Im Jahr 1890 hatten der amerikanische Richter Louis Brandeis und der Anwalt Samuel Warren den Begriff privacy zum ersten Mal als Recht formuliert, den Schutz des privaten Bereichs als Teil der persönlichen Freiheit durchzusetzen. Es handelte sich dabei vor allem um ein Abwehrrecht gegen die anstürmenden Kräfte der Presse, des Staates und öffentlicher Behörden. Denn zu jenem Zeitpunkt begann ein organisatorischer und technischer Fortschritt bei Medien und behörden den Bereich der persönlichen Aktivitäten zu beobachten, die vorher schlicht nicht der öffentlichen Hand zugänglich waren und auch die Presse bis dato unangetastet gelassen hatte. Zwar war das eigene Land und die körperliche Unversehrtheit schon vorher geschützt, die beiden Juristen sahen jedoch in der zunehmend ökonomisch agierenden Presse sowie den Aufzeichnungsmöglichkeiten für Bild und Ton eine neue Form des externen Übergriffs auf die persönliche Schutzzone. Sie mahnten daher an in ihrem Grundsatzartikel The Right To Privacy an, das Recht an der eigenen Person müsse angesichts der modernen invasiven Praktiken durch Staat und Firmen gestärkt werden, damit die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Leben gewahrt blieben…
Heutzutage wird an dieser Stelle oft und gerne über Datenschutz gesprochen und geschrieben. Allerlei abenteuerliche historisch oft einseitige Herleitungen für diesen Schutz persönlicher Informationen werden bemüht, um einen künstlichen Keil zwischen die Selbstbestimmung des Menschen über seine Daten und die invasiven und zum großen Teil stillen Aktionen von Firmen zu treiben, um an eben diese persönlichen Daten zu kommen. Dabei werden oft aktive und passive Aktionen miteinander verwechselt oder gar nicht erst differenziert.
Vergessen wird dabei nicht selten, dass es einen großen Unterschied zwischen öffentlichem Leben und Öffentlichkeit gibt. Analog werden auch Privatheit und privates Leben vermengt. Habermas sieht in der Öffentlichkeit im weitesten Sinne das Publikum als mehr oder weniger große Masse von Menschen mit mehr oder weniger koordiniertem Willen zur Meinungsbildung über die Dinge, die alle etwas angehen. Das Private umfasst eher den willkürlichen Bereich des Lebensnotwendigen. Wenn man in Betracht zieht, dass beide Sphären im Lebensvollzug erst ihren Wert für die Person erhalten, dann bekommt die theoretische Diskussion überhaupt erst einen praktischen Sinn, nämlich einen ethischen. Hierbei ist dann zu bedenken, welche Informationen wem dienen sollen. Die Interessenlage der Person muss sich dabei nicht gegenüber dem öffentlichen Leben begründen. Es muss reichen, dass im allgemeinen Persönlichkeitsrecht festgelegt ist, dass bei Personen, die nicht im öffentlichen Leben stehen (Politiker, Schauspieler etc.) alle privaten Informationen schützenswert sind.
Wer nun denkt, dass jeder, der im Internet seine Fotos oder Statusmeldungen verbreitet, damit ein Angebot an das öffentliche Leben unterbreitet, ein ähnliches Interesse an der Person zu entwickeln wie wir es bei Hollywood-Stars unterstellen, der begeht einen kategorialen Fehler. Denn es ist im allgemeinen Fall davon auszugehen, dass er oder sie dies nur gegenüber seinen Freunden tun möchte, die er präzise zu diesem Zweck in seine Liste im Sozialen Netzwerk eingeladen hat.
Noch offensichtlicher sind staatliche Eingriffe wie das SWIFT-Abkommen über Bankdaten oder der Austausch von Reisedaten mit den USA. Dort kommen immer wieder höhere Werte als Begründung vor, um die Datenübermittlung einzuordnen. Was Brandeis und Warren noch auf die moderne Presse und das mechanische Bannen von Menschen und ihren Worten bezogen (in dieser Linie können wir ihre Argumente um Google und Facebook erweitern), muss nun aber vor allem auf die Geheimdienste und transnationalen Intermediäre wie etwa SWIFT übertragen werden. Einfach nur darzulegen, dass jederzeit alle versierten Informatiker jedes Datum, das an das Internet angeschlossen ist, immer und überall ausgelesen können, liefert keine positive oder negative Bestimmung einer Grenze des privaten Lebens. Es sei denn, man negiert diese Grenze für das Internet. Dann allerdings bedarf es einer konstruktiven Zusammenschau beider Sphären. Denn dann ist das Netz ein Drittes. Besonderen Reiz dürfte in diesem Fall eine Ethik dieser neuen Sphäre ausüben auf alle, die sowieso Abgrenzungsprobleme haben. Dies könnte psychologische Gründe haben. Hoffen, wir dass die Diskussionen rund um post-privacy nicht auf diese Weise motiviert sind.
Ein Erörtern der Frage, ob der persönliche Computer oder das Smaprtphone nun dem eigenen Haushalt zuzuordnen ist, klingt verlockend historisch. Aber es geht dabei wieder nicht um das Leben sondern nur um die Sphären in denen es sich abspielt. Eine umfassende Diskussion sollte aber nicht nur Element und Strukturen eines Phänomens betrachten sondern vor allem die Organisation derselben. Das ist in diesem Fall der Wille der Person und der Wille des Staates bzw. der Firma. Eine Willkür der Firma mit ihrem Geschäftsmodell zu erklären hat in etwa denselben erklärenden Gehalt wie das Morden eines Serientäters mit dem Vorhandensein seiner Waffe zu begründen. Analog sollten wir den persönlichen Schutzwillen bzw. den behördlichen Willen zum Datenaustausch diskutieren. Alle. Bald.
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Schlagwörter: Begriff, post-privacy, privacy, privatsphäre