‚Sharing ist Caring‘ gilt nicht nur für soziale Zwecke, sondern offensichtlich auch in der Arbeitswelt. Immer mehr Unternehmen setzen auf flexible, geteilte Arbeitsplätze für ihre Mitarbeiter. „Desksharing“ soll für flache Hierarchien, mehr Austausch und smarte Raumnutzung sorgen. Doch hält das Flex-Office wirklich das was es verspricht?
Desksharing: Wie „Reise nach Jerusalem“ 4.0
Desksharing, auch „Hot-Desking“ genannt, funktioniert so ähnlich wie das Spiel „Reise nach Jerusalem“: Es gibt weniger Arbeitsplätze als Mitarbeiter. Wer also morgens ins Büro kommt, setzt sich nicht mehr an „seinen“ Platz, sondern dorthin, wo gerade etwas frei ist. Da Arbeitszeiten und -orte aber flexibler werden und nie alle Mitarbeiter gleichzeitig im Büro sind, bleibt am Ende aber im Gegensatz zum Kinderspiel niemand ohne Stühlchen. Vielmehr wird das Büro zum geteilten Raum. Was zunächst vor allem Platz und Kosten spart, bricht auch starre Strukturen und Hierarchien in Unternehmen auf. Einige Unternehmen berichten, dass Desksharing ihnen Kosteneinsparungen von über 30 Prozent eingebracht hat.
Neben diesem praktischen Aspekt hat das Desksharing aber auch symbolischen Wert. Wenn Zwischenwände und Besitzansprüche am Arbeitsplatz wegfallen, wird das Arbeitsumfeld demokratischer. Streitigkeiten wie die, wessen Tisch am größten ist oder die Frage, wer den bequemeren Stuhl hat, erübrigen sich damit. Desksharing soll somit für ein besseres Miteinander und flachere Hierarchien sorgen.
Desksharing in großen Unternehmen
Das erhoffen sich auch Unternehmen wie Siemens, Lufthansa oder ADAC, die das Konzept an einigen Standorten in Deutschland eingeführt haben. Jana Kugel, die Personalchefin von Siemens, betont, dass Desksharing für mehr Selbstbestimmung am Arbeitsplatz sorgt. Außerdem mache es Mitarbeiter „glücklicher und damit auch produktiver“. Bei der Lufthansa hofft man, dass Desksharing dem Unternehmen ein modernes, innovatives Image verleiht. Der ADAC basiert sein Desksharing-Konzept wiederum auf die Ergebnisse der Fraunhofer IAO-Studie. Außerdem kommt man so dem Wunsch der Mitarbeiter nach einem flexibleren Arbeitsumfeld nach.
Desksharing, das deshalb gerne im Zusammenhang mit New-Work-Konzepten genannt wird, ist aber nicht ganz so neu wie viele glauben. Es stammt aus den 1980er Jahren und wurde vom „Hot-Bunking” in der Seefahrt inspiriert. Beim Hot-Bunking teilen sich mehrere Matrosen bei Wechsel-Schichtarbeit die gleiche Koje. Während einer arbeitet, schläft der andere – und andersherum. Dasselbe Prinzip wurde übrigens auch Anfang des 20. Jahrhunderts unter dem Begriff „Hot Bed” für Industriearbeiter genutzt. Arbeitern das Geld in dieser Zeit kaum zum Überleben. Daher teilten sich oft mehrere Menschen die Kosten für ein Bett, um Geld zu sparen.
Während diese Konzepte eher aus der Not geboren wurden und mehr mit Ausbeutung der Arbeiter zu tun hatten, soll das moderne Desksharing genau das Gegenteil bewirken. Unternehmen wollen mit dem flexiblen Arbeitsplatzkonzept das Gemeinschaftsgefühl im Team stärken, den kreativen Austausch fördern und das Büro als Raum neu durchdenken – zum Wohl der eigenen Mitarbeiter.
Flexibilität am Arbeitsplatz macht glücklich
Denn glückliche Mitarbeiter sind produktivere Mitarbeiter. Wer sich auf die Arbeit freut, ist motivierter und leistet mehr. So fanden Forscher der University of Warwick heraus, dass glückliche Mitarbeiter bis zu 12 Prozent produktiver sind. Deshalb suchen Unternehmen nach immer neuen Wegen, um für höhere Zufriedenheit bei ihren Mitarbeitern zu sorgen.
Früher hat man den Angestellten dann einfach mehr Lohn gezahlt, einen Firmenwagen gestellt oder ein größeres Büro gegeben. Doch aktuelle Studien zeigen, dass materielle Belohnung und Statussymbole gerade die jüngeren Generationen ziemlich kalt lassen. Sie wünschen sich von ihrem Arbeitsplatz vor allem eins – mehr Flexibilität.
In dem Verbundsforschungsprojekt des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) „Office 21“ stellten die Wissenschaftler zum Beipsiel fest, dass Selbstbestimmung in der Arbeit für die meisten Angestellten an oberster Stelle steht: „Wer seine Arbeit individuell gestalten kann, erlebt eine höhere Work-Life-Balance, mehr Motivation und mehr Leistung”, heißt es in dem Report.
Das gilt nicht nur für Arbeitszeit und Arbeitsmethoden, das betrifft auch den Arbeitsplatz an sich. Überraschenderweise stellt die Studie fest, dass die Büroräume für Mitarbeiter immer wichtiger werden, obwohl sie dort durch flexiblere Arbeitsmodelle wie Jobsharing oder das Arbeiten im Homeoffice immer weniger Zeit verbringen. Nach Meinung der Forscher liegt das daran, dass Mitarbeiter sich auch stärker mit ihrer Arbeit und folglich auch mit ihrer Arbeitsumgebung identifizieren.
Im Gensler Workplace Index kam bei einer Umfrage unter mehr als 2000 Angestellten heraus, dass Mitarbeiter produktiver arbeiten, wenn ihnen die Büroräume gefallen. Ein offenes, freundliches, kreatives Umfeld inspiriert die Mitarbeiter und transportiert auch die Botschaft: Wir sind ein innovativer Arbeitgeber. Das Prinzip des Desksharing soll genau das vermitteln.
Desksharing-Erfahrungen bei etventure
Doch ist Desksharing wirklich so vorteilhaft wie die Unternehmen es sich erhoffen? Gregor Ilg hat da so seine Zweifel. Der Head of Product bei der Berliner Innovationsberatung „etventure“ spricht aus Erfahrung. Seit gut vier Jahren experimentiert das Unternehmen mit neuen Raumkonzepten, dem Arbeiten in Coworking-Spaces und unter anderem auch mit Desksharing.
Dabei wurde die Idee zum Flex-Office bei etventure eher aus der Not geboren, erklärt er im Gespräch mit den Netzpiloten: „Wir sind in sehr kurzer Zeit von 25 auf 220 Mitarbeiter gewachsen. Da wir damit auf einmal zu wenig Platz hatten, haben wir viel in Sachen Raumgestaltung ausprobiert. Zwischenzeitlich hatten wir sogar auch Shared Desks. Da saß ich zum Beispiel mit einer Kollegin zur selben Zeit am gleichen Schreibtisch, ich am Laptop, sie am Desktop.“ Mittlerweile hat etventure neue Büroräume und auch etwas mehr Platz. Die Berliner Mitarbeiter teilen sich neben einigen festen Büros und Konferenzräumen 24 offene Arbeitsplätze auf zwei großen Büroflächen von jeweils 60 Quadratmetern. Da die meisten Mitarbeiter nicht jeden Tag im Büro sind, gilt in diesen zwei Bereichen weiterhin weitestgehend die Open-Desk-Politik.
Die Lösung ist für Gregor Ilg im Moment in Ordnung, er sieht sie aber nicht als dauerhaftes Konzept für das Unternehmen: „Es löst unser Platzproblem, das ist der große Vorteil. Es funktioniert aber nicht für jeden Mitarbeiter und jede Aufgabe. Unsere Programmierer brauchen zum Beispiel spezielle Computer mit zwei Monitoren. Die können nicht jeden Tag woanders sitzen.“
Auch bei Projektteams sei Desksharing mitunter schwierig, sagt Ilg: „Wir arbeiten viel mit Whiteboards und Post-Its. Das ist natürlich sehr umständlich, wenn man diese jeden Morgen an einer anderen Stelle aufhängen muss.“ Darüber hinaus wird der ständige Wechsel des Schreibtisches von vielen Mitarbeitern als Nachteil empfunden. Das liegt nach Meinung von Gregor Ilg daran, dass die Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze gerne persönlich gestalten und auch daran, dass Menschen Gewohnheitstiere sind. „Ich bin zum Beispiel mit meinen 1,93 Metern recht groß“, erzählt er, „dementsprechend habe ich meinen Stuhl für meine Höhe eingestellt. Es ist schon umständlich, wenn ich jedes Mal aufs Neue den Stuhl anpassen muss.“
Desksharing klingt besser als es ist
Die Desksharing-Erfahrung von Gregor Ilg teilen auch andere. Alison Hirst, Ethnologin und Director of Postgraduate Research der englischen Anglia Ruskin University, hat drei Jahre die Vor- und Nachteile von Desksharing in Unternehmen selbst erprobt und ausgewertet. Ihr Ergebnis: Viele Mitarbeiter fühlen sich durch die Praxis ausgeschlossen, marginalisiert und die Instabilität des Desksharing sorgt sogar für Spannungen am Arbeitsplatz. Mitarbeiter, die später im Büro ankommen, müssen feststellen, dass die besten Plätze schon belegt sind. So bilden sich ganz neue Formen der Hierarchien und Feindschaften im Arbeitsumfeld.
Darüber hinaus sorgt der täglich wechselnde Arbeitsplatz sogar für weniger Produktivität, sagt Hirst. Denn es dauert jedes Mal eine Weile, bis man alles ausgepackt, angeschlossen und so eingerichtet hat, dass man anfangen kann zu arbeiten. Das kostet Zeit. Wenn sich zudem jeder Arbeitstag wie der allererste Tag im neuen Büro anfühlt, entsteht keine Routine, die wichtig für produktives, kontinuierliches Arbeiten ist.
Hirst hat in ihrer Untersuchung ebenfalls festgestellt, dass der nomadische Arbeitsplatz auch Gefühle der Unruhe und Unsicherheit in vielen Mitarbeitern auslöst. Die Instabilität am Arbeitsplatz entfremdet uns demnach sogar von unseren Kollegen und macht so eine produktive, teamorientierte Zusammenarbeit im Büro sehr schwierig.
Was bedeutet Desksharing für den Arbeitsplatz der Zukunft?
Ist damit das Konzept des Desksharing überholt? Es ist zumindest in seiner traditionellen Form nicht langfristig sinnvoll, glaubt Gregor Ilg. Dennoch zeigt Desksharing auch, wie ein flexibler Arbeitsplatz rigide Strukturen aufbricht und so Platz für Kreativität schafft. Das will etventure in seiner eignen Raumplanung berücksichtigen. Denn das Unternehmen hat aus dem Platzproblem Konsequenzen gezogen: Es will erneut umziehen und diesmal den Raum nicht nur effizient, sondern auch kreativ nutzen.
Desksharing oder fester Arbeitsplatz sei dabei gar nicht die entscheidende Frage, sagt Ilg. Vielmehr gehe es darum, dass die Art und Weise, wie wir Arbeitsräume denken und entwerfen, sich verändern muss: „Wir müssen beim Büro über radikal neue Raumkonzepte nachdenken. Das Büro wird dabei in Zukunft nicht nur anders aussehen, sondern wahrscheinlich auch gar nicht mehr Büro heißen.“
Der Raum zum Arbeiten muss seiner Ansicht nach nicht nur flexibler, sondern auch vielfältiger werden. Dazu gehören verschiedene Räume, die sich an die jeweilige Arbeit anpassen. Das können zum Beispiel offene, geteilte Arbeitsplätze für kreative Projektarbeit sein, ruhige Arbeitsplätze für konzentriertes Arbeiten oder Orte der Begegnung, in denen Mitarbeiter spontan zusammen kommen und an denen kreative Ideen entstehen können. Man dürfe generell das Büro nicht mehr so starr denken, sagt Ilg. Homeoffice, geteilter Arbeitsplatz, feste Orte, Coworking-Spaces, Cafés, Konferenzräume – all das kann und sollte für den Arbeitsplatz der Zukunft flexibel genutzt werden.
Denn wenn die Erfahrungen mit Desksharing eins gezeigt haben, dann ist es die Einsicht, dass es den idealen Arbeitsort nicht gibt – genausowenig wie die perfekte Arbeitsmethode. Dazu sind Unternehmen zu verschieden und auch die Mitarbeiter zu individuell. Desksharing für alle wird sich deshalb sicher nicht flächendeckend durchsetzen. Vielmehr wird Desksharing in Zukunft einfach eine von vielen Optionen für Mitarbeiter sein.
Image (adapted) 515167 by rawpixel.com (CC0 Public Domain)
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Schlagwörter: arbeitgeber, Arbeitsplatz, Arbeitsumfeld, Desksharing, flexibles Arbeiten, Gregor Ilg, Hot-Desking, Lufthansa, Mitarbeiter, Siemens, Work-Life-Balance
5 comments
Vielen Dank, Marinela, für den schönen Artikel.
Du hast die verschiedenen Aspekte m.E. sehr schön auf den Punkt gebracht. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich das Konzept vom Activity Based Workplace, wo man nicht jeden Tag den ganzen Tag am gleichen Platz sitzt, langfristig in vielen Branchen durchsetzen wird. Das wird die Veränderung der Arbeitswelt so mit sich bringen.
Das wird m.E. in Zukunft auch noch ganz andere Bereiche weit über den eigentlichen Arbeitsplatz hinaus betreffen. Da gibt es auf jeden Fall noch viel Gesprächsstoff (http://futureproofworld.com/zukunftsblick-zukunft-positiv-gestalten/).
Liebe Grüße,
Gregor.
Und ganz pragmatische Nachteile werden ausgeblendet. Das permanente „Grundlärmrauschen“ in einem Desksharing-Großraumbüro, die Undiszipliniertheit vieler, die ihr Handy bimmeln lassen, sich laut unterhalten, oder anderweitige Störgeräusche machen „Pfeifen, Singen, um nur zwei zu nennen“. Dann die Menschen, die es nicht ertragen, sich leise zu ärgern und deshalb immer für alle hörbar schimpfen und fluchen. Konzentriertes und unabgelenktes Arbeiten ist in diesen „Human-Arbeistbienenstöcken“ nicht möglich. Setzt man Lärmschutzkopfhörer auf, bekommt man entweder Ärger oder nicht mit, wenn das Telefon klingelt. Und so weiter und so fort.
All diese ganzen Konzepte lassen bisher diese Störfaktoren unbeachtet. Selbst dort, wo Schallschutzelemente vorhanden sind, ändert das nichts an der mangelnden Disziplin der Arbeitsbienen.
Desk-Sharing bedeutet nicht gleich Großraumbüro. Dass ein Großraumbüro für manche Arbeitsvorgänge unvorteilhaft ist, leuchtet wohl jedem ein. Aber Desk-Sharing kann auch bedeuten, dass ganze Flurabschnitte als Ruhe-Bereich gelten und dort nicht geflucht, gesungen und gepfiffen werden darf. Dass dies eingehalten wird, ist Führungsaufgabe. Bei uns funktioniert es sehr gut, daher verstehe ich die Kritik nicht. Jedes Arbeitsplatzkonzept ist nur so gut wie es in der Praxis umgesetzt wird.
Woher kommt denn die Zahl das Kosteneinsparungen von über 30% erzielt werden konnten?
LG
Ich bin jetzt auf das PROBLEM “Desk-Sharing” gestoßen und hoffe, dass dieser Trend irgendwann demnächst ausstirbt und begraben wird. Bei uns ist es nicht das Konzept “first come – first serve” und auch nicht wirklich “Herrenlose Plätze”, sondern schlichtweg mehr Personal eingekauft als Arbeitsplätze geschaffen. Es ist lästig. Es ist unmöglich eine “Beziehung” zu deinem Arbeitsort aufzubauen, da du im Endeffekt doch nirgends hingehörst und quasi gefühlsmäßig doch allein gelassen wirst. Ich habe immer mit dem physischen Teil meiner Arbeit zu kämpfen, also wo ich meine elektronische Ausstattung und meine papierbasierten Dokumente lassen soll, wenn ich mit der Arbeit fertig bin und mal keine zehn Kilo Arbeitsmaterial nach Hause schleppen möchte. Überlege wegen diesem Konzept zu kündigen, denn die Situation ist einfach bescheiden.