Das Digitale Denken

Unlängst finden Debatten statt, inwiefern die Digitalisierung der Gesellschaft einen Nutzen bringt. Mittlerweile haben sich unterschiedliche Disziplinen mit dem Thema befasst. Verschiedene Parteien haben sich gebildet und ihre Anhänger positionieren sich. Es wird eifrig geschrieben und hart gebattlet. Während die einen von einem neuen Zeitalter schwärmen, verkünden die anderen das Ende der zivilisierten Welt. Ganz im Sinne von Kraus´ Endzeit Epos befinden wir uns im Niedergang. Eine digitale Übermacht droht nämlich unsere geistige Existenz zu vernichten, so die Kritiker, Defätisten und Verweigerer. Neulich entdeckte ich einen Kommentar („Wir Fingerwesen- eine Kritik der Digitalisierungsideologie“) in der Neuen Zürcher Zeitung über zügellose Umtriebe digitaler Machenschaften. Es klang wie eine unheilvolle Prophezeiung, wie ein verzweifelter Aufruf an eine leblose Leserschaft. Bevor wir aber in ferne Parallelwelten vorstürmen und herumspekulieren: Pioniere der Neuzeit, Transhumanisten und Anhänger neuronaler Schaltkreise – Macht euch auf die dunkle Seite gefasst.

Digitalisierungsideologie

Im Kommentar ist nämlich die Rede von Digitalisierungsideologie und Homogenisierung. Gemeint ist damit die Epidemiologie der Gesellschaft durch künstliche Intelligenz. Den einzigen Nutzen sehen die Kritiker in praktischen und alltäglichen Dingen, während die Mär von „We make life better“  bloß eine Phantasmagorie sei, die Erleichterung mit Fortschritt verwechsle. Wir seien zu Fingerwesen verkommen, da nur noch das Tippen und Wischen mit dem Smartphone unser Handeln und Tun bestimme. Wir würden subtil gesteuert und versklavt. Der freie Wille und das Bewusstsein würden dadurch sukzessive abgeschafft, die Eigenständigkeit des Denkens und unsere Handlungsfähigkeit dezimiert. Dies führe langfristig zu einer Vereinheitlichung des Menschen und letztendlich zu seiner Abschaffung. Digitalisierung könne darüber hinaus keine gesellschaftspolitischen Lösungen anbieten. Eine ominöse Herrschaft, die er mit Intelligenzen tituliert, bemächtige sich der Vorteile und ziehe materiellen Nutzen, während der Rest der Gesellschaft in der Einfallslosigkeit monotoner Tastaturwischerei verschwinde. Die Lösung sei „natürliche“ Intelligenz zu fördern.

Das Unbehagen

Der Autor zeichnet das Bild einer debilen, vollkommen desillusionierten Menschheit nach, welche durch die zunehmende Digitalisierung allmählich in eine irreversible Schieflage gerät, bevor sie im Datensumpf undurchsichtiger Codes und Zahlen versinkt. Ziemlich düstere Aussichten und eine befremdliche Entwicklung würde ich behaupten, angesichts vieler Tatsachen die unerwähnt bleiben. Die Kritik wirkt auf mich stellenweise grotesk und einseitig, stellenweise aber auch nachvollziehbar. Es gibt Tendenzen die absolut beunruhigend sind. Geistige Amputation ist zweifellos eine schlimme Sache, manchmal vergisst man aber die Wahrheit. Ist diese Angst der Einverleibung begründet? Oder unterliegen wir wieder der maßlosen Hysterie unserer Eindrücke, die diese Ängste schüren?

Dystopien

Hybridwesen sind längst Realität. Anderes wiederum könnte in Zukunft Wirklichkeit werden. Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek etwa sinniert in einem Beitrag in der NZZ („Das Ende der Menschlichkeit“) über Formen der Symbiose als nächste Evolutionsstufe. So stelle man sich eine Maschine oder Apparatur vor, die nahezu fehlerfrei arbeitet und mehr von uns weiß als wir selbst. In diesem digitalen Hirn, so Zizeks Gedankenexperiment, wird unser komplettes Ich erfasst, selbst unsere Stimmungen, Ängste und Bedürfnisse.

Es beinhaltet jedes erfassbare Detail und ergibt ein Gesamtbild, das dem Selbstbild nicht nur ähnelt. Es ist praktisch ident mit ihm, mit dem Unterschied, dass es als Einheit besteht, während das Menschen-Selbst amorph lebt und nur eine brauchbare Fiktion darstellt, um uns zu beschreiben. Ein beunruhigender Gedanke, wie ich spontan urteile. Er sieht darin aber zuerst einmal ungeahnte Möglichkeiten. Da der Mensch in seinen Gedanken oft diffus bzw. strukturlos vorgehe, habe er oftmals keine klare Vorstellung über seine Absichten, sobald er sie artikuliert. Die Abrufgewalt ist auch nicht immer verfügbar. Zu viele Faktoren behindern ihn dabei.

Daten und Variablen

Diese Inkohärenz des Selbst wirke sich auf unsere Entscheidungen aus und entspreche nicht immer der äußeren Realität. Die Maschine hingegen könne die gesammelten Eindrücke und Inhalte besser eruieren, da es zunächst die Daten liest und unnötige Variablen ausschließt. Mir scheint als würde man dem Menschen hier einiges an Unvermögen attestieren. Doch lesen wir weiter. Diese Erkenntnis könnte schließlich auch auf andere Bereiche erweitert werden. Konkret spricht er von politischen Wahlen. Die Maschine würde demnach alle Faktoren ausrechnen und ein fertiges Ergebnis präsentieren. Sie sei rationaler als der Mensch.

Es sei daher auch möglich, dass die Maschine bessere Entscheidungen trifft als der Mensch. Sobald er aber die Entscheidungsmacht abgibt oder weiter delegiert, verliert er einen Teil seines Selbst. Dem Menschen entgleite damit die Kontrolle. So führe die Digitalisierung der Gesellschaft schrittweise zum Selbstverlust. Folglich diene sie auch der Menschheit nur begrenzt.

Die Mensch-ine

Vieles scheint obsolet. Mein Unmut ist davon ausgenommen. Die Mensch-ine entwickelt sich zu einem Überwesen, während die Biomasse Mensch zu einem Geisterwesen schrumpft. Wie weit ließe sich so eine Supermaschine weiterentwickeln? Wer hätte Zugriff darauf? Die Rede ist vom Homo deus, einer gottähnlichen Maschine, die unumschränkte Macht besitzt. Zizek befürchtet, dass solche Maschinen innerhalb der Gesellschaft zu Konflikten führen könnten. Auf der Suche nach Optimierung würden sie zur grenzenlosen Bedrohung ausarten.


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hat Theater-, Film-, Medien und Philosophie an der Universität Wien studiert. Zur Zeit arbeitet er bei den Netzpiloten und macht zusätzlich ein Dokotoratsstudium am Institut für Philosophie.


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