Der Dörner-Specht-Konflikt und das Unwort Netzgemeinde

fata morganaImage by Mila Zinkova (Some rights reserved)

Die vielbeschworene Netzgemeinde wird zum Carnifex (Scharfrichter) und sieht sich gerne in dieser Rolle. Als fünfte Instanz will sie gesehen werden und gilt dabei oft als homogene Masse, die sich zuweilen explosionsartig hervorhebt und das Beil auf diejenigen niederlässt, die es wagen, sich anders zu positionieren. Das ist das Bild der sogenannten Netzgemeinde – von oftmals konservativen 60iger-Jahre-Gestalten. Für sie gilt die Netzgemeinde als sagenumwobenes Gebilde aus Einsen und Nullen menschlichen Ursprungs. Sie tritt ein für ihre Belange. Vorratsdaten nein! Netzneutralität ja! Revolution durch Facebook, aber hallo! Sie ist sich einig von Martha Müller bis Manfred Mustermann. Doch die Netzgemeinde ist eine Fata-Morgana. Es gibt sie eigentlich nicht. Vielleicht gab es sie mal. Doch das ist lange her…

Der Journalist Stephan Dörner und der Blogger und Thilo Specht haben sich, neben vielen anderen dieser Tage mit dem Begriff auseinandergesetzt. Dörner behauptet, es gibt sie, die Netzgemeinde. Der Begriff prägt angeblich eine Gruppe von Menschen, die gemeinsame Werte und Überzeugungen haben. Sie twittern, bloggen und erschaffen Kampagnen um analoge Ideen digital zu verbreiten. Er räumt ein, dass der Begriff nicht sehr gelungen ist, aber es auch keinen besseren gibt. Der Begriff, so banal er auch klingen mag, steht symbolisch für etwas, das da wächst und gedeiht und jeden Tag mehr an Bedeutung gewinnt. Und sich parallel zu der realen Welt im eigenen digitalen Kosmos bewegt.

Thilo Specht sieht das differenzierter und vertritt die Meinung, dass es gewagt ist eine Gruppe die twittert, bloggt oder sonst wie am digitalen Lebensbereich teilnimmt, ein gemeinsames Wertesystem zu unterstellen. Er weist daraufhin, dass man eine twitternde Steinbach, von einem bloggenden Ströbele unterscheiden muss und dass eine Nutzung der Infrastruktur „Internet“ sie noch lange nicht zu Brüdern im Geiste macht. Schon gar nicht zur Netzgemeinde hervorhebt.

Die Richtung aus der man das Geschehene betrachtet, wird dazu führen dass man sich dem Begriff entweder verweigert oder ihn annimmt. Der Dörner-Specht-Konflikt ist dabei so bezeichnend wie es besser nicht sein kann. Auf der einen Seite wie gesagt Dörner, der als Handelsblatt-Redakteur, eine Position als Randfigur im Web einnimmt, die zwar um das Internet Bescheid weiß und es versteht, aber seine Ausbildung und Werte aus analogen Themengebieten zieht und somit das Web immer noch als Parallelgesellschaft wahrnimmt. Auf der anderen Seite nimmt Thilo Specht als selbsternannter Filesharer, Blogger, Social Media Enthusiast sowie Stratege und Berater für Onlineprojekte verschiedenster Art, die Seite des Praktikers im Web ein und kennt die Pappenheimer. Er lebt dort. Verdient sein Geld damit und betrachtet das Web womöglich als gleichwertigen Teil in dieser Welt. Der nicht parallel verläuft, sondern fest integriert ist im gesellschaftlichen Alltag. Und darin liegt seine Stärke und seine hauseigene Objektivität für die Begriffs-Thematik.

Diejenigen, welche sich im Web bewegen und es als selbstverständlich betrachten, sehen das Internet, als genau so ein soziales Gebilde an wie eine Gemeinschaft aus verschiedenen Bürgern. Hier gibt es Konservative sowie Liberale. Welche, die die Vorratsdatenspeicherung begrüßen sowie welche die sie verfluchen. Das Wörtchen „Netz“ im Begriff „Netzgemeinde“ ist da fehl am Platz. Ja fast obsolet geworden, da die Protagonisten im Laufe der zunehmenden Kommerzialisierung, nicht mehr nur die geekigen IT-ler sind, die sich in den 80igern in Hamburg zum clash of the bytes getroffen haben, sondern sich ferner den Raum mit Bevölkerungsgruppen teilen, die das Netz und die Gegebenheiten nur von weitem betrachten und deren Wissen sich auf Facebook und das Onlinebanking beschränkt. Diese Geeks der Vorzeit konnten sich vielleicht noch so nennen – Netzgemeinde. Allerdings ist der Begriff heute nicht mehr zutreffend. Der Begriff ist aus sich herausgewachsen, beschreibt nicht mehr die Realität und ist ein Relikt aus vergangenen Tagen.

Es ist also de facto schon mal vermessen – und damit teile ich Thilo Spechts Meinung – zu glauben, dass die Menschen, die das Internet nutzen eine homogene Maße darstellen sowie das alle die gleichen Ziele vereint und man sie pauschal unter diesem merkwürdigen Begriff zusammenfasst. Zusehen ist dies unter anderem auch in der Art und Weise wie mit der Causa Gauck online umgegangen wird. Zwar stellt eine augenscheinlich breitere Maße auf Twitter eine abwehrende Haltung dem zukünftigen Bundespräsidenten entgegen, doch ist es keinesfalls die absolute Mehrheit, die sich hier findet. Es gab sie auch, die Zurufe mit den befürwortenden Hashtags, die sich keinesfalls aus den Worten NOT MY PRESIDENT zu #NOTMYPRESIDENT formten, sondern wohlwollend den Background stärken.

Es sind aber auch nicht zuletzt die großen Medien selber und die Autoren, Journalisten und Meinungsmacher dahinter, die dafür sorgen, das reale Dinge, Tatsachen, verklärt und in eine Schublade gesteckt werden, aus der nur sie selber sie wieder befreien können, indem sie es gar nicht erst zum geflügelten Wort werden lassen. Dumm nur ist, wenn man aus einer gewissen Gewohnheit heraus, nicht mehr anders kann, als an das selbstverklärte Gebilde zu glauben.

schreibt seit 2011 für die Netzpiloten und war von 2012 bis 2013 Projektleiter des Online-Magazins. Zur Zeit ist er Redakteur beim t3n-Magazin und war zuletzt als Silicon-Valley-Korrespondent in den USA tätig.


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3 comments

  1. Ich finde eigentlich „User“ immer noch am besten. „User“ macht deutlich, dass es sich um eine Person handelt, die im Web aggiert und lässt keinen Rückschluss auf eine gemeinsame Haltung zu. Wenn man die Leute, dann noch kategorisieren möchte, kann man zumindest noch Twitter- oder Facebook- dran hängen.

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