Wer als Berater 4000 € und mehr am Tag erlösen will, der muss schon mit Lametta um sich schießen. Das tut man heutzutage nicht mehr mit einem MBA, einem Doktortitel und sechs Auslandssemestern in drei Ländern. Solche Leute arbeiten zu Hunderten in unzähligen Praktikumsstellen in Berlin und Hamburg. Sogar einige Firmen in München können sich noch Praktikanten leisten. Zumindest die Forschungsabteilungen der großen Automobilfirmen und die Pharmaunternehmen, die mittlerweile immer mehr günstige Werkdoktoranden und junge High Potentials mit Werkverträge auf Distanz halten, bis die endlich im Ausland verschwunden sind.
Da verwundert es nicht, wenn die strategischen Berater dieser Welt mit derselben vita sich mit abenteuerlichen Ideen hervortun müssen. Das „Web 2020“ passt ins Beuteschema. Wer auf breitband (MP3 – Interview beginnt ab 6. Minute) im deutschlandradio am letzten Samstag dem Vorsitzenden der Enquète-Kommission für das Internet lauschen durfte, der versteht, warum wir Berater brauchen. Denn Politiker und Entscheider können heutzutage vor lauter Entscheidungen nur noch überblicken, welche Personen sie als geeignet betrachten, sie zu beraten. Warum Expertise? Es gibt doch externes Denken. Denn offenbar kommt Expertise von extern. Die Berater sind im schlechtesten McLuhanschen Sinne zum Exoskelett der Entscheidungsebene mutiert. Inhaltlich ist da offenbar ein großes Vakuum im Bereich strategisches Management. Offenbar auch ein Grund, warum aus Deutschland beispielsweise seit SAP und Software AG nix global Besonderes mehr in Sachen Web und IT kam. Abgesehen von all den Grundlagenforschungen, die für dreifuffzich ins Ausland verhökert werden von lächerlich unterbelichteten Spin-offs der Unis, die regelmäßig bei den Lizenzverhandlungen mit asiatischen und amerikanischen Firmen übervorteilt werden. Zum Thema: Nun also hat so ein 4000€-Tagessatz-Berater tacheles gesprochen zum web2020 – auch noch im Manager Magazin.
Roman Friedrich, Telekommunikationsexperte der Unternehmensberatung Booz & Co stand dem manager magazin Rede und Antwort um auf diese Weise eine Studie zu propagandieren. Und da es seit circa zwei Jahrzehnten offenes Geschäftsmodell aller strategischen Berater ist, den Firmen den Weg von der Forschung zum Markteintritt zu begleiten, erkennt Friedrich auch, dass es im Webzeitalter besonders für Telkos besonders wichtig ist, die Dauer des time-to-market zu straffen. Präzise und konkret, wie die Berater nun mal sind nennt er als besonderes Hilfemittel neue Innovationsmodelle. Nun, wer Michael Schrages Bestseller Serious Play – in den USA der Oberburner des Jahres 2000 – gelesen hatte, der wird verschmitzt lächeln über all das Szenariengefasel was sich an solche einleitenden Wort von Strategiebratern anschließt. Sogar auf Change Management in der Organisation weist er hin. Das klingt fast radikal – so noch nie gehört vorher. Ähem. Aber es kommt noch vieeel besser:
Denn bei den Boozianer kommt was Neues auf die Welt zu. Nach den Generationen X, Y und Z kommt nun die Generation… ? Raten Sie mal. Richtig. Die Generation C. C steht für „connect, communicate und change„. Ja, liebe Kinder und Kinderinnen das kommt auf uns zu.
Das Lebensgefühl und Weltverständnis dieser Generation wird sich durch Telekommunikation, moderne Endgeräte und damit verbundene soziale Trends völlig verändern. Das ist wohlgemerkt keine Science-Fiction, sondern basiert auf der Fortschreibung bereits heute existierender technologischer und gesellschaftlicher Entwicklungen.
