Das Rehkitz und der fahrerlose Mähdrescher

Bei den Nutzfahrzeugen findet aktuell ein noch größerer Transformationsschub statt als bei den herkömmlichen Autos, findet der Digital-Berater Daniel Khafif. Wir haben ihn uns zum Interview geschnappt, als er frisch aufgeladen wie ein E- Car von der Nutzfahrzeugmesse aus Hannover zurückkam. Wir haben viel gelernt:

Wie war es auf der 67. IAA Nutzfahrzeuge, Daniel Khafif?

Umwerfend! Das Internet of Things hat die gesamte Mobilitätsbranche voll erfasst. Mein Eindruck: Das Auto ist heute mehr Showroom des IoT als Mantel für Motoren. Was das für die Netzwelt bedeutet, ist heute nur zu ahnen: Eine aktuelle Studie von Cisco identifiziert im Connected Car-Universum drei ineinander verzahnte Geschäftsfelder: Automotive OEM (Original Equipment Manufacturer), web Digital und Mobile.

Wer treibt die Digitalisierung?

Die großen Player in der globalen IT treiben die Automobilwirtschaft voran: High Tech Unternehmen wie Bosch, Magna, Continental oder Denso operieren immer stärker direkt am Automobilmarkt. Längst kann man nicht mehr von „Autozulieferern“ sprechen, sondern von Innovationsgebern, denn diese Unternehmen operieren genau an der Schnittstelle zwischen der IT und der Automobilproduktion.

Haben die Programmierer die Fahrzeug-Entwicklung übernommen?

Ja, so sieht’s aus! Das klassische Auto, sei es PKW oder Nutzfahrzeug, wird immer mehr zum Markt für das IoT, wird immer mehr zum Datensender (Stichwort „cloud based security“) als zum Datenempfänger. Die IT Programmierer gestalten das Auto von morgen in hohem Maße mit, nicht mehr ausschließlich die Fahrzeugentwickler.

image: Daniel Khafif
Warst du auch beim angeschlossenen CarIT Kongress?

Ein Highlight! Hier gab es hochkarätigen Input von Speakern wie Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management (CAM) oder Qiang Wang, General Manager of IoT Connectivity von HUAWEI Technologies. Besonders beeindruckt hat mich die Keynote von Anoop Nannra, Global Head of Cisco Blockchain Initiative. Für ihn stellt Blockchain die neue weltweite industrielle Revolution dar. Er sieht neue Industriezweige entstehen, die neue Formen der Verteilung und Zulieferung, aber auch Bereitstellung von Energie zur Verfügung stellen werden. Bezahlprozesse und Dienstleistungssektoren wie wir sie heute kennen, werden komplett ihre Bedeutung verlieren – während gleichzeitig neue Wertschöpfungsketten in Proliferation (Erweiterung des Modell- und Variantenangebots) und Abnahme entstehen werden.

Das heißt, die Autoindustrie hat den Schuss der Digitalisierung gehört und stellt sich um?

Die Branchen Fahrzeugbau, Energie (und charge/battery ohnehin) haben den Hebel umgelegt: Das E-Car stellt kein lästiges Additiv, keine Nische und erst recht keine politisch oktroyierte Notwendigkeit mehr dar. Es bietet vielmehr ein veritables und langfristig ausbaufähiges und solides Geschäftsmodell. Vor allem weil die Vernetzung all dieser technischen, wie ökonomischen Bereiche eine starke Agilität und Dynamik entfaltet, die neue Anforderungen braucht und neue Geschäftsfelder bildet.

Wo liegt der Unterschied in der Entwicklung von PKW und Nutzfahrzeugen?

Der Trend zur Elektromobilität bzw. E-Mobility ist auch bei den Nutzfahrzeugen unumkehrbar. Innerhalb der E-Mobility werden zuhauf neue digitale Produkte verbaut. Deshalb ist die Logistikbranche derzeit sehr aktiv, die Personenkraftwagen bei der Automatisierung von Fahrfunktionen zu überholen.

