Datenverantwortung: Ein neues soziales Gut für das Informationszeitalter

Während der Klimawandel zunimmt, wirken die zerstörerischen, rekordverdächtigen Naturkatastrophen fast wie die neue Normalität — von Hurrikan Matthew, der im vergangenen September mehr als 1.300 Opfer forderte bis zum Taifun Lionrock, der vor Kurzem in Nordkorea tobte und eine Flut verursachte, die 138 Menschen getötet und gut 100.000 Menschen obdachlos zurückgelassen hat.

Was können wir tun, um die Zerstörung durch Naturkatastrophen zu verringern? Man könnte möglicherweise die Hilfsaktionen mithilfe von Daten verbessern. Sehen wir uns einmal die Folgen des Erdbebens im nepalesischen Gorkha im April 2015 an, eine der schlimmsten Katastrophen seit mehr als 80 Jahren. Fast 9000 Menschen wurden getötet, etwa 22.000 wurden verletzt und mehrere hunderttausend sind nun obdachlos, nachdem ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Trotz der umfassenden Zerstörung muss gesagt werden: es hätte schlimmer kommen können. Ohne die Katastrophe beschönigen zu wollen, die Nepal an diesem Tag traf, möchte ich dafür plädieren, dass Daten — und hier ist insbesondere ein neuer Typ von sozialer Verantwortung gemeint — den Nepalesen dabei geholfen haben, größeres Unheil zu vermeiden. Dies könnte für spätere Notfälle hilfreich sein.

Infolge der Katastrophe in Nepal sind viele verschiedene Akteure zusammen gekommen, um diese humanitäre Krise anzusprechen: die Regierung, die Bürger und privat engagierte Helfer. Als besonders herausragend hat sich dabei Nepals größter mobiler Netzwerkbetreiber Ncell gezeigt. Kurz nach dem Erdbeben entschied sich Ncell dazu, seine gesammelten mobilen Daten in unidentifizierbarer Form mit der gemeinnützigen schwedischen Organisation Flowminder zu teilen.

Flowminder hat diese Daten genutzt, um die Menschenströme zu kartographieren. Diese Echtzeit-Karten haben es der Regierung und humanitären Organisationen ermöglicht, Hilfe und Entlastungen besser zuzuschneiden und damit ihren Einfluss optimal auszunutzen. Diese Initiative hat sich als Modell der Datenzusammenarbeit als sehr positiv herausgestellt. Flowminder hat dafür im Jahr 2016 sogar den Mobile in Emergency or Humanitarian Situations-Award bei der GSM Association’s Global Mobile in Barcelona gewonnen

Was ist Datenverantwortung?

Mich beeindruckt am meisten die Art und Weise der Datennutzung bei der Initiative von Flowminder und Ncell – besonders, wenn man bedenkt, wie die privat gesammelten Daten für öffentliche Dienste genutzt wurden. Dies war ein Akt der Datenverantwortung. Diese Datenverantwortung und das genossenschaftliche Teilen der Daten ist ein noch junges Konzept und wird gerade entwickelt. Dennoch ist schon jetzt aufgefallen, dass es eine zentrale Rolle einnimmt, wenn es darum geht, verschiedene öffentliche Dienste zu fördern, wie zum Beispiel bei der Frage, wie wir an Naturkatastrophen und andere Notfälle herangehen.

Datenverantwortung könnte auch eine größere Rolle dabei spielen, um die für die Jahre 2015 bis 2030 gesetzten Nachhaltigkeitsziele zu fördern. Dazu sagt Jeffrey Sachs: „Die Datenrevolution kann die Nachhaltigkeitsrevolution antreiben, und den Prozess der Armut zu beenden, soziale Inklusion zu fördern und die Umwelt zu schützen.“ Nach jüngsten Schätzungen werden täglich etwa 2,5 Billionen Bytes an Daten erstellt. Neun Zehntel unserer heutigen Daten wurden in den Jahren 2013 und 2014 erstellt.

Dieser massive Anstieg der Datenverfügbarkeit hat einigen Enthusiasmus hervorgerufen, da man sie für potentielle ökonomische, kulturelle und politische Vorteile nutzen kann. Der Economist schrieb dazu, man wolle „Dreck in Gold verwandeln“, indem man große Ströme an „Daten-Müll“ abbaut, der oft unbeabsichtigt von permanent vernetzten Nutzern der sozialen Medien und mobilen Geräte hinterlassen werde.

