Es hat es nur selbst noch nicht gemerkt.
Gastbeitrag von Sebastian Sooth.
Eine Fernsehsendung, die sich einem speziellen Thema widmet, die jede Woche aus einem Studio mit Publikumsbeteiligung gesendet wird, jede Woche Gäste einlädt, unter der Woche Menschen vor Ort besucht und kleine Einspieler draus macht – eingebettet in eine dokufiktionale Fortsetzungsgeschichte um ein junges Paar, das gemeinsam ein Café mit Internetzugang betreibt und während der Sendung live mit dem Publikum chattet. Das Ganze begleitet von einer Internetcommunity, einer umfangreichen Infowebsite mit weiterführendem Material zur Sendung, einem Themenheft zu jeder Folge und ergänzenden Texten in gedruckten Zeitungen. So könnte intelligentes Fernsehen aussehen, wenn es neben der Funktion als reine Abspielinfrastruktur für Filme, Serien, Boulevardformate und vor allem Werbung jeglicher – vor allem schlechter – Qualität überleben will.
So sah Fernsehen aus, im Jahr 1998. Als die Carsten Krüger Film- und Fernsehproduktion jeden Sonntag für 3sat das Terranetcafé (Link auf Archive.org) zum Thema Umwelt und lokale Agenda 21 produzierte. Das war vor zehn Jahren. Nach einer Staffel wurde die Sendung eingestellt. Vergleichbare Formate sucht man auch heute noch mit der Lupe.
Das Fernsehen versendet seinen eigenen Tod.
„Ja, Moment!“, höre ich da. „Wir haben gerade die EM. Das Fernsehen verbindet Menschen. Überall ertönt es aus den Wohnungen, die Menschen sitzen auf Straßen und Plätzen. Sie schauen gemeinsam die Fußball-Übertragungen. Oder sonntags: Da treffen sich Menschen in Kneipen, um gemeinsam Tatort zu sehen.“ Nein. Das ist nicht Fernsehen. Das ist Fußball. Das ist ein Film. Fernsehen ist dabei zum reinen Übertragungsmedium degradiert. Beobachten Sie genau, was in der Halbzeit und nach dem Spiel passiert beim Public Viewing: Niemand schaut das Begleitprogramm. Aber die Menschen reden miteinander.
Fernsehen heute lebt nur noch von seiner künstlichen Verknappung
Niemand käme auf die Idee, man dürfte einen Text nur zu einer bestimmten, von einem unerreichbaren Programmdirektor vorgegebenen Zeit lesen. (Oh, doch: Die Onlineangebote der großen Zeitungen. Na gut. Aber diese wird dasselbe Schicksal ereilen.) Wer einmal eine Apple TV mit einem Zugang zum (leider noch nicht sehr umfangreichen) Angebote des Amerikanischen iTunes Stores in Aktion gesehen hat, bekommt eine kleine Vorstellung davon, wie das on-demand Schauen bewegter Bilder in Zukunft aussehen kann. Und was da noch kommen wird.
Das große Rauschen
„Aber Moment. Menschen sehen doch stundenlang fern.“ Nein, Menschen lassen den Fernseher laufen. Nebenbei. Und wenn sie Glück haben, kommt irgend etwas vorbeigestrahlt, was sie gerade interessiert. Erinnert sich jemand an die verzweifelten Versuche, mit Settop-Boxen und Internet für den Fernseher das TV Gerät fit für die Zukunft zu machen? Das Fernsehen wird nicht mit dem Internet verschmelzen. Das Internet wird die Fernsehformate aufsaugen. Mit Diensten wie Zattoo.com ist es heute schon möglich, herkömmliche Fernsehprogramme mit drei Klicks und ohne jede Zusatzhardware überall direkt über das Netz zu sehen. Im Moment – vor allem wegen der Vorbehalte der TV-Sender – nur live. Aber die parallel existierenden Festplatten- und Onlinerecorder sind erst der Anfang. Das Fernsehen der Programmdirektoren und der Linearität ist tot.
