Schlanke Linie, dicke Muskeln, guter Schlaf und toller Sex
Für die einen ist er ein Scharlatan, für die anderen ein praktischer Philosoph des schöneren Lebens. Nachdem uns Timothy Ferriss im Jahr 2008 in der „4-Stunden-Woche“ erklärt hat, wie man mehr verdient, weil man weniger arbeitet, verspricht sein neues Buch: jeder kann zum Supermenschen werden….
„Der 4-Stunden-Körper“ ist gerade in der deutschen Übersetzung erschienen. Auf der Berliner Next-Konferenz hat Ferriss sein neues Werk vorgestellt. Ich hatte mir nur etwas Abwechslung von den drögen Business Talks erhofft und inhaltlich nicht viel erwartet. Ferriss – ist das nicht dieser US-amerikanische Aufschneider, der ein paar Allgemeinplätze und Ratgeber-Weisheiten zusammenfasst hat und damit verdammt viel Geld macht?
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Sein Vortragsstil war nicht gerade geeignet, dieses Bild zu korrigieren: schreiende Präsentations-Folien, offensiv zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein und ein Dauergrinsen wie aus dem Verkaufs-Fernsehen. Doch irgendetwas an seinem Vortrag hat mich angefixt, und ich hab mir das Buch geholt (auf Englisch, zu der Zeit war die deutsche Übersetzung noch nicht auf dem Markt).
Auf stolzen 608 Seiten erklärt dieser Menschenfänger, wie man:
1. in kurzer Zeit gigantisch viel Fett abnimmt (9 Kilo in 4 Wochen)
2. im selben Zeitraum genau so viel reine Muskelmasse zulegt
3. als Mann den Trieb eines jugendlichen Stiers bekommt und als Hetero-Mann jede Frau zum Orgasmus bringt
4. weniger und erholsamer schläft.
Teilweise sind seine Tipps ein alter Hut: sein Abnehmprogramm ist eine abgewandelte Version der alt bekannten Atkins-Diät, Ferriss hat sie einfach von „Low-Carb“ in „Slow-Carb“ umgetauft: man meidet Kohlenhydrate wie der Teufel das Weihwasser. Brot, Reis, Nudeln sind verboten, und auch Obst, statt dessen gibt es Eiweiß und Gemüse. Damit man das durchhält und der Körper sich nicht auf ein Notprogramm umprogrammiert, darf man einen Tag in der Woche essen, was man will. Umso ungesünder, umso besser.
Auch das Rezept zum rasanten Muskelaufbau ist nicht unbedingt neu: nicht zu oft trainieren, da Muskel-Generation Zeit braucht. Man trainiert mit hohen Gewichten und wenigen Wiederholungen und reizt den Muskel so lange, bis dieser aufgibt. Einigermaßen innovativ ist sein Konzept der „Minimal Effective Dose“: das Ziel ist es, das Minimum an Trainingsfrequenz und Zeitaufwand zu finden, bei dem der Körper den Prozess des Muskelwachstums in Gang setzt. Mehr zu trainieren ist erstens Zeitverschwendung und erhöht zweitens die Wahrscheinlichkeit von „Nebenwirkungen“ durch Überlastung des Körpers.
Wie im Vorgängerbuch wird auch hier das Programm mit Kniffen zur Selbstmotivation und Selbstüberwachung garniert: man bringt ein Oberkörper-Foto am Kühlschrank an, fotografiert, was man isst und misst permanent seinen Fortschritt: das Gewicht, den Hüftumfang und wenn möglich noch den Körperfettanteil. Das klingt trivial, ist jedoch nicht dumm. Jeder Versuch, sich und seinen Körper zu verändern steht und fällt mit der Motivation und der Fähigkeit, das Vorhaben auch dann durchzuhalten, wenn es anfängt zu nerven. Die Überzeugung, so dick oder schlapp zu sein, weil die eigenen Gene das so vorbestimmt haben, sieht er als eine Entschuldigung für Nichtstun. Prädisposition ist nicht gleich Prädestination.
Nun hat Tim Ferriss allerdings 600 Seiten vollgeschrieben – es bleibt die Frage, womit. Neben allem Talent, sich zu vermarkten und unterhaltsame Anekdoten aus dem eigenen Leben einzustreuen, ist Ferriss vor allem ein akribischer Journalist und ein genialer Laien-Wissenschaftler. Er hat alles verfügbare Wissen der Medizin und der Sportwissenschaft zusammengetragen, sich mit Professoren und Ärzten unterhalten, mit Bodybuildern und Trainern. Und er hat krude Selbsttests durchgeführt. Alle Maßnahmen, die er vorschlägt, hat er am eigenen Körper durchgeführt und dokumentiert.
Das neue Werk des umtriebigen US-Amerikaners wird vermutlich auch in Deutschland zum Bestseller werden. Das Versprechen, Menschen beider Geschlechter schlank zu machen und Männer zu athletischen Körpern zu verhelfen, kommt seit je her gut an. Ein ganzes Genre an Frauen- und Männerzeitschriften lebt davon. Auch die kommerzielle Web-Gemeinde hat den Braten gerochen und sich vorbereitet: fast alle denkbaren URLs, die mit dem Titel „4-Stunden-Körper“ spielen, sind schon vergeben und werden aktiv mit Inhalten bespielt – in der Hoffnung, dass jemand über Google auf die Seite gelangt und dem Seitenbetreiber über den Amazon-Partner-Link Provisionen einbringt.
Timothy Ferriss hat es also wieder geschafft. Er hat seinen eigenen Körper ausgetrickst, die Körper und die Leben seiner Leser optimiert und ist selbst um ein paar Millionen reicher geworden.
Wenn man sich durch die Videos seines Youtube-Kanals klickt, sieht man allerdings, dass ihm der Hack des eigenen Körpers nicht ganz gelungen ist. Seine Gene haben an einer empfindlichen Stelle zugeschlagen. Der Testosteron-überschwappende, schlanke, hypermuskulöse und ausgeschlafene Tim Ferriss hat auf dem Weg zum Superman die Haare verloren. Völlig überlisten lässt sich der menschliche Körper noch nicht.
Links und Credits:
Die “offizielle” 4-hour-body-Website
Das Buch auf Amazon:
Der 4-Stunden-Körper, Riemann Verlag, 608 Seiten , 22,95 €
The four-hour body, Crown Archetype, 574 Seiten, 14,95€
Oberes Foto, v.l.n.r.: Flickr by alancleaver_2000 (CC-Lizenz by/2.0), uggboy (by/2.0), Ed Yourdon (by-sa/2.0), Floris M. Oosterveld (by/2.0)
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Schlagwörter: buch, Ferris, rezension, Tim