Ich hatte schon gedacht, dass der Satiriker, der die Texte für Matthias Horx schreibt, ein ausgesuchter Misanthrop sein muss, dass er die Zukunftsforscher mit dieser Kunstfigur so im Fernsehen diskreditiert. Aber derjenige, der die Texte für Herrn Friedrich schreibt, muss eine andere Motivation für solche Sätze haben. Wer so einen Quatsch öffentlich in ein Magazin für Manager schreibt, der muß entweder deren Intelligenz radikal unterschätzen oder sich über sie lustig machen. Ich könnte ja noch verstehen, wenn so etwas ein Marketingfuzzi seinem Abteilungsleiter als Notiz unter die slide zum „mobile web“ schreibt für die Sales-Präsentation. Aber ein Strategieberater? Kaum haben sie mal eben DIE Telekomunikation in Gänze, das Endgerät an sich (ist damit eigentlich historische Finalität gemeint?) und zukünftige soziale Trends ohne weiteren Kontext oder Sinn in einem Satz aufgezählt und als evolutiven Schritt der Gegenwart postuliert, da krachen auch schon die ersten Buzzwords aus dem wolkenverhangenen Himmel voller zerbeulter Geigen. Denn auf die Frage des Journalisten (?) des mm, ob virtuelle Realität im Rahmen von augmented reality überhaupt realistisch werden könne, antwortet der Hohepriester der Telekommunikation:
In Zukunft werden beispielsweise Navigationssysteme wesentlich intelligenter sein. Sie zeigen nicht nur stupide den Weg zur eingegebenen Adresse, sondern liefern auch aktuelle Informationen über freie Hotelplätze in der Nähe, über geeignete Abendveranstaltungen oder lokal verfügbare soziale Kontakte. Das alles ist im Prinzip heute schon technisch möglich.
Tatsächlich, das ist heute schon in Navis möglich, manche konnte das sogar schon vor zwei Jahren, aber was hat das mit AR zu tun?
Doch in Zukunft werden derartige Informationen dank hoher Bandbreiten und Prozessorgeschwindigkeiten noch viel schneller und automatischer abrufbar sein. Damit wird die Realität des Internets quasi in die menschliche Wahrnehmung integriert.
Ach so, AR wird also erst möglich, wenn man mehr Bandbreiten und schnellere Prozessoren hat. Und ich dachte schon, dass man schnelle Bilderkennung, Echtzeitbild/videokompression und vor allem riesige Datenbanken mit noch riesigeren Metadatenlisten braucht sowie sehr kundennahe Geschäftsmodelle. Aber Booz macht das einfach mit leistungsfähigerer Hardware. Hut ab. Ein tolles Unternehmen mit wertvollen Tipps.
Und nun kommt nach der einsame Satz zum Thema Soziale Netzwerke. Warum sollte man diesem Nachfolger der Massenmedien, der schon jetzt Hunderte Journalisten pro Jahr arbeitslos macht überhaupt noch mehr beachten. Deshalb also nur dieser eine Satz des Spezialisten. (Wissen die eigentlich, dass die Carrier selbst auf den Contentmarkt wollen oder zumindest per die Weiterleitung des Contents sich hübsch bezahlen lassen wollen von den Verlagen?).
Ein Vertreter der Generation C wird seinen virtuellen Freundeskreis über das mobile Internet überall hin mitnehmen, und die Kontaktfrequenz wird erheblich zunehmen.