Was jedoch seltener diskutiert wird, ist die Tatsache, dass diese Daten nicht zugänglich und damit geheim sind. Sie sind das Eigentum von Firmen, Regierungen und anderen Organisationen. Das schränkt die öffentlichen Vorteile ein. Datenverantwortlichkeit kann Organisationen dabei helfen, diese privaten Grenzen zu überwinden und diese Daten für das öffentliche Gut zu teilen. Besonders im Privatbereich  stellt dies ein Beispiel an gemeinsamer sozialer Verantwortung für das 21. Jahrhundert dar.

Heutzutage ist Datenverantwortlichkeit relativ ungewöhnlich. Das nepalesische Telekommunikationsunternehmen Ncell ist eines der wenigen, das seinen Datenfundus geöffnet hat. Aber es gibt auch einige ermutigende Anzeichen. Beispielsweise hat Twitter in Jakarta einige Daten mit australischen Forschern geteilt, mit deren Hilfe sie die Webseite PetaJakarta.org erstellten. Die Seite bietet Live-Informationen zu Überschwemmungen und ermöglicht vor allem während der Monsun-Saison eine verbesserte Einschätzung der Lage.

Im Senegal stieß die Orange Group eine Aktion für Entwicklungsdaten an und teilte ihre Daten mit verschiedenen Forschungsteams, um Muster und Lösungen zu identifizieren und damit die Gesundheit, die Landwirtschaft, die Stadtplanung und der Umgebung und landesweite Statistiken zu verbessern. Das Gewinnerteam benutzte Handydaten, um den Energieverbrauch nachzustellen und so Lösungen für veränderliche Energieanforderungen zu finden.

Die drei Säulen der Datenverantwortung

Solche Beispiele zeigen uns, dass Daten Leben verbessern oder sogar retten können. Aber um das volle Potential zu nutzen, müssen drei Bedingungen erfüllt werden. Diese kommen als die drei Säulen der Datenverantwortung zusammen:

  1. Die Pflicht zu teilen

    Dabei handelt es sich wohl um die offensichtlichste Pflicht: private Daten zu teilen, falls diese dem öffentlichen Gut dienen. Eine sekundäre Nutzung ist nicht immer beliebt unter den Nutzern (oft aus guten Gründen), aber wenn man es richtig anstellt, kann das Teilen starke, soziale Vorteile beinhalten, wie oben aufgezeigt.

  2. Die Pflicht zu schützen

    Teilen geht mit Risiken einher, besonders, was die Privatsphäre, die Sicherheit und andere individuelle Rechte angeht. Deshalb ist es unerlässlich, dass Organisationen ihre Daten auf verantwortliche Weise teilen, und dabei versuchen, die Daten selber zu schützen, aber auch die Individuen, die ihre Daten aufgeben (auch wenn dies oft unabsichtlich geschieht).

    Die Konsequenzen aus dem fehlenden Schutz der Daten wurden bereits gut dokumentiert. Die offensichtlichen Probleme treten auf, wenn Daten nicht genügend anonymisiert werden, bevor man sie teilt, oder wenn nicht anonyme Daten anderweitig an die Öffentlichkeit gelangen. Scheinbar anonymisierte Daten könnten selbst für eine Entschlüsselung anfällig sein. Informationen, die für das öffentliche Gut geteilt wurden, können auch Einzelpersonen Schaden zufügen.

    Im Jahr 2013 in New York folgten die ‚Taxi and Limousine Commission‘ einem öffentlichen Ersuchen und veröffentlichten vermeintlich anonymisierte Daten zur Abholungs- und Ankunftszeiten, Standorten, Preise und Trinkgelder, die von verschiedenen Taxifirmen und Mitfahrerorganisationen gesammelt wurden. Innerhalb weniger Tage jedoch hatten private Hacker die relevanten Taxi-Lizenzen und Nummernschilder identifiziert. Die Konsequenzen waren besorgniserregend und vielleicht sogar justiziabel: Die Daten konnten beispielsweise dazu genutzt werden, das Einkommen eines Fahrers zu berechnen und die Fahrten der Kunden sowie ihre Ausgaben zu identifizieren. Unter ihnen waren auch Prominente, was die Gefahr des Stalkings noch erhöht hat.

