Mit jeder Generation beschwört das öffentliche Bewusstsein eine neue Gefahr für unsere Jugend herauf: War es einst der Rock’n’Roll, so ist es heute die Sorge, dass das Leben der Teenager von digitalen Medien dominiert wird. Es ist die Angst, dass die digitale Überflutung Auswirkungen auf die Fähigkeit zu lernen, sich zu unterhalten, korrekt zu buchstabieren und vieles mehr haben könnte.
Haben sie keine Zeit für die gemächliche, althergebrachte Face-to-Face-Kommunikation, für gemeinsame Zeit mit der Familie oder für einen ungestörten Nachtschlaf, der nicht durch den aufleuchtenden Bildschirm des Smartphones unterbrochen wird? Ich habe ein ganzes Jahr mit einer Schulklasse voller 13-Jähriger verbracht, um genau das herauszufinden.
Die Forschung erforderte es, dass ich Zeit mit den Teenagern in der Schule, zu Hause, bei Freunden und online verbringe. Mich trieb weniger die Sorge um ihr Wohlergehen an, sondern vielmehr war ich fasziniert davon, wie sie es schaffen, den großen Einfluss digitaler Geräte und digitaler Inhalte, die ihr Leben füllen, zu organisieren.
Die Ergebnisse und Überlegungen, die ich aus meiner Feldforschung erhielt und die ich in meinem Buch The Class: Living and Learning in the Digital Age niederschrieb, zeigen eines ganz besonders: Nämlich, dass es der größte Wunsch der Teenager ist, Kontrolle darüber zu haben, wie und mit wem sie ihre Zeit verbringen – und nicht nur, um digitale Medien um ihrer selbst Willen zu benutzen. Zur Veranschaulichung folgen hier drei Momente eines Tages im Leben der digital ausgestatteten Teenager von heute.
In der Schule
Das morgendliche Ankommen in der Schule war stressig, denn die Teenager mussten zunächst umschalten zwischen der Schläfrigkeit und Gemütlichkeit von zu Hause und einem wachen, aufmerksamen Geisteszustand innerhalb der beschränkenden Regeln in der Schule. Ein Teenager, Fesse, kam üblicherweise zu spät – zum Teil, weil er bis spät in die Nacht X-Box gespielt hatte, aber auch, weil er sich darauf verließ, dass seine ältere Schwester ihn jeden Morgen aus dem Haus bugsierte. Eine andere Schülerin, Salma, erschien jeden Morgen ordentlich und ruhig, den sie hatte bereits im Vorfeld mit ihren Freundinnen gechattet, um den gemeinsamen Schulweg zeitlich aufeinander abzustimmen, sodass sie auf dem Weg zur Schule bereits quatschen konnten.
Für einen großen Teil des Tages schaute die Klasse auf das Smartboard, das vorn im Klassenraum stand, und mit dessen Hilfe die Lehrer YouTube-Clips und andere elektronische Ressourcen in ihren Unterricht integrieren. Natürlich sind die Lehrer noch dabei, die Anwendung zu optimieren und den Nutzen zu evaluieren. Wir erlebten eine Reihe von Schwierigkeiten, die Technologie zum Laufen zu bringen, und erlebten manchmal auch, dass es schwierig sein kann, die Schüler für die digitalen Inhalte im Zusammenhang mit dem Fach zu begeistern. So baute zum Beispiel die Musiktechnologie in der Schule nicht so sehr auf Fesses oder Giselles enthusiastischen Musikexperimenten aus ihrer Freizeit auf.
Erfolgreicher schneidet die Anwendung des SIMS, d.h. des Schul-Informations-Managements-Systems, ab, in dem die An- oder Abwesenheit der Schüler, gutes oder schlechtes Benehmen, Noten sowie Fortschritte jeden Tag durch die Lehrer notiert werden.
In der Zwischenzeit
Der Nachhauseweg ist ein bedeutender Moment für die Teenager – eine entspannte Zeit zwischen einer Sache und der nächsten, außer Reichweite der prüfenden Blicke der Erwachsenen. Oft ist dies die letzte Möglichkeit, mit seinen Freunden von Angesicht zu Angesicht zu reden, bevor man nach Hause zurückkehrt – wo die Teenager dann online wieder zusammenkommen werden. Sie mögen es, auf dem Weg nach Hause zu trödeln, um vom fordernden Rhythmus des täglichen Schulbesuchs abschalten zu können. Während sie ihre Telefone die ganze Zeit in der Hand hielten, um regelmäßig Nachrichten zu überprüfen und sich gegenseitig auf dem Laufenden zu halten, war der springende Punkt jedoch, dass sie Zeit zusammen verbringen wollten, und zwar von Angesicht zu Angesicht.
