Hier müsste eigentlich der Wochenrückblick stehen. Ob Google eine gute Strategie fährt mit seiner Neuausrichtung, ob sich die Sonstigen (früher bekannt unter dem Namen FDP) einen Gefallen getan haben mit dem Bashing der Piratenwähler, ob am Ende Facebook bald eine valide Alternative mit Good Privacy erhalten wird, sowas würde hier eigentlich stehen…
Über all dieses und noch viel mehr hätte ich gern weiter geschrieben. Aber heute ist mein letzter Tag als Redaktionsleiter bei netzpiloten.de (früher blogpiloten.de) und ich schaue wehmütig auf die letzten 30 Monate zurück. Es gibt Tage, da gehen mir die Nabelschauen der Internetexperten und ihrer Vasallen gehörig auf den Geist. Es gibt Tage, da erreicht die Relevanz des Internet für mich kaum die Höhe eines Flohsprungs. Aber im Grunde bin ich noch immer beeindruckt von der Wucht, die vom Web ausstrahlt.
In anderen Ländern, da ist aus dem Internet eine Medienmasse geworden. Ganze Volksgruppen oder gar Völker betrachten sich selbst in den 1000 Spiegeln, die die Unzahl an Webseiten darstellt. Ich habe das Netz vor einem Jahr bei telepolis als Massenvergewisserungswaffe bezeichnet. In vielen Ländern, deren Kultur auf arachischen Stammesstrukturen basiert, entdecken die Frauen das Web als Mittel der Befreiung…
In vielen Ländern, die keine freie Presse haben, übernehmen Blogger und Bloggerinnen oft unter Lebensgefahr diese Aufgabe. Kein Wunder, dass etablierte Journalisten und Verlage so eine Entwicklung mit Skepsis betrachten. Vor allem auch deshalb, weil man binnen kürzester Zeit im Web zum Millionär oder gar Milliardär werden kann. Das liegt aber nicht primär am Internet oder dem Web selbst sondern an all den Milliarden Dollar, die täglich um die Welt geistern, um ein valides Investment zu finden. Verlage und Zeitungshäuser haben offenbar nicht mehr den Charme, um diese Summen an Zukunftswetten anzuziehen.
Man könnte meinen, der Finanzmarkt hat über deren Aussichten den Mantel des Schweigens ausgebreitet. Und doch verdienen nicht wenige Verlage trotz vieler Unkenrufe Millionen im Web. Das Jammern ist der Morgengruß des Kaufmanns. So verwundert es nicht, dass die Kaufleute aus diesem Umfeld solange gejammert haben, bis sie ein neues Leistungsschutzrecht bekommen, die Industrie ihr weltweites ACTA-Armageddon aufziehen kann und Politiker vor neuen Strukturen zittern, die mit den Piraten aufkommen. Denn Geld und Macht werden neu verteilt.
Warum ich aufhöre, wollt ihr wissen? Aus demselben Grund. Es gibt aktuell zuwenig Geld für uns. Wir haben alle gekämpft, dass diese Plattform, die seit 1998 täglich Neues aus dem Netz zeigt und selbst vorstellt, in dieser Form weiter lebt. Aber für die nächsten Monate müssen wir ein bißchen kleinere Brötchen backen. Ich werde zwar hier noch schreiben, aber eine Redaktion wie jetzt können wir uns nicht mehr leisten. Aber wir kommen wieder, wenn wir mehr Geld in der Kriegskasse haben. Und dann wird wieder in die Tasten gehauen…
Frohe Ostern
Bis bald
Euer
Jörg Wittkewitz
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Schlagwörter: Medien, Netzpiloten, Wittkewitz, zukunft
4 comments
Lieber Jörg,
viel Erfolg in der Zukunft. Du warst ein großartiger Redaktionsleiter, der den Autoren genau im richtigen Verhältnis Freiheit gelassen und Input gegeben hat.
Ich hoffe, wir bleiben in Kontakt und sehen uns vielleicht auch mal außerhalb der digitalen Sphäre :)
Stefan
Kann mich dem nur anschließen. Habe es bisher sehr genossen, hier mein eigenes Tempo und auch meine eigenen Interessen problemlos einbringen zu können. Was durch deine Leitung überhaupt erst in dem Rahmen möglich war. Wir haben unter deiner Leitung, lieber Jörg, ein cooles Produkt noch cooler gemacht und viele abwechslungsreiche Inhalte produziert. Hoffe wir können bald wieder gemeinsam etwas machen. Hab dich wohl!
Mach’s gut, hoffe, es klappt alles so, wie du es dir wünschst. War schön mit dir.