Software ist zum wohl wichtigsten aller Musikinstrumente geworden, aber wird sie irgendwann auch selbst Musik verfassen können? Die Softwaredesignerin ist die Instrumentebauerin des 21. Jahrhunderts. Einige Künstler gehen aber längst weiter und nutzen die technischen Möglichkeiten, um kreative Prozesse in den Code auszulagern. Während möglicherweise bereits der erste Pop-Hit, der komplett eigenständig von einem Programm selbst produziert wurde, naht, spielt manche bereits probehalber mit der Idee des digitalen Interpreten.
Autoren und Programmierer
Zum ersten Mal habe ich mir über das heutige Thema Gedanken gemacht, als ich vor zwei Jahren Robert Henke traf. Der Musiker veröffentlicht unter seinem Alias Monolake sehr geistreichen Techno, unterrichtet als Professor an der Berliner UdK Auditive Mediengestaltung und ist vor allem an der Entwicklung des Sequenzers „Ableton Live“ beteiligt, mit dem Musik aufgenommen werden kann. Ein anderer Musiker bzw. Produzent, Markus Popp, hatte kurz zuvor eine Kompilation namens „OvalDNA“ veröffentlicht, der eine DVD mit einem 2.000 Dateien starken, von ihm generierten Klangarchiv (DRM und Copyright frei) beilag, für die Popp wiederum eine gleichnamige Software programmiert hatte. Mit dieser konnten Käuferinnen der Kompilation nun selbst Musik produzieren.
Die Frage, die aufkam, lautete: Wenn in der Mix-und-Mash-up-und-Zitate-Kultur dieser Zeit der Begriff von Autorschaft ohnehin verschwimmt, lässt sich dann dessen Reinform nicht doch wieder bei der Softwaredesignerin finden, die ja die Parameter für die spätere Musik absteckt? Und kann die Software selbst vom Instrument sogar noch einen Schritt weiter geklangen und selbst Interpretin werden?
Beispiele für programmierte digitale Instrumente, die kreative Prozesse beeinflussen und eigenständig kanalisieren, gibt es bereits einige. Das US-amerikanische Trio Menomena, ein legendär diskussionfreudiger Zusammenschluss unterschiedlicher, teilweise widerstrebender Musikansätze, erhielt sich seine Arbeitsfähigkeit durch den selbst programmierte Digital Looping Recorder, kurz: „Deeler“, welcher sich an einem klassischen Loop Sampler orientierte und allen Bandmitgliedern ermöglichte, gleichermaßen am Schreiben der Musik zu partizipieren, ohne Hierarchien etablieren zu müssen. (Eine gute Beschreibung der Funktionalität des Programms findet sich in diesem älteren Artikel) „Deeler“ wurde von Menomenas Brent Knopf eigenständig mit Max/MSP geschrieben.
Die visuelle Programmiesprache bzw. graphische Entwicklungsumgebung wird ebenfalls von der in dieser Kolumne bereits gewürdigten Holly Herndon genutzt, um Datensammlungen wie etwa ihren Posteingang zu vertonen. Auch für den Massenkosum gibt es bereits Möglichkeiten, in denen Software Teile des Schreibprozesses übernehmen. Die App ScorecleanerNots kann etwa eine ins Smartphone gesummte Melodie in Noten umwandeln, die man wiederum direkt an seine Musikproduktionssoftware weitergeben kann, um sie etwa von einem digitalen Klavier, Saxofon etc. einspielen zu lassen.
Deep Blue als Musiker
Wird irgendwann also einem Schachcomputer analog ein Programm in der Lage sein, einen veritablen Pophit selbst zu schreiben? Deren Funktionsweisen und wiederkehrende Muster sind musiktheoretisch schließlich bestens aufschlüssel- und somit reproduzierbar. Allerdings lebt ein guter Song immer von den kleineren bis größeren menschlichen Verschiebungen, die er sich erlaubt. Ein theoretisch perfektes Lied ist ebenso wenig gute Musik wie es ein absolut symmetrisches Gesicht schön wäre. Tatsächlich dürfte zunächst die Impulsarbeit, die die Anwenderinnen gegenüber der Software leisten müssen, um daraus Musik zu machen, in den nächsten Jahren immer geringer werden. Und Konzeptmusik etwa kann natürlich schon jetzt komplett von einem Programm kommen.
Derweil nutzen einige Künstlerinnen bereits heute diese noch futuristische Vorstellung. Die Produzentin Doss, die gerade ihre erste EP veröffentlicht hat, erinnert mit ihrem Namen nicht ohne Grund an das alte MS-Betriebssystem: Über Doss gibt es nahezu keine biografischen Informationen, stattdessen versteckt sie sich hinter einer vermeintlichen Software. Wo sie früher bereits wie ein Code auf etwaige journalistische Anfragen reagierte, hat sie heute ihre Person komplett aus der Musik subtrahiert. Wer ihre Webseite besucht, der wird von einem freundlichen Interface begrüßt, dass sich als Interpreten der Musik ausgibt. Zwar haben wir es hier, um nochmals die Schach-Analogie zu bemühen, mit einem „Schachtürken“ denn mit einem Deep Blue zu tun, für die Künstlerin ist die fiktive Software allerdings das geworden, was Ziggy Stardust oder der Thin White Duke für David Bowie waren: ein Charakter, der zusätzliche Faszination für die Pop-Musik liefert und zugleich diese von durch biografische Details initiierten Vorab-Kategorisierungen der Rezipienten befreit.
Image (adapted) „Les Robots-Music“ by Sascha Pohflepp (CC BY 2.0)
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Schlagwörter: computer, Deep Fritz, digitalisierung, Musik, software