Katharina Große, Tinka genannt, schreibt in ihrer Kolumne über den digitalen Wandel in unserer Gesellschaft. Diesmal geht es um die Telekom und das freie Internet. Viel ist gesagt und geschrieben über Drosselkom. Man sollte meinen, dem muss nicht mehr hinzugefügt werden. Falsch, muss sie an dieser Stelle rufen, und etwas hinzufügen.
Es stecken zwei Stränge in der Debatte. In einem geht es primär um das Thema Netzneutralität. Die Telekom zählt zum verbrauchten Datenvolumen nur Dienste, die sie nichts selbst anbieten oder die kein Abkommen mit ihr haben. Solch eine qualitative Unterscheidung von Daten steht im krassen Gegensatz zum Ursprunggedanken des Internets. Die Telekom kreiert damit gated communities im Internet, die vom Bewohner und vom Vermieter Eintritt verlangen. Laut Markus Beckedahl ist das „der gravierendere Teil“ der Debatte. „Trotzdem ist die Kritik an der geplanten Abschaffung der Flatrates gerechtfertigt“, fügt er hinzu. Hier möchte ich einhaken und behaupte: Sie ist nicht nur gerechtfertigt, sie ist essentiell.
Wer mehr will, muss mehr zahlen?
Denn eine Diskussion über den Drosselungsaspekt lädt dazu ein, zu verstehen, warum der Verlust eines freien, unlimitierten Internets solch einen Aufschrei verursacht. Bisher wird kaum erklärt, warum vielen beim Gedanken an Drosselkom quasi das Herz stehen bleibt. Der Guide auf echtesnetz.de listet zwar Gründe, warum ein echtes Netz nötig ist, aber die bleiben abstrakt. Zum Beispiel heißt es dort: „Freies und offenes Internet ist grundlegend für unsere Kultur, und die Kontrolle darüber sollte nicht in der Hand von Konzernen liegen“, oder „[f]reies und offenes Internet belebt den Wettbewerb“, und „fördert Innovation“. Doch was heißt das? Die Petition für ein offenes und freies Internet wird den Petitionsausschuss dazu zwingen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Damit Politiker und auch große Teile unserer Gesellschaft wirklich nachvollziehen können, worum es uns geht, braucht es eine tiefergehende Debatte.
Das hat mir vor einigen Tagen erst wieder ein Wortwechsel gezeigt, den ich mit einem Bekannten hatte. Seine Argumentation: Das Bereitstellen von Internetzugang ist ein ganz normaler Markt und das heißt: hohe Nachfrage, teure Preise. Wer mehr will, muss mehr zahlen. Ganz normal, völlig ok. Ähnlich sieht das auch René Obermann. Es seien Milliardeninvestitionen nötig, um die Netze aufrecht zu erhalten und auszubauen, da könne niemand ein Recht auf unbegrenzte Internetnutzung erwarten, jedenfalls nicht, wenn die Privatwirtschaft zahle (Quelle). Und mit dieser Überlegung steht er nicht alleine da (Quelle).
Die Argumentation ist in sich schlüssig, aber sie wirft die eine zentrale Frage, die grundlegend ist für die gesamte Debatte: Sollten wir das Internet und den Zugang dazu behandeln wie jeden anderen Markt?
Nein! sage ich sofort und wahrscheinlich viele, die diesen Text lesen. Das klingt auch im Netzpiloten-Artikel von Gunnar Sohn und in Sascha Lobos Kolumne schon an. Wir wollen unser Internet nicht in Händen von Konzernen wissen, oder sie sollten zumindest streng reguliert sein – aber warum? Diese Antwort bleiben wir bisher schuldig. Solange wir sie nicht liefern, werden alle Maßnahmen zu Netzneutralität & Co. Symptombehandlungen bleiben.
Was also ist das Internet für uns?
Natürlich, eigentlich handelt es sich hier nicht um mehr als Kabel und Server. Das Internet aber, ist so viel mehr. Ich erinnere mich an einen Post von Sebastian Haselbeck vor einiger Zeit: Gibt’s hier W-LAN? ist das neue Habt ihr eine Toilette? Der W-LAN-Zugang ist das erste, nach dem ich in Hotels frage, oder wenn ich bei Freunden zu Besuch bin. Auf Zugfahrten durch Deutschland bekomme ich nervöse Zuckungen, wenn das mobile Datennetz mal wieder nicht verfügbar ist. Ich nutze das Internet nicht, genauso wenig, wie ich den Sauerstoff um mich herum nutze. Sauerstoffzugang als Markt? Absurd! (Obwohl man angeblich zumindest in Japan durchaus saubere Luft in Flaschen kaufen kann …) Dabei bin ich nicht mal Digital Native. Bis ich 13 war, lief mein Leben 100% analog ab. Vom Internet habe ich in einem Buch gelesen. Wie muss es den Kids gehen, die 13 Jahre jünger sind?
Das Internet ist mein DJ, mein Kaufhaus, meine Nachrichtenquelle. Meine Entscheidung und mein Privatvergnügen, könnte man argumentieren. Warum sollte ich von Wenig-Nutzern querfinanziert werden (Quelle)? Doch wie passt solch eine Argumentation zu der Tatsache, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender wie die ARD seine Streams nur noch in HD anbietet? Freie Entscheidung für weniger Datenvolumen? Fehlanzeige!