Zu Hause
Die Hausaufgaben wurden oft von Facebook begleitet, sei es, um sich abzulenken oder um Freunde um Hilfe zu bitten. Manche ließen sich bald in die Welt der PC-Spiele hineinziehen. So spielte Nick mit seinen Schulkameraden, die er bereits den Tag über gesehen hatte, und Adam mit Leuten aus einem Multi-Player-Spiel, in dem er eine Identität annehmen konnte, von der er meinte, sie entspräche ihm am meisten. Giselle hingegen spielte mit Familie und Freunden das unfassbar populäre Spiel Minecraft.
Abby wurde von ihrer spritzigen, kommunikativen Familie empfangen und in Gespräche verwickelt – und das alles mit permanenter Hintergrundbeschallung durch Musik. Megan arbeitete an ihrem Online-Auftritt auf Tumblr – so vergingen unbemerkt einige Stunden. Max, Jenna und Alice trafen sich bei Alice, um zu chatten, rumzualbern und über Harry Potter zu reden. Shane dagegen unternahm Fahrradtouren, so oft er konnte.
Alle waren aber – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – empfänglich für das Bestreben ihrer Eltern, die Familie zum Abendessen an einen Tisch zu bekommen, um über gemeinsame Hobbys, Haustiere oder das Fernsehprogramm zu sprechen – obwohl jeder sein Smartphone oder Tablet griffbereit hatte, um anschließend wieder auseinander zu gehen.
An- und abschalten – nach eigenem Bedarf
Dieser Einblick in das Leben von 28 Teenagern offenbart, wie unterschiedlich ihre Leben und Routinen sind. Zwar besitzen fast alle ein Smartphone und benutzen Facebook, wenden diese aber unterschiedlich an, um verschiedenen Interessen nachzugehen: Sei es, um sich mit anderen zu verbinden oder um sie ab und zu auszublenden.
Dafür gibt es viele Gründe, doch je mehr wir über das Leben der Teenager lernen, desto offensichtlicher wird es, dass die jungen Leute nicht mehr daran interessiert sind, pausenlos am Netz zu sein, wie die Erwachsenen um sie herum es sind. Die teenager wollen vielmehr die Wahl haben, wann und wo sie sich von der oft regelgebundenen und konfliktgeschwängerten Welt der Erwachsenen, in der sie sich befinden, abtrennen können.
Die digitalen Geräte und die Anwendungsmöglichkeiten, die sie bieten, ermöglichen den Teenagern ihre Agenda geltend zu machen – sie sind ein Schutzschild gegenüber bestimmerischen Eltern, nervigen jüngeren Geschwistern oder scheinbar kritisch auftretenden Lehrern. Sie sind auch ein Mittel, um sich mit mitfühlenden Freunden zu verbinden oder sich mit den neuesten Gerüchten auf dem Laufenden zu halten. Tatsächlich zeigt sich die große Wichtigkeit der Möglichkeit zur Abgrenzung darin, wie die Schüler dem zunehmenden Einsatz von digitalen Mitteln in der Schule skeptisch gegenüberstehen: Auf den Einsatz von digitalen Medien durch die Lehrer im Unterricht, via E-Mail oder über das Internet, um sie zu Hause zu kontaktieren, reagieren die Schüler mit Geflüster und noch umständlicheren Nachhausewegen – als ob sie die Zeit, die sie unbeobachtet von Erwachsenen mit ihren Freunden verbringen können, ausschöpfen wollten.
Als Erwachsene und als Eltern sollten wir weniger Zeit damit verbringen, uns zu sorgen, wie die Teenager ihre Zeit gestalten. Stattdessen sollten wir darauf Wert legen, mit ihnen gemeinsam Zeit zu verbringen und darüber zu reden, welche Herausforderungen als Erwachsene vor ihnen in einer zunehmend verknüpften Welt liegen werden.
Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
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Schlagwörter: Alltag, digital, Digitale Medien, Forschung, Jugendliche, leben, Psychologie, teenager
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