Naja, warum soll man dieses Soziale Dingsbums vor dem Milliardäre wie Springer, Burda und Mohn zittern überhaupt weiter und tiefer eruieren. Die nehmen gerade Google kleine Teile des Werbemarkts weg. Woher soll man den jetzt schon wissen, dass die in fünf Jahren Google entthront haben und die andere Hälfte des Werbemarkts auf sich vereinen. Und hier bastelt der Herr Friedrich dann auch den Gedanken hinter goggles/Layar/Wikitude mit ein und verweist auf AR als Einkaufsführer und recommendation engine per facebook und Konsorten. Und dann kommt die uralte Telemedizin wieder zum Vorschein. Friedrich exhumiert das Thema ehealth ausgerechnet mit lokalen Sensoren, die die Werte des Körper direkt ans Krankenhaus senden. Eine Technologie die bereits erfolgreich seit Ende Neunziger – ich erinnere noch die nets AG – eingesetzt wird. Aber es passt zum gesamten Eindruck des Zukunftsvision von Booz. Den Managern soll aktuelle Technologie, die ausgereift und marktfähig ist als Zukunft verkauft werden. Wer solche Berater hat, wird in den nächsten Jahren sicher erfolgreich sein mit der Technologie von heute. Ich verstehe nun, warum die Asiaten dem LCD-Monitor zum Erfolg verholfen haben, warum MP3 durch peer-to-peer weltberühmt wurde und warum viele andere revolutionäre Kompressionsverfahren und vieles mehr von ausländischen Firmen in Milliardenumsätze umgewandelt wird. Es ist wie bei der deutschen Politik. Zunächst machen wir einen Plan. Dann überlegen wir, was die anderen planen und zum Schluß holen wir uns Berater.
Wenn wir dann diesen bewährten Ansatz der strategischen Planung bis zum Exzess der Informations- und Datensammelei gebracht haben, stellen wir fest, dass unsere Produktentwicklung noch in der Zertifizierungsphase steckt. Wenn die abgeschlossen ist, dann kommen die time-to-market-Optimierer und erzählen uns, was mittlerweile Sache ist. Da wir gemerkt haben, dass unser Produkt zu veralten droht, hören wir uns an, was sie uns von der Gegenwart Zukunft erzählen und entwickeln wie bisher weiter. Immer schön mit langer Analyse- und Planungsphase und bloß keine Geschäftsfeldanalyse machen. Dann sind wir rechtzeitig auf dem Markt, wenn die Asiaten die zweite Produktgeneration der Technologie auf den Markt werfen, die wir gerade vorstellen wollen. Wie sie an die Infos gekommen sind? Nun, Diplomarbeiten werden in Firmen geschrieben. Das wissen die Anderen. Man muss nur wissen, wieviele Lohnsklavendenker Diplomanden in welchen Firmen in den R&D-Abteilungen sitzen. Solche Arbeiten werden doch immer veröffentlicht. Da steht alles drinnen. Böse Firmen nutzen die sperrangelweit offenen Datenbanken vieler Firmen, die zwar ihre Applikationen mit Kerberos und Single-SignOn absichern, aber ihre Datenbanken jedem halbwegs Eingeweihten zur freien Verfügung lassen. Das gilt vor allem für die großen Oracle-Farmen auf denen die Archive, SAP und ähnliches ihre Inhalte ablegen. Aber im Kern liegt es nicht an den mangelnden Sicherungsmaßnahmen sondern schlicht an teuren Experten, die Dinge herbeiphilosophieren, die längst vorhanden und im Markt sind und das Ganze als Zukunftsstudie verkaufen wollen. Wie gesagt: Es gibt Zeugnisse der Armut und Armutszeugnisse. Ich weiß noch nicht, ob ich die Berater gebasht habe oder die Manager, die solche Leute Ernst nehmen. Ich überlege noch…
Manchmal, aber nur manchmal… haben Firmen auch ein bißchen Relevanz gern. Dazu müsste man natürlich auch mal feststellen, was aus der Vergangenheit – also der Firmentradition unabweislich nicht auf den Prüfstand gehört, weil sich alle einig sind, dass es wirklich klasse ist. Dazu muss man erstmal das kleine Wörtchen ALLE ausdifferenzieren. Wer das tut, kann Erstaunliches herausfinden, denn das bloße Wort stakeholder kann Überraschungen enthalten und sehr viel kostbares Wissen. Wenn man die darin zusammengefassten Personen zu Wort kommen läßt und zuhört. Denn auch blindes, evolutionäres Strategiemanagement à la Google nach dem St.-Florians-Prinzip ist auch kein totaler Erfolgsgarant, wenn man vor lauter PS-Protzerei das Profil auf den Reifen vergessen hat.
Bildnachweis: cohdra
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Schlagwörter: Berater, Strategie, Strategiemanagement, studie