Außerdem ist es nicht nur die ständige Kommunikation mit Freunden. Es ist nicht nur, dass es in meinem Haushalt kein TV-Gerät mehr gibt und alle Fernseh-Unterhaltung online abläuft. „Das Internet ist für alle Bevölkerungsschichten maßgeblich, um an den Segnungen von E-Commerce oder E-Government teilzuhaben“, zitiert Heise Bernd Holznagel. „Daraus folgt, dass jedenfalls der Zugang zum Internet […] sicherzustellen ist“. Das bringt es auf den Punkt.
Unser Staat braucht uns online
Unsere Regierung denkt, dass sich „neue Chancen für die demokratische Weiterentwicklung“ aus der zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft ergeben (Einsetzung-Beschluss der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“). „Im Jahr 2020 erreicht das deutsche E-Government einen internationalen Spitzenplatz, […] weil es die politische Mitwirkung der Bürger verstärkt“, heißt es im Regierungsprogramms Vernetzte und Transparente Verwaltung. „[D]das weit verstreute Wissen der Gesellschaft [soll] in Entscheidungsprozesse“ eingebunden werden, denn nur so „können die Herausforderungen an den modernen Staat bewältigt werden“.
Mit anderen Worten: Unser Staat will unsere Beteiligung, er braucht unsere Beteiligung und wir müssen online sein. Wie kann er es da zulassen, dass uns der Internetzugang limitiert wird?
Schwarzmalerei, mag mir jetzt vorgeworfen werden. Ein paar Euro mehr werden keinen abhalten, sich zu beteiligen. Stimmt nicht! John Carlo Bertot berichtete auf der CeDEM, dass der Breitband-Zugang das erste war, an dem die Amerikaner in der Krise gespart haben. Internetzugang ist preiselastisch.
Wie kann es ok sein, darüber zu diskutieren, das Internet zu verteuern, nachdem wir gerade erst dabei sind, die Hardware für jeden zugänglich zu machen und die damit verbundene Digital Divide zu überwinden? Während andere Länder Geld in den Breitband-Ausbau investieren (Amerika z.B. hat sieben Milliarden Dollar ausgegeben), überlegen wir in Deutschland, Zugang zu erschweren? Und das, obwohl in weiten Teilen nur surfen mit Minimalgeschwindigkeit möglich ist (Breitband-Atlas).
Kostenfalle gesellschaftliches Engagement?
Muss ich mir in Zukunft überlegen, ob ich bei Krisen durch eine Kartografierung der Einsatzorte helfe, wie z.B. mit Ushahidi, Googles Crisismap oder Crisismappers, weil sich das auf meinen Datenverbrauch auswirkt? Werden alle Ansätze dahin, dass der Bürger online mit der Verwaltung interagieren kann, unterwandert, weil er lieber persönlich vorbeigeht, um Datenvolumen zu sparen? Warum arbeiten wir dann an einem elektronischen Personalausweis mit Signatur, an E-Akten und virtuellen Projekträumen, die die Verwaltung bei Bedarf auch für Bürger öffnet (Zusammenarbeit im Internet)? Muss ich mich entscheiden, entweder meine Hilfe auf einer Online-Freiweilligen-Börse anzubieten, meiner Stadt Geld zu leihen oder Nachrichten zu gucken, weil ich für alle drei Aktivitäten nicht genug bezahlt habe? Warum bietet mir die Regierung offene Daten an, wenn ich sie eh nicht runterladen will, um Megabytes zu sparen?
Vielleicht verzichte ich auch einfach darauf, online an Programmier-Kursen von Harvard teilzunehmen oder bei Ted zu lernen, wie wir unser Schulsystem verbessern könnten oder wie man jeden Tag lebenswert macht.
Hätten wir das Internet nicht, wäre Guttenberg noch im Amt und der Staat müsste selbst rausfinden, wo dringender Handlungsbedarf in Sachen Schlaglöcher, kaputte Ampeln und Gefahr für die Verkehrssicherheit besteht (Sag’s doch; Maerker Brandenburg). Unser Staat will uns online, er braucht uns online, und darum muss er uns helfen, online zu sein – und zwar möglichst viel und möglichst intensiv.
Internet = gesellschaftlicher Fortschritt
Das Internet ist kein Vergnügungspark für Sozialisolierte, es ist das Rückgrat einer modernen Gesellschaft. Es ist ein wesentlicher zivilisatorischer Fortschritt, wie das elektrische Licht. Darüber zu reden, den Zugang zum Internet einzuschränken statt ihn möglichst billig für alle zu ermöglichen, das ist fast so, wie alle unsere Süßwasservorräte zu verkaufen, statt darüber zu diskutieren, dass Wasser ein Menschenrecht ist und daher nicht privatisiert werden darf.
Reden wir darüber, Frauenrechte abzuschaffen? Könnten wir uns vorstellen, wieder ausschließlich mit Holz und Kohle zu heizen? Sollte Zugang zur Bildung nur der Aristokratie vergönnt sein? Es stimmt: Das Internet ermöglicht ungeahnte Chancen für die (demokratische) Weiterentwicklung. Zentralisierter Informationsfluss statt demokratischer Verbreitung von Daten? Luxusgut statt uneingeschränktem Zugang? Wie können wir darüber überhaupt nachdenken?
Die Kolumne von Katharina Große ist Ergebnis der Medienkooperation zwischen dem Lehrstuhl für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik an der Zeppelin Universität (ZU) in Friedrichshafen und Netzpiloten.de.
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