Der Pressetext zu „Zero Days“ lässt Schlimmes vermuten. Denn es wird nicht weniger als die Grundlage des dritten Weltkriegs enthüllt: das Internet. So übertrieben-eindimensional diese Aussage auch anmutet, Oscar-Preisträger Alex Gibney („Taxi to the Dark Side“) scheint alles andere als verlegen um eine klare Positionierung. Der Regisseur von „We Steal Secrets: Die WikiLeaks Geschichte“ und „Scientology: Ein Glaubensgefängnis“ führt eindeutige Argumente an, dass sich die nächsten zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen vor allem im virtuellen Raum abspielen werden. Am Beispiel des Stuxnet-Virus wird beleuchtet, welche Macht von Geheimdiensten ausgeht, welche Bedeutung das Warten auf den richtigen Angriffszeitpunkt hat und wieso sich dennoch unkontrollierbare Nebeneffekte ergeben können.
Aufhänger für die Thriller-Doku ist das iranische Atomprogramm, das Mahmud Ahmadinedschad 2005 an die Spitze des Staates beförderte. Die Republik erhoffte sich offiziell neue Wege der Energieversorgung zu erschließen, steht jedoch seit jeher im Verdacht an Atomwaffen zu forschen. Um Letzteres zu verhindern, verschafften sich die USA und Israel technischen Zugang zu allen relevanten Infrastrukturen des Landes – einschließlich zu den streng bewachten Anlagen zur Urananreicherung. Dass dies überhaupt rauskam, ist laut NSA-Insidern dem übereifrigen israelischen Geheimdienst Mossad zu verdanken, der einen perfekten (weil unauffindbaren) Code ohne Absprache noch aggressiver auftreten ließ. Obwohl der Virus nun seit Jahren seine Aufgabe erfüllte, die Steuereinheiten in den Uran-Fabriken zu schädigen und damit den Iran bei seinen Atom-Bemühungen auszubremsen, machte die Version-auf-Steroiden 2010 unbeabsichtigt die Runde. Binnen weniger Tage verbreitete sich das besagte Schadprogramm Stuxnet selbstständig auf Millionen von Windows-Rechnern und zwang die Geräte zum Herunterfahren. Das Chaos war perfekt!
Seit seiner Entdeckung wurden in den USA Millionen in die Ursachenforschung und Strategien zur Beseitigung investiert – und das, obwohl sie selbst laut „Zero Days“-Dokumentation Urheber von Stuxnet sind. Doch zum Zwecke der Geheimhaltung des offensichtlich kriegerischen Aktes gegen den Iran scheint man diese Kosten in Kauf zu nehmen. Die Sabotage diente dem größeren Zweck: nämlich im Falle einer Auseinandersetzung zwischen Iran und Israel dem Bündnispartner nicht in den Krieg folgen zu müssen. Dafür hätte das amerikanische Volk nach Afghanistan kein Verständnis aufbringen können. Und so hieß es: dem Gegner zuvorkommen, Spuren verwischen und hoffen, dass die Tat nie herauskommt. Insbesondere hier hätte man sich etwas mehr Genauigkeit in der Doku gewünscht, da ein aus dem Kontext gerissenes und falsch übersetztes Zitat von Ahmadinedschad („Israel must be wiped off the map“) als Begründung der Angst vor einem iranischen Angriff angeführt wird. Es ist jedoch hinlänglich bekannt, dass sich das Staatsoberhaupt auf einen Regimewechsel bezog und einen Führer der Islamischen Revolution vor vierzig Jahren zitierte. Regisser Alex Gibney verwendet den Ausschnitt – aber ohne Kontext, und damit nur mit dem Vorsatz, seine Argumente zu untermauern.
Besser gelingt Gibney dagegen die Veranschaulichung der Bedeutung eines drohenden Cyberwar. Innerhalb der fast zweistündigen Laufzeit ist es ihm ein besonderes Anliegen, eine Diskussion über Sicherheitsvorkehrungen und globale Regeln anzustoßen, damit Staaten nicht einfach das Recht des Stärksten durchsetzen. Er entwickelt den Gedanken einer unabhängigen Kontrollinstanz, die über Methoden der digitalen Kriegsführung Bescheid weiß und vor allem informiert werden muss, wozu die Länder im Stande sind. Das scheint zwar heute noch undenkbar, jedoch galt dasselbe auch vor Jahrzehnten noch für Atom- und Chemiewaffen.
1953 wurde schließlich die Internationale Atomenergie-Organisation (kurz: IAEO) als Partner der Vereinten Nationen ins Leben gerufen, die bis heute den Verbleib jedes einzelnen Gramms Uran verzeichnet. Seit die Erlaubnis der Anreicherung also mit der Kontrolle durch ein Aufsichtsgremium verbunden ist, scheint die Welt ein Stück sicherer geworden zu sein. Im virtuellen Raum erhofft sich Alex Gibney nun etwas Ähnliches. Denn nur, wenn wir als Bevölkerung über die Hintertürchen der Regierungen Bescheid wissen, könnten wir überhaupt einschätzen, was vor sich geht. Die aktuellen Ereignisse um staatliche Computerviren und Whistleblower wie Edward Snowden sorgen nämlich vor allem für Unverständnis.
Es sollte klar sein, dass derartige Geheimoperationen, wie die Infiltration aller iranischen Infrastrukturen durch USA und Israel, ein denkbar schlechtes Vorbild sind – sowohl für Nachahmer-Staaten, als auch für kriminelle Gruppen. Es sollte mit keinem Recht vereinbar sein sich Zugang zu Aus-Schaltern für lebenswichtige Versorgungsapparate wie Wasser und Strom zu verschaffen. Und für diese Debatte leistet „Zero Days“ einen wichtigen Beitrag.
Die Dokumentation läuft am 1. September für eine Woche im Kino an, bevor sie danach schon auf den Video-on-Demand-Plattformen zum Abruf bereit steht. Das Anschauen lohnt sich, weil hochrangige Geheimnisträger nicht die Einzigen sein sollten, die über Recht und Unrecht entscheiden.
Image: Zero Days by DCM Filmverleih
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