Die Papierakte ist weg! Lang lebe die Papierakte!

Im Dezember 2017 kann also auch das Freisinger Jobcenter verkünden, man habe jetzt von Papierakten auf die elektronische Aktenführung umgestellt. Eine Nachricht, die ein fahles Licht auf die Digitalisierung der Verwaltung wirft. Das Problem stellt dabei nicht unmittelbar das Jobcenter in Freising dar, sondern der unzureichende Fortschritt der Digitalisierung in der Verwaltung im Allgemeinen.

Die Lebenswelten der Menschen im digitalen Zeitalter haben sich stark gewandelt. Friseur- und Arzttermine lassen sich im Netz buchen. Einkäufe verlagern sich immer mehr ins Internet und die sozialen Kontakte werden über digitale Plattformen gepflegt. Medien- und Bildungsangebote sind mannigfaltig im Internet zu finden. Sollte aber ein Verwaltungsanliegen anstehen, klopft das 20. Jahrhundert wieder an die Tür.

Dabei ist die unzureichende Digitalisierung am sichtbarsten für den Bürger, wenn sie ihn unmittelbar betrifft. Die Studie der Initiative D21 „eGovernance Monitor“ macht dies deutlich. Demnach haben im Jahr 2017 weniger Menschen die digitalen Angebote der Verwaltungen genutzt und auch ihre Zufriedenheit mit den Angeboten lässt deutlich nach. Und das, obwohl die Digitalisierung der Verwaltung viel versprochen hatte: schnellere Behördenbearbeitungen, effizientere Behörden, einen bequemeren Umgang für die Bürger mit ihren Anliegen und auch die Serviceangebote sollten bürgerfreundlicher werden. Mit welchen Problemen kämpft die Verwaltung eigentlich, wenn es um die Digitalisierung der Arbeitsprozesse geht? Ist der Prozess der Digitalisierung der deutschen Behörden zu intellektuellen Küchenwitzen verkommen, oder handelt es sich dabei nur um ein Vorurteil?

Das Problem mit der Usability

Die E-Governance-Angebote werden nur von etwa 41 Prozent der Deutschen genutzt. Das liegt vor allem an der schlechten Auffindbarkeit von Angeboten und dem Zurückfallen in traditionelle Formen der Verwaltung während dem Prozess. „Wenn ich online eine Dienstleitung raussuche und am Ende des Tages wieder Ausdrucken und wieder auf die Seite der Behörde gehen muss, dann ist der Vorteil von online zu gering“, so Cornelia Gottbehüt, Government & Public Sector Advisory Leader und Vorstandsmitglied der Initiative D21. Die Informationen zu Serviceangeboten sind dabei auf mehreren Unterseiten verteilt, so dass die Suche nach Informationen zum Zeitfresser werden kann. Intuitiv geht anders. Ein weiteres Problem liegt laut Cornelia Gottbehüt in der mangelnden Sicht- und Auffindbarkeit der Serviceangebote.

Die Hoffnung, dass durch die Digitalisierung die Informationen schneller und gebündelter zu finden sind und sich Verfahren mit Behörden vereinfachen, haben viele längst verworfen.

Das „Once-Only“-Prinzip beispielsweise, welches in anderen Ländern wie der Schweiz und Österreich genutzt wird, sieht eine einmalige Weitergabe von Informationen des Bürgers an die Behörden vor. Danach werden diese Informationen intern und unter den Behörden, je nach Bedarf, weitergeleitet. Das erspart die meisten zeitintensiven Behördengänge. Dieses Verfahren kann allerdings nur mit transparenten Methoden der Verwaltung und der Einhaltung strenger Datenschutzbestimmungen als positiv betrachtet werden. Immerhin sagen laut Studie 1/3 der Deutschen, dass das „Once-Only“-Prinzip für sie zu einer modernen Verwaltung dazu gehört.

Die Deutschen sind in dieser Hinsicht weitaus skeptischer, was die Weitergabe von privaten Daten der Behörden untereinander angeht als andere europäische Länder. Das Sicherheitsbedenken steht der Digitalisierung an dieser Stelle zwar im Weg, ist aber aus datenschutzrechtlichen Gründen durchaus angebracht.

Digitalisierung first, Sicherheit second?

Bei der Sicherheit der Daten, die durch staatliche Stellen gespeichert werden, liegt ein zudem intransparentes Verhalten vor mit wem sie geteilt werden. Das Bekanntwerden des Dataminings der Geheimdienste hat zumindest nicht die Bereitschaft der Deutschen gefördert, personenbezogene Daten freiwillig unter den Behörden tauschen zu lassen. Aktuell sind laut dem Bericht der Initiative D21 nur 1/3 der Bundesbürger bereit im Rahmen des „Once-Only“-Prinzips, ihre Daten zum Austausch unter den Behörden freizugeben. Dabei ist für die anderen 2/3 vor allem der Datenschutz der Grund, sich gegen eine Weitergabe der Daten auszusprechen.

Der Datenschutz hat dabei mit den Verträgen von Lissabon den Status eines europäischen Grundrechtes bekommen. Das betont Maja Smoltczyk, die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, in ihrem Jahresbericht. Somit wäre die einzige Möglichkeit diesen Aspekt der Digitalisierung effektiv und unter Berücksichtigung des Rechtes auf Datenschutz umzusetzen, dem Bürger transparent zu zeigen mit wem und wann seine Daten genutzt und eingesehen worden sind. Der Datenschutz spielt für die Bürger und die europäischen Institutionen eine zentrale Rolle und darf daher nicht zugunsten der überhasteten Digitalisierung geopfert werden.

