Digitalisierung in Japan: Mobile Erdbebenwarnung per App

In Japan zeigt sich besonders, wie lebenswichtig die Digitalisierung ist. Mit einer mobilen Erdbebenwarnung per App werden so im wahrsten Sinne des Wortes Leben gerettet. Roboter verkaufen Kaffeemaschinen, und Getränkeautomaten empfehlen je nach Alter, Geschlecht und Wetter unterschiedliche Drinks – Japan besticht mit digitalem Ideenreichtum. So überrascht eine Erdbeben-Warnapp nicht, ist aber in ihrer Ausgereiftheit weltweit vorbildlich – und demonstriert, in welchem Maße die Digitalisierung in Japan alltäglich und lebenswichtig ist.

EQInfo – Erdbeben weltweit“ ist nur eines von vielen Beispielen für Erdbeben-Warnapps und gibt weltweit Informationen zu Erdbeben. Andere sind länderspezifisch angelegt und eher für geografisch und geologisch Interessierte von Bedeutung. Für Japan als erdbebenreichstes Land der Welt mit rund 1.500 seismisch registrierten Beben pro Jahr reicht diese Art der App nicht aus, weil keine Warnung damit möglich ist.

Die japanischen Erdbeben-Apps sind dementsprechend viel ausgereifter und variieren von Wetter-Apps, die neben der Wetteranzeige auch vor Naturkatastrophen warnen, bis hin zu speziellen Erdbeben-Frühwarn-Apps. Vor allem nach dem Tohoku-Erdbeben im März 2011, besser als Fukushima-Erdbeben bekannt, ist die Anzahl der Nutzer von Warn-Apps sehr stark gestiegen. „Yurekuru Call“ ist eine solche Frühwarn-App. Zuerst für das iPhone entwickelt, später auch auf Android nutzbar, informiert die App per Push-Notification über Erdbeben-Warnungen, inklusive errechneter seismischer Stufe. Diese 2010 auf den Markt gebrachte App ist eine effektive Verbreitungslösung für Erdbebenwarnungen und kann sogar personalisiert werden: So kann man individuell einstellen, ab welcher Stufe man gewarnt werden möchte und für welches Gebiet. Der Nutzen liegt auf der Hand: Smartphones sind weit verbreitