Critical Role hat das Pen & Paper-Rollenspiel, insbesondere Dungeons & Dragons salonfähig gemacht. Mehrere Personen, die mit Stift, Papier und Würfeln in ungewöhnlichen Formen an einem Tisch sitzen. Doch während sie am Tisch sitzen entspinnen sich in ihren Köpfen Geschichten. Sie sind keine Schüler, Beamte oder Handwerker, sondern Paladine, Magier und Druiden, welche die Welt retten – oder es zumindest versuchen.
Pen & Paper-Rollenspiele galten bis vor wenigen Jahren noch als reines Hobby für Nerds. Die Spieler galten oft als soziale Sonderlinge, die den Bezug zur Realität verloren haben. Als beim großen Twitch-Leak Auszahlungen bekannt gegeben wurden, führte ein Kanal vor allen anderen: Critical Role. In deren Streams schaut ihr einer ebensolchen Rollenspielrunde beim Spielen zu. Entgegen üblicher Trends haben Zuschauer dabei keinen direkten Einfluss aufs Geschehen. Trotzdem begeistern die meist vierstündigen Livestreams im Schnitt mehrere 10.000 parallele Zuschauer. Auf YouTube kommen zudem jeweils mehr als eine Million weitere Views hinzu. Auf Amazon gibt es ihre ersten Abenteuer nun sogar als Animationsserie.
Wir erklären euch, was Critical Role so besonders macht und warum gerade jetzt die perfekte Zeit ist, um selbst ein „Critter“ zu werden. Vorweg geben wir aber noch eine kurze Erklärung, was Pen & Paper überhaupt ist. Wer sich da schon auskennt, kann den nächsten Punkt also ruhig überspringen.
Was ist Pen & Paper? Was ist Dungeons & Dragons?
Pen & Paper lässt sich fast schon als Videospiel im Kopf bezeichnen. Jeder Spieler verkörpert dabei einen Charakter. Was der Charakter kann steht auf dem Charakterbogen. Dazu gehören allgemeine Werte, die etwa die Stärke, das Geschick oder die Intelligenz des Charakters beschreiben. Es gibt aber auch Fähigkeiten wie „Akrobatik“ oder „Überreden“, die auf diesen Werten aufbauen und spezielle Angriffe oder Zauber, die der Charakter beherrscht.
Neben den Spielern gibt es auch noch einen Spielleiter. Dieser verkörpert die gesamte restliche Welt und führt die Spieler – meist als Art Heldengruppe – durch ein Abenteuer. Das ist in der Regel an sich durchgeplant, bietet aber viele Freiheiten. Entgegen eines Computerspiels lässt sich nämlich fast alles machen, was man sich vorstellen kann. Wenn irgendwo im Raum ein Kronleuchter hängt könnt ihr versuchen ihn runterkrachen zu lassen oder an ihm schwingend einen besonders eleganten Angriff gegen den Gegner zu landen. Es erfordert aber auch Improvisation, gerade weil es keine fest vorgegebenen Antwortmöglichkeiten gibt. Man kann es also als Improvisationstheater mit Regelwerk beschreiben.
Während viele Spielsysteme unglaublich komplex sind ist Dungeons & Dragons in seiner heutigen Fassung sehr zugänglich, bietet aber trotzdem noch unzählige Möglichkeiten. Es ist eines der ältesten Spielsysteme, konnte sich aber am besten in die Internetwelt einfügen. Wer neugierig ist, selbst damit anzufangen, kann das mit den Basisregeln sogar kostenlos probieren. Wir haben bereits einen Artikel über D&D Beyond geschrieben, wo ihr eure Charaktere kostenlos in einem gut verständlichen Baukasten erstellen und verwalten könnt.
Critical Role – Wenn Voiceactor zusammen spielen
Das Erfolgsrezept von Critical Role ist vor allem die Gruppe selbst. Diese besteht nicht aus klischeehaften Nerds, auch wenn sie trotzdem durchaus Teil verschiedenster Fandoms sind. Es handelt sich bei Critical Role um eine Gruppe bekannter Voiceactors. Ihre Stimmen sind vor allem in englischsprachigen Animes und Videospielen bekannt. Entsprechend sind sie dazu in der Lage, ihren Charakteren auch mit der Stimme Leben einzuhauchen. Wenn sie als ihr Charakter sprechen, dann auch mit einer dazu passenden Stimmlage und Emotion.
Ein Schauspieler oder Voiceactor allein macht aber noch keinen guten Spieler. Der Cast ist durch die Bank sympathisch und jeder hat ein Talent dafür zu improvisieren. So entstehen viele lustige Momente einfach aus der Situation heraus. Obwohl sich jeder problemlos in den Vordergrund spielen könnte, weiß jedoch jeder, wann er sich zurückhalten muss oder wie er andere in ihren großen Momenten noch unterstützen kann. Beispielsweise spielt Marisha Ray in der neuesten Kampagne eine etwas unheimliche (weil dezent untote) Hexenmeisterin. Als sie jemanden eine telepathische Nachricht übermittelt, beginnt ein anderer Spieler plötzlich ein unheimliches Echo ihrer Worte zu sprechen und der Rest der Gruppe stimmt sofort mit ein.
Auch der Spielleiter Matt Mercer ist Voiceactor und ein Meister der Improvisation. Es ist beeindruckend, wie er auch den belanglosen Händler oder Tavernenwirt mit verschiedensten Stimmen zum Leben erweckt. Es wirkt manchmal so ausgefeilt und prompt, dass man kaum glauben mag, dass er spontan auf der verrückten Ideen seiner Spieler reagiert. Außerdem erweckt die Welt auch mit bildgewaltigen Beschreibungen der Umgebung zum Leben.
Die Gruppe ist so gut, dass teils negativ vom „Matt Mercer-Effekt“ gesprochen wird. Das beschreibt die falsche Erwartungshaltung meist neuer Spieler, dass ihre erste Gruppe ein genau so cineastisches Erlebnis bietet wie die um Matt Mercer.
Das Problem: Zu viele Folgen
Wer mit Critical Role anfangen wollte, hatte meist ein großes Problem: Es gibt so unfassbar viele Folgen. Jede Kampagne ist eine fortlaufende Geschichte und somit lässt sich eher schwierig mittendrin im Geschehen einsteigen. Am besten geht das noch, wenn ein Storyzweig abgeschlossen wurde. Meist reist die Gruppe dann auch an einen neuen Ort. Eigentlich möchte man aber wissen, was zuvor passiert war um ja keine Bezüge zu verpassen. Wer nicht gerade einen Master in Bingewatching hat, ist mit 115 mehrstündigen Folgen der ersten und 141 der zweiten Kampagne etwas überfordert.
Zumindest für mich selbst kam auch noch dazu, dass es durch die englische Sprache auch noch etwas mehr Konzentration erfordert. Ich kann nicht großartig etwas nebenher machen, ohne dabei den roten Faden zu verhindern.
Außerdem ist es ja auch nochmal schöner, wenn man irgendwann – so weit es der Zeitunterschied erlaubt – live mitschauen kann. Zwar hat man als Community wenig Einfluss auf das Geschehen, aber das Gefühl ist ein anderes, wenn man live dabei ist. Mitten in einer Season drin, ist es fast unmöglich 50 oder 60 Folgen mal eben aufzuholen.
Zum Glück: Season 3 ist noch sehr frisch
Darum ist jetzt der perfekte Punkt, um bei Critical Role einzusteigen. Die neue Season 3 ist erst 13 Folgen (Stand 11. Februar 2022) alt. Da lässt sich noch relativ schnell auf den aktuellen Stand kommen, auch wenn jeweils 4 Stunden Spielzeit pro Woche dazu kommen. Dabei gibt es natürlich brandneue Charaktere – gut, einige kamen schon in einem kurzen Spinoff zwischen den Staffeln vor.
Die Charakterriege deckt dabei mal wieder eine sehr bunte Palette unterschiedlichster Charaktere ab, die für eine sehr spannende, gerne auch lustige Chemie der Charaktere untereinander sorgt. Neben der leicht untoten Hexenmeisterin Laudna gibt es beispielsweise die ziemlich weltfremde Faun-Druidin Fearne oder den roboterartigen aber überaus empathischen „Fresh Cut Grass“, welcher der Kleriker der Gruppe ist.
Die Spieler sind dabei übrigens noch die selben, wie zum Start 2015 (eigentlich 2012 – aber als Livestream startete Critical Role erst später). Lediglich Robbie Daymond ist mit seinem Barden Dorian Storm als Neuling dabei und gilt auch noch nicht als fest Mitglied. Er funktioniert dabei aber so gut mit der Gruppe, dass sie ihn gerne fest aufnehmen dürften.
Vox Machina – die Amazon-Serie zur ersten Kampagne
Ein weiterer Grund, warum sich der Einstieg in Critical Role lohnt, ist dass es jetzt eine Animationsserie zur ersten Kampagne gibt. Diese serviert den Zuschauern eine etwas kompaktere Fassung der Ereignisse und ist damit ideal, um sich mit dem allgemeinen Ton der Spielrunde vertraut zu machen. Außerdem zeigt sie auch, was für spannende Storylines bei Critical Role präsentiert werden.
Ein bisschen im Konzept der Rollenspiele sollte man aber am besten schon drin sein. Im Vergleich zu anderen Fantasy-Serien basiert es eben auf einer Spielrunde wo vieles improvisiert wird und zudem Würfel jeden Charakter sogar in seiner Kernkompetenz scheitern lassen können. Gerade das ist aber auch eine angenehme Abwechslung. In einem Fantasy-Epos wie Herr der Ringe wäre es eigentlich undenkbar, dass Legolas im Eifer des Gefechts über ein Gruppenmitglied stolpert. Auf der anderen Seite sorgt das Spielsystem auch dafür, dass die Gruppe oft stärker zusammenarbeitet, als beispielsweise in vielen Action-Animes, wo oft jeder Held seinen eigenen Kampf 1 zu 1 führt.
Im Original vertonen die ohnehin professionellen Voiceactors ihre Charaktere natürlich selbst. Vor allem Sam Riegel blüht bei den Liedern seines Barden-Charakters Scanlan förmlich auf. Trotzdem gibt es erstmals die Möglichkeit, die Geschichte auch in deutscher Sprache zu genießen. Auch die deutsche Vertonung ist für eine vermeintliche Nischenserie sehr gut gelungen und macht richtig Spaß.
Ein Leckerbissen für Fans der ersten Stunde: Vox Machina beginnt bereits vor ihren ersten Livestream-Abenteuern. In den ersten Folgen liegt der Fokus dabei vor allem auf der düsteren Vergangenheit des Gunslingers Percy. Außerdem war man bei der Serie nicht zimperlich. Die bildreichen und manchmal etwas brutalen Beschreibungen der Kämpfe werden auch in der Adaption entsprechend umgesetzt. So ist die Serie nicht unbedingt ganz kindertauglich.
Fazit: Einen einfacheren Zugang zu Critical Role findet ihr nicht mehr
Aktuell ist die wohl beste Zeit, um ein später Fan von Critical Role zu werden. Zum einen ist die neue Kampagne noch nicht sehr alt. Season 3 bietet wieder fantastische bis absurde Charaktere und ihr könnt noch relativ einfach zum aktuellen Stand der Dinge aufschließen.
Zum anderen ist da aber auch die neue Amazon-Serie, die wirklich einen Blick wert ist. Sicherlich ist auch Vox Machina keine Serie für den Mainstream. Dafür baut sie einfach zu sehr auf den Unwägbarkeiten des Rollenspiels auf. Gerade das macht sie aber auch besonders, weil wirklich immer etwas unvorhergesehenes geschieht und der Humor aus der Situation heraus entsteht.
Beides sind gute Einstiegspunkte, sich mit der Truppe rund um Spielleiter Matt Mercer vertraut zu machen. Der eigentliche Critical Role-Inhalt ist zwar auf englisch, aber es lohnt sich wirklich, zumindest die erste Folge der neuen Kampagne zu schauen. Vielleicht macht es euch ja süchtig nach mehr.
Image by Amazon Studios
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