    Aus Gründen wie diesen muss das gut gemeointe Vorhaben, die Daten zu teilen, mit einem erhöhten Verantwortungsbewusstsein einhergehen, und zwar an jedem einzelnen Informationsknotenpunkt, von der Sammlung, über die Verarbeitung und Analyse bis hin zum Teilen und der Datennutzung.

  3. Die Pflicht zu handeln

    Damit veröffentlichte Daten dem öffentlichen Gut helfen können, müssen Beamte und andere auch Strategien und Vermittlungen annehmen, die Einblicke in die Veröffentlichung geben. Ohne eine Handlungsaufforderung bleiben die Möglichkeiten nur eben diese: Möglichkeiten, kleine Fakten.

    Die Pflicht zu Handeln ist im dem Kampf gegen die Korruption besonders offensichtlich. Weltweit haben Daten, die von den Regierungen oder anderen Organisationen und Individuen veröffentlichtu wurden, eine wichtige Rolle dabei gespielt, Betrugsfälle offenzulegen und die Transparenz zu erhöhen.

Das brasilianische Transparenzportal wurde im Jahr 2004 vom Büro des Rechnungsprüfers gegründet, um die steuerliche Transparenz zu erhöhen, indem sie Regierungsdaten geteilt haben. Diese Organisation ist nun eines der wichtigsten Werkzeuge dieses Landes, um Korruptionen zu identifizieren und dokumentieren. Monatlich registrieren sie um die 900 000 Besucher. In Mexiko bietet die Onlineplattform Mejora Tu Escuela Bürgern Informationen über Schulleistungen, damit Eltern die beste Bildung für ihre Kinder wählen können und besser in deren Ausbildung eingebunden werden.

Für Schuladministratoren, politische Entscheidungsträger und Nichtregierungsorganisationen bietet diese Plattform allerdings einen Weg, Korruptionsfälle von Lehrern, die nicht oder nicht mehr existieren und dennoch auf einer Regierungsgehaltsliste stehen, und Lehrern, die zu viel Lohn erhalten, aufzudecken.

Dennoch muss man handeln, um aus den Erkenntnissen auch Resultate zu schöpfen. Das beruht oft auf eilig herbeigeführten und schwierigen Veränderungen angesichts bestimmter Interessensverbindungen  und institutioneller Hindernisse.

Die Notwendigkeit einer kulturellen Veränderung

Die Schwierigkeit, Erkenntnisse in Ergebnisse zu übersetzen, deutet auf einige größere soziale, politische und institutionelle Veränderungen hin, die man erreichen muss, um eine wirkliche Datenverantwortung zu erreichen. Für Datenverantwortung muss man eine oft unbekannte Verpflichtung zur Transparenz und Rechenschaft eingehen. Man muss von den gewohnten Pfaden des Datenschutzes zu einer Sharingkultur gelangen und von einem traditionellen Strategiedenken zu einer von Daten getriebenen Steuerung. Daraus folgt eine kulturelle Veränderung, die die Herangehensweise bestimmt, wie Firmen, Regierungen und andere Akteure ihre Daten behandeln.

Die folgenden drei Wege sollte man bedenken, um die benötigte Entwicklung in einer kurzen Zeit zur erreichen:

Als Erstes sollten öffentliche und private Dateninhaber eine öffentliche Verpflichtung (oder Zusage) zur Datenverantwortung herausgeben, sodass eine solche in Unternehmen zur Normalität wird.

Zweitens sollten in öffentlichen und privaten Unternehmen „Datenverwalter“ eingestellt werden. Sie werden die Veränderungen erkennen und leiten und bestimmen, was man wann teilt, wie man die Inhalte schützt und wie man mit verfügbaren Daten umgeht.

Und schlussendlich muss es eine Bewegung geben: es ist an der Zeit, eine Gemeinschaft für Informationsrecht zu erweitern und mehr „Datenverantwortung“ zu fordern. Damit könnte man das Leben vieler Menschen besser machen — und somit auch unser eigenes.

Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation“ unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image „ruins“ (adapted) by choukyin (CC0 Public Domain)


ist Mitbegründer und Forschungs- und Entwicklungsleiter des Governance Laboratory an der New York University, wo er für den Aufbau einer Forschungsstiftung für Fortschritte in Wissenschaft und Technik verantwortlich ist.


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