Der Code hört Musik mit, ob erwünscht oder nicht: Was die Neuerungen bei Last.fm, Shazam und dem Wu-Tang Clan miteinander verbindet. Der Newsflash eines einzigen Tages (letzten Mittwochs): Last.fm schaltet sein Radio ab, Shazam erkennt jetzt auch Vinyl-Only-Veröffentlichungen und der Wu-Tang Clan will ein neues Doppelalbum mit einer Auflage von lediglich einem Exemplar herausbringen. Justiert sich das Dreieck von Musik, Digitalisierung und Algorithmus gerade neu?
Shazam expandiert, Last.fm re-fokussiert
Fünf Jahre ist es her, dass der Dienst Last.fm mit seinen Nutzerbewertungen und Hörerstatistiken auswertenden Algorithmen begann, echte Radiostationen auch außerhalb des Internets zu ersetzen. Die Erfahrungswerte dazu hatte man mit einem simplen Modell zuvor digital eingesammelt, immer nach dem Prinzip: Wenn du jenes magst, wirst du das hier lieben. Schließlich hatte eine Vielzahl anderer Hörer, die mit ihren Musikplayern- und Bibliotheken ebenfalls bei Last.fm angemeldet waren, ja genau diese Präferenz. Und wenn man den folgenden Song doch nicht lieb gewann? Dann konnte man ihn wegklicken und so den Code noch schlauer machen. Schon damals verlor Last.fm allerdings zunehmend Marktanteile an diverse Konkurrenten, jetzt will sich die Firma im Besitz des CBS-Netzwerks allein auf das Erfassen von Hörgewohnheiten, das Scrobbling, konzentrieren: Ende April schließt Last.fm seinen Radio-Service.
Angesichts der Marktlage und der allgegenwärtigen Konkurrenz durch Streamingdienste wie Spotify ist das ein logischer Schritt. Aber auch in Letzteren steckt ja weiter der Last.fm-Scrobbler, der seit nunmehr zwölf Jahren munter weiter Daten sammelt. Last.fm kann kommende Hits vorhersagen und das aufgrund der Erfahrungswerte wohl immer noch besser als jede andere Software, weshalb sie wirtschaftlich hochgradig interessant ist. Denn auch die Musikwirtschaft ist längst in der Hand von Big Data. Mittlerweile nehmen A&Rs neue Künstler nicht mehr nur ausschließlich wegen ihrer Musik oder ihres Charakters unter Vortrag, sondern auch wegen ihrer sozial-digitalen Gefolgschaft, dem damit verbundenen Datenmaterial und des Innovationspotenzials. Und wenn der Nutzer mal – mit neuer, aber anonymer Musik konfrontiert – nicht weiter weiß, dann hilft auch hier die Software weiter: Er shazamt die ihm unbekannte Musik einfach.
Shazam, das Musik anhand kurzer Smartphonemitschnitte erkennt und mit der Prämisse arbeitet, dass alles, was der Hörer unbedingt mit Namen kennen will, schon ziemlich gut sein muss, ist mittlerweile so erfolgreich, dass Künstler hier ihre neue Musik sogar erstmals und interaktiv vorstellen. Die Band Chromeo zeigt ein neues Musikvideo erstmals all jenen via Shazam, die einen wahllosen Song der Band mit der App suchten, Linkin Park boten ihre neue Single – ebenfalls in einer Premiere – jedem an, der egal welchen Song suchte. Dabei will nicht unbedingt jedes Stück Musik auch gefunden werden. Jene Lieder etwa, die als formvollendeter Fetisch oder sicher kalkuliertes Nullsummenspiel in Kleinstauflage auf Vinyl – und nur in diesem Format – erscheinen. Dank eines Deals mit Juno Records, einem britischen Musikvertrieb, der sein Plattensortiment auch digitalisiert, erkennt Shazam jetzt allerdings auch solche Titel. Auf die erfolgreiche Anwendung im Club, vorm Vinyl-DJ-Pult des Vertrauens folgt so eventuell nun die große Enttäuschung, denn neben dem von der Software geborgten »coolen Wissen« wird die App in nicht wenigen Fällen auch mitteilen, dass die begehrte Scheibe bereits vergriffen oder nur noch zu horrend hohen Preisen erhältlich ist.