Cool. Was können wir uns da vorstellen?

Zum Beispiel Bagger, die in und über Erzminen oder Erdstollen schaufeln, Mähdrescher, Fahrzeuge im öffentlichen Personennahverkehr und vieles mehr. – Sie alle bekommen bald das fahrerlose Fahren. Einer der letzten Helden der Landstraße, der Trucker, wird sukzessiv durch digitale Systeme ersetzt. Denn ein Kraftfahrer sitzt beruflich und nicht zum Spaß auf dem Sattel. Ein privater Autofahrer hingegen möchte weiterhin „Freude am Fahren“ spüren, um einen bekannten Autobauer zu zitieren. Und viele werden weiterhin selbst fahren wollen. Das wird auch noch eine ganze Weile so bleiben.

Das fahrerlose Fahren bei Nutzfahrzeugen ist sicher nicht weniger heikel als bei den PKW

Genau. Was passiert mit einem aufgeschreckten Rehkitz, das im gerade noch schützenden Kornfeld auf einen vollautomatisierten Mähdrescher mit 60 km/h trifft? Da sitzt kein Bauer mehr, der die Wildtiere erkennt.

Es braucht also weiter die menschliche Maschinensteuerung?

Im Moment läuft alles auf digitale Fernsteuerung hinaus: Remote drive ist zur Überwachung des Fahrzeugs, dessen Umgebung sowie der mitgeführten Ware oder Insassen enorm wichtig.

Dürfen wir dich zum Schluss noch um ein Fazit bitten. Was sind die wichtigsten digitalen Trends im Nutzfahrzeugbau?

Erstens werden Fahrzeug und Fahrer durch smarte, intelligente connectivity in ihrer täglichen Arbeit unterstützt. Und zwar nicht nur im Fahrzeug selbst, sondern auch nach außen mit den Spediteuren, Logistikunternehmen, Fuhrparkmanagern, Lageristen oder anderen Zentraleinheiten.

Zweitens werden Transport und Logistik voll digitalisiert, automatisiert und überwacht. Das macht ja die Seefahrt schon pionierhaft vor: Automatisierung von Ladeprozessen, Verwahrung, Transport, Sicherung und Auslieferung der Waren.

Drittens werden noch viel mehr digitale Services in der Personenbeförderung eingesetzt werden. Insbesondere im Nahverkehrsbereich, auf den letzten Kilometern, bedarf es der Integration digitaler Services (All in One) für mehr Komfort in der Mobilität. Wir erleben es bereits bei den Bezahlsystemen und bei der Koppelung mit kommunalen Verbundsystemen. Gleichzeitig werden Bedürfnisse des Komforts, nämlich der des „Chauffiert-Werdens“, bleiben.

Danke Daniel!

Daniel Khafif ist Fachautor, Dozent und Berater für die digitale Wirtschaft, für Change- und Innovationsmanagement. Seit 1999 produziert er redaktionelle Inhalte für Automobilhersteller wie BMW, Suzuki, Mercedes, VW Group. Sieben Jahre leitete er die Kommunikation für einen europaweit tätigen IT Systemdienstleister im Energiemarkt. Als Prüfer und Studienleiter für EU-Bildungsprogramme entwickelte er 2015 mit Kooperationspartnern des Energieclusters Berlin-Brandenburg das Berufsbild des IT-Energietechnikers. 

ist Gründer und Vorstand der Netzpiloten und zählt zu den Pionieren der deutschen Internet-Macher. Er hat den Internet Boom seit 1995 mit allen Höhen und Tiefen erlebt. Die Plattform www.netzpiloten.de begleitet die digitale Revolution erst als virtueller Reiseführer für Netz-Neulinge (Webtouren) und heute als smartes Autoren-Magazin aus der Mitte der Digital-Szene. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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