Mit einem Schatten in der Birne misslingt die digitale Transformation

Unternehmensführer haben angeblich längst persönlich Verantwortung für das Gelingen der digitalen Transformation übernommen. Das behauptet zumindest eine Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

Für die Untersuchung wurden ausschließlich CEOs und Aufsichtsratsvorsitzende von 78 der umsatzstärksten Unternehmen aus Deutschland ausgewählt – frei nach dem Motto „Frag den Bäckermeister, wie er seine Brötchen beurteilt“.

Führungskräfte wollen den Kontrollverlust „organisieren“

„In der Studie artikulieren die Manager deutlich, dass jetzt vor allem die richtige Führung und die richtige Kultur zum Ziel führen. Denn es ist nicht trivial, den Kontrollverlust zu organisieren. Es braucht einen Mentalitätswandel, lieber früh zu scheitern, um zielstrebig die Richtung zu ändern. Dazu gehören Offenheit und Flexibilität, um stärker als bisher auf Kooperationen mit Wettbewerbern zu setzen“, schreiben die Studienautoren.

Mitarbeiter nicht transformationsbereit?

Die größten Defizite beim digitalen Wandel ihrer Organisationen, sehen die Manager in den Chefetagen übrigens nicht bei sich selbst, sondern – welch eine Überraschung – bei ihren Mitarbeitern. Auch die Wettbewerber werden durchgehend schlechter beurteilt als das eigene Unternehmen. „Keiner nennt in diesem Zusammenhang aber potenzielle Disruptoren aus der digitalen Welt, beispielsweise Startups, alle achten bisher nur auf klassische Konkurrenten.“ Für den eigenen Führungsstil wird zwar auch Nachholbedarf konstatiert, allerdings sehen hier die Umfrageteilnehmer die kleinste Transformationslücke.

Digitale Kompetenz bei Vorständen zweitrangig

Bei Vorstandsbesetzungen spielen die Aspekte der digitalen Transformation keine dominante Rolle, obwohl das Thema von existenzieller Relevanz für Unternehmen ist. Bei Aufsichtsratsbesetzungen ist die Lücke noch größer. Das überrascht nicht wirklich, wo doch die wichtigsten Posten in Unternehmen eher im Verborgenen ablaufen. Da zählt eben Habitus mehr als die Qualifikation, wie der ehemalige Konzernvorstand Thomas Sattelberger im ichsagmal-Sommerinterview konstatierte.

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Sonst würden sich nicht so viele Psychopathen durchsetzen. Viele von denen haben nach Erfahrungen von Sattelberger einen Schatten in der Birne: Sie sind neurotisch, aggressiv und machiavellistisch – also machtbesessen. Siehe auch den Netzpiloten-Beitrag „Top-Manager und die dunklen Hinterzimmer der Macht

Wie wollen die narzisstischen Old Boys in einer vernetzten Welt überleben?

In dieser Gemengelage wollen die Old Boys der Wirtschaft die Digitalisierung und den Kontrollverlust in einer vernetzten Welt stemmen? Das kann nicht gutgehen.

Es reicht halt nach Auffassung des Kölner Ökonomen Thomas Vehmeier nicht aus, einige TED-Konferenzen zu besuchen, mal rüber ins Valley zu reisen, die Krawatte gegen einen Schal zu tauschen, um andere zu belehren, wie man das mit dem Digitalen richtig zu machen habe. Nicht die Mitarbeiterschaft blockiert die Transformation, sondern der Manager-Narzissmus. „Demut und Lernen wären angebracht“, fordert Vehmeier. Das passt allerdings nicht zur machiavellistischen Persönlichkeitsstruktur vieler CEOs und Aufsichtsratsbosse.

Unlogische Netzstrukturen sind Gift für Firmenbosse

Wenn autoritäre und egozentrische Organisationsprinzipien in Unternehmen auf die anarchischen und unlogischen Strukturen des Internets prallen, erfahren die Steuermänner und Steuerfrauen der Wirtschaft sehr schnell, dass die alten Kontrollmechanismen nicht mehr funktionieren. Ob sie aus diesen Erfahrungen lernen oder die beleidigte Leberwurst spielen, wäre eine interessante Frage für empirische Untersuchungen. Ich befürchte, dass die Lernkurve ziemlich flach verläuft. Hier liegt wohl der Kern des Problems beim Umgang mit der digitalen Transformation. Es liegt nicht am Unverständnis gegenüber technologischen Veränderungen. Die Organisationssysteme in Konzernen und vielen mittelständischen Unternehmen sind in der digitalen Sphäre nicht mehr tragfähig. Unternehmensführer sehen ihre Organisation aber immer noch als kontrollierbare Entität – auch im Netz:

„Genau das funktioniert nicht mehr, auch wenn man strikte Social Media-Guidlines formuliert oder Regeln festlegt, wer in der Außenwelt etwas sagen darf und was er sagen darf. Auch hier versucht man, das Ganze in Kontrollstrukturen einzugliedern, damit krampfhaft das Bild einer einheitlichen Entität gewahrt wird. Das kostet unglaublich viel Energie und funktioniert am Ende doch nicht“, resümierte der Kontrollverlust-Blogger Michael Seemann schon vor ein paar Jahren.

Schönwetter-Denke der Egomanen

Folgt man den Erkenntnissen der IW-Studie, läuft das immer noch nach dem Prinzip „Wasch mich, aber mach mich nicht nass.“ Reflexionsfähig sind die wenigsten Protagonisten in der Unternehmenswelt. Solange sich an den Kaminkarriere-Mustern nichts ändert, bleiben Narzissten auf den Chefsesseln. Die Wesenszüge dieser Führungspersönlichkeiten stehen dem Umgang mit Kontrollverlust entgegen: Überhöhte Anspruchshaltung, unkritische Selbsteinschätzung und Egoismus. So etwas wird man mit normalen Umfragen nicht ans Tageslicht befördern. Das Notiz-Amt plädiert für Couch-Interviews beim Psychiater.


Image „Konferenz“ by Unsplash (CC0 Public Domain)


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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