Die Totengräber des Fernsehens…
Aber das Fernsehen ist nicht allein schuld. Seine Totengräber sind nicht nur Fernsehmacher, seine Totengräber sind genauso Politiker, die 7-Tage-Mediatheken als „gute Kompromisse“ aushandeln. Und woher kommen die Inhalte? Auch in Zukunft wird es Fernsehformate geben. User Generated Content wird nicht alle Inhalte ersetzen. Aber das Fernsehen ist gut beraten, sich von der Fixierung auf den Mainstream zu verabschieden. Es muss seine Zuschauer ernst nehmen – in dem es sie direkt in die Programmentwicklung, -produktion und – distribution einbezieht, dabei lernt, zuzuhören und Mashups zuzulassen.
… und seine interaktive Wiederbelebung
Wie das Fernsehen der Zukunft aussehen könnte, das nicht mehr von Groß-TV-Anstalten lebt, trotzdem anspruchsvolles Programm produziert und den User einbezieht, untersucht z. B. auch die Deutsche Telekom mit ihrem Projekt „Interactive TV Award“. Emergente Special Interest Kanäle werden entstehen – Sendungen user generated aufbereitet und gebündelt durch Tagging, Empfehlungen und sich selbst herausbildende Communities.
„Ja, aber Moment. Was ist mit Fernsehnachrichten? Mit Talkshows?“ Das sind Formate, die das zusammenfassen, was man den ganzen Tag schon im Netz gesehen hat. Die durch Sendezeitbegrenzung die immer selben Themen knapp und verkürzt darstellen. Die lokale Ereignisse – abseits der Ballungsraumformate der dritten Programme und der Ballungsraumfenster der Privaten – ausblenden müssen. Auch die wird es sicher noch eine Zeitlang geben. Solange bis über Dienste wie Mogulus (einfaches Fernsehstudio via Webbrowser), Qik (Live-Streaming vom Handy) und Hobnox (High-End-Fernsehstudio via Webbrowser) qualitativ hochwertige Nischenprogramme ihre Zuschauer gefunden haben.
Fernsehkochstudio moderner Prägung
Man nehme das Fernsehen der Vergangenheit, füge eine Prise Wikinomics, eine Prise Long-Tail, zwei Esslöffel Open Source, preiswerte Kameratechnik und Software hinzu, mixe das ganze mit IP-Übertragungswegen, Youtube-Archiven, Communitytools und mobilen Sende- und Abspielgeräten und lasse hochmotivierte Macher ans Werk. Herauskommt eine ungefähre Vorstellung davon, wie Fernsehen der Zukunft aussehen kann. Das Fernsehen, wie unsere (Groß-)Eltern es kennen, ist tot. Punkt.
P.S.: 1: „Aber wer soll das bezahlen?“ Ein kleiner Tipp: Es müssen nicht immer hochbezahlte Stars für das immer selbe Mainstream-Zielgruppen-Programm sein, das sonst niemand mehr sehen mag. Eine bessere Vergütungsstruktur für all die (festen) Freien, die Fernsehen heute und in Zukunft möglich machen wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
P.S.. 2: Disclaimer: Der Autor war Gast in einer Folge von Terranetcafé. Seit damals erzählt er jedem, der es hören oder auch nicht hören will, dass das herkömmliche Fernsehen tot ist.
Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: fernsehen, hobnox, mogulus, qik, sebaso, tod, tv, wochentham
4 comments
Fernsehen ist tot, es lebe das Fernsehen …
Was die interaktive Wiederbelebung angeht, kann ich dem Beitrag nur zustimmen. Studien wie die von IBM (http://www-05.ibm.com/de/pressroom/downloads/medienstudie-2008.pdf) unterstreichen, dass es dabei nicht um ein Sollte-so-sein geht. Nein, Interaktivität und Eigenverantwortung der Zuschauer liegen in der Natur der Dynamik dieser TV-lution.
Was interaktiv möglich sein könnte? „Einmal Bundestrainer sein“ beispielsweise. Der Stoßseufzer unseres Beitrags gerät zugegeben ein bisschen optimistisch, ist aber nicht ohne den nötigen Funken Wahrheit. (http://blog.interactive-tv-award.de/2008/06/19/einmal-bundestrainer-sein/)
Ein Beispiel dafür, was die Entwickler sich zum neuen, „lebendigen“ Fernsehen ausgedacht haben erscheint übrigens am Montag, 30.6. auf http://blog.interactive-tv-award.de: „Fernsehen, das sich selbst produziert“ – Ein Konzept, das wir bei diesem Wettbewerb leider nicht prämieren konnten – weil es (NOCH) zu visionär war.