Auch bei der in den Behörden und Kommunen eingesetzten Software gibt es Probleme hinsichtlich der Sicherheit. So hatte die Software „PC-Wahl“ bei der Bundestagswahl 2018 große Sicherheitsbedenken ausgelöst. Der Chaos Computer Club konnte nämlich nachweisen, wie einfach die Software zu hacken ist. Schaden hätte so nicht entstehen können, so der Bundeswahlleiter Dieter Sarreither, da Veränderungen am Wahlergebnis spätestens im endgültigen Wahlergebnis aufgefallen wären. Des Weiteren würden nur vier von 396 Kommunen die Software einsetzen. Dennoch wirft auch dieser Vorfall ein schlechtes Licht auf die Art der Umsetzung der Digitalisierung der Verwaltung. So kommt es immer wieder zu Fällen, dass eine Software auf die verschiedenen Arbeitsbereiche angepasst werden muss und dabei die Sicherheit eine zweitrangige Rolle spielt. Dies liegt zweifelsfrei auch an der geringen Aufwendung der Mittel für Software mit einem hohen Sicherheitsanspruch.

Der Plan der Digitalisierung der Verwaltung- error 404

Das wohl größte Problem der Digitalisierung der Verwaltung hin zur E-Governance, liegt im Fehlen eines einheitlichen Konzeptes. Die deutsche Verwaltung ist schon seit je her bekannt für die wohlwollend formuliert „behutsame“ Anpassung bei Arbeitsprozessen an modern gewordene Standards. Dies war schon bei der Umstellung von einer inkrementellen Buchhaltung, zu einer modernen Buchhaltung mit einem Doppelhaushalt zu beobachten. In der deutschen Verwaltung werden beinahe alle föderalen Einheiten mehr oder weniger unabhängig voneinander digitalisiert. Besonders bei der Zusammenführung von Arbeitsprozessen, ist ein unterschiedlicher Standard aber hochgradig kontraproduktiv. Der Eindruck erhärtet sich zudem, dass die Digitalisierung einzelner Behörden oder Fachgruppen nur durch das Engagement einzelner Mitarbeiter vorangebracht wird.

Die Bertelsmann Stiftung hat im Mai 2017 einen Aktionsplan zur „Transformation der Verwaltung“ herausgegeben. In diesem lässt sich erkennen, wo eigentlich das Problem liegt, für das schnell Lösungen gefunden werden sollten. Schuld oder nicht Schuld, die Reform ist hier die Frage

Die Kommunen und Behörden sind im Grunde nicht das Problem. Vielmehr fehlen strategische und verbindliche Vorgaben, an denen diese sich orientieren können. Diese hätten den Vorteil, zu einer Vereinheitlichung der Digitalisierung zu führen, so dass nicht 396 Kommunen ebenso viele Konzepte zur Digitalisierung haben. Besonders bei den Entscheidungsstrukturen- und mechanismen gelingt, trotz verstärktem Einsatz von IT-Maßnahmen, zu wenig. Zudem haben die Verwaltungen mit dem massiven Problem zu kämpfen, IT-Techniker und Experten anzuwerben, die für eine Digitalisierung von Arbeitsprozessen nötig sind. So gab die Berliner IT-Staatssekretärin Sabine Smentek in einem Interview im Juni 2017 mit dem RBB an, dass besonders im Bereich der IT-Sicherheit und bei bestimmten Systemadministratoren, adäquates Personal fehlt.

Obwohl sich auf allen bundesstaatlichen Ebenen viele Akteure für das Anliegen der Digitalisierung einsetzen, so fehlt es doch an einer einheitlichen bundestaatlichen Lösung. Hier wäre eine vom Bund vorgegebene Föderale IT Architektur genauso wichtig, wie die gesonderte Bereitstellung finanzieller Mittel zur Digitalisierung der gesamten Verwaltung, von der Bundespolizei, bis zum Freisinger Jobcenter.

In dieser Hinsicht gibt der Bund bei der Digitalisierung von Verwaltung und deren Leistungsfähigkeit seine Verantwortung gerne ab. Das Ergebnis sind dann Meldungen, wie die Umstellung von Papierakten auf die elektronische Aktenführung im Jahr 2017. Dabei finden viele Konferenzen zu dem Thema statt. Viele der Akteure sind im regen Austausch miteinander und haben gute, proaktive Ideen. Es fehlt aber die Bereitschaft des Bundes, sich mit der Digitalisierung auf ein breit angelegtes, durch juristische Rahmenbedingungen gesichertes sowie vor allem gut finanziertes Konzept zu einigen. Der Prozess und dessen Umsetzung könnten zudem von einem Ministerium für Digitalisierung überwacht und auf die Einhaltung vorher festgelegter Standards überprüft werden.

Welche Parteien auch letztendlich Regierungsverantwortung übernehmen sollten, alle sollten ein Interesse an einer zukunftsorientierten, leistungsfähigen und am Bürger orientierten digitalen Verwaltung haben. Eine moderne Verwaltung sollte mit der sich rasant verändernden Lebensrealität seiner Bürger mithalten können. Wenn dafür nicht so schnell wie möglich das Fundament gelegt wird, werden sich die Probleme in der Zukunft exponentiell anstauen und daran kann niemandem gelegen sein.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Politik-Digital.de. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

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Image (adapted) „Woman, man, male and female“ by rawpixel_com (CC0 Public Domain)


Yannick Schmiemann hat gerade seine Bachelorarbeit hinter sich gebracht. Er studierte Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaft und Soziologie an der Fernuni in Hagen. Sein Schwerpunkt lag dabei auf internationalen Beziehungen. Er interessiert sich für internationale Politik, die immer noch schleppende Digitalisierung der Verwaltung, den Breitbandausbau und für Maßnahmen zur digitalen Sicherheit.


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