Ein einsamer Shaolin als vermeintlicher Retter der Musik
Es bleibt – unabhängig, ob wünschenswert oder nicht – die Frage, ob sich Musik überhaupt noch der Digitalisierung entziehen kann? Auftritt: Wu-Tang Clan. Das Rap-Kollektiv will „The Wu – Once Upon A Time In Shaolin”, sein erstes Album in sieben Jahren in nur einem einzigen Format und als Einzelstück veröffentlichen. Der Künstler Yahya, sonst im Auftrag von Menschen mit zehnstelligen Kontobilanzen unterwegs, hat dafür eine märchenhaft schöne Kiste aus Silber und Nickel gestaltet, die mit ihrem Inhalt an einen potenten Käufer versteigert werden soll. Die Idee ist nicht ganz ohne historische Vorbilder und dennoch spektakulär. Denn während Jay Z noch über den Bacon rappt, vor dem er morgens seinen Bacon verspeist, wollen seine Kollegen verdeutlichen, dass Pop-Musik eine ebenso hohe und wertvolle Kunst ist, die in eine Reihe mit den alten Malermeister(inne)n gehört.
„We’re making a single-sale collector’s item. This is like somebody having the scepter of an Egyptian king“, sagt Wu-Mitglied RZA Forbes. Bevor sie jemand seiner privaten Schatzsammlung einverleiben kann, werden Musik und Hülle allerdings auf eine eintrittspflichtige Museums- und Festivaltour gehen. Zudem wird der Clan ganz regulär ein weiteres Album mit dem Titel „A Better Tomorrow” für alle veröffentlichen. Schon allein deshalb sind Zweifel über die musikalischen Qualitäten der wahrscheinlich nur besseren B-Seiten-Sammlung aus der Metallkiste angebracht. Und auch, wenn sie niemals bei Juno im Stock stehen wird, dürfte die Musik der Digitalisierung doch nicht entgehen. Der oder die Käuferin könnte das Album schließlich ja allen öffentlich zugänglich machen. Mitschnitte von den Abspielveranstaltungen werden da allerdings längst YouTube & Co geflutet haben. Nicht zu vergessen: Die Songs sind aller Wahrscheinlichkeit nach bereits längst digitalisiert, liegen auf den privaten Rechnern der Rapper herum. Sie wären nicht die Ersten, deren Werke durch einen Hacker-Angriff vorab geleakt werden.
Was zu schreiben bleibt
Das Ganze bleibt eine Schimäre. Ein Lied kann genauso große Kunst oder eben nur reiner Gebrauchsgegenstand sein, wie auch ein Gemälde oder eine Installation. Verschieden sind nur die Reproduktionsmöglichkeiten. Und dann gibt es da noch Walter Benjamin, kapitalistische Spekulationsblasen etc. pp. Hinter der Wu-Tang-Idee stecken am Ende dann aber doch wieder einmal nackte Kalkulationen. Sie wissen: Begehrlichkeiten sind immer noch die beste Promo. „A Better Tomorrow” kann sich über die flankierende Unterstützung freuen. Ein großes Bohei, ein einmaliges Thema für alle – das wirkt noch immer besser als jeder Algorithmus wie zuvor schon Künstler von Beyoncé bis Radiohead mit großem kommerziellen Erfolg bewiesen haben. Denn irgendwann wird die Kampagne von möglichen, der zum hochpreisigen Unikat mutierten Resteverwertung auf das reguläre Album umschwenken. Öffentlichkeit wird derweil weiterhin auch Digitalisierung bedeuten, daran können (und wollen) auch Wu-Tang Clan nichts ändern.
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Schlagwörter: digitalisierung, last.fm, Musik, Shazam, Wu-Tang Clan
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