihrer Isolation heraus geholt werden und ein Netzwerk schaffen“, wie Petit betont.
Doch es ging Morez nicht nur um die Leute vor Ort. Diese haben nun die Möglichkeit, einen vielleicht von Morez losgelösten Beruf nachzugehen und trotzdem dort zu bleiben. Zugleich entsteht ein Ort zur Vernetzung für die bereits vorhandene Kreativszene der Region. Und ein Coworking Space kann gerade auch außerhalb der für den Tourismus wichtigen Saison ein Besuchermagnet sein, bietet er doch ortsunabhängig arbeitenden Menschen die Möglichkeit, sich auch in einer ländlichen Region länger aufzuhalten, ohne berufliche Nachteile zu haben.
Renaissance der Region durch Coworking
Doch abseits der romantischen Vorstellung von Arbeit, mit gutem WLAN und Blick auf die Alpen, sind ländliche Region gerade in Europa wichtige Orte, denn der Großteil der Bevölkerung lebt außerhalb von Metropolen und Ballungsräumen. Selbst in einer Industrienation wie Deutschland leben rund 70 Prozent der Menschen auf dem Land. „Die Renaissance der Region“, wie es Gerald Swarat in einem Artikel auf Politik-Digital.de formuliert, „würde für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Lebensqualität der Menschen langfristige Vorteile bringen.“
Einen Eindruck davon kann man sich im oberbayerischen Bad Tölz machen. Hier hat Marco Tunger vor sechs Jahren das Coworking Space Heimat 2.0 eröffnet. Eine 220 Quadratmeter große Immobilie im ersten Stock eines alten Brauhauses erwies sich als viel zu groß für seine Werbeagentur, weshalb er sich aus ganz pragmatischen Gründen für den damals nur in größeren Städten bekannten Trend Coworking entschied. „Was in München funktioniert, kann auch hier klappen“, erklärte mir Tunger im Gespräch. Und er sollte Recht behalten, denn in und um Bad Tölz gibt es ungefähr 1.300 Freiberufler, die nun einen Ort hatten, durch den sie dem Schreibtisch im eigenen Zuhause entfliehen und sich treffen konnten.
Auch hier, genau wie in Morez, unterstützte die Gemeinde und die lokale Wirtschaft das Coworking Space. Denn ein Ort zur Vernetzung ist auch eine wirtschaftliche Chance, wie der in Heimat 2.0 beheimatete 3D-Grafiker und Filmemacher Clemens Maucksch betont. Er kam in der Hoffnung auf neue Aufträge durch die Zusammenarbeit mit anderen Coworkern, wozu es sogar mit Tungers Werbeagentur kam, und bleibt vor allem wegen der kreativen und produktiven Arbeitsatmosphäre. Gemeinden profitieren davon genauso, denn die Menschen müssen für besser bezahlte Tätigkeiten die Region nicht mehr verlassen, bzw. können vor Ort solche Berufe entwickeln, und bleiben damit als engagierte, motivierende und vor allem Steuer zahlende Wirtschaftsteilnehmer erhalten.
Dazu kommt das Leben auf dem Land, welches ein oft höheres Lebensniveau als das in den Städten aufweist. Gerade in Bad Tölz, zwischen den Bergen an der Isar gelegen, kann man sich davon einen Eindruck machen. Inzwischen gibt es auch in der Schweiz und außerhalb von Paris und Berlin neue Coworking Spaces, die bewusst aufs Land gezogen sind.
Image (adapted) “Rapsfeld” by Daniel Schiersner (CC BY 2.0)
Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: Arbeit, Arbeitswandel, coworking, Coworking Space, Land, Smart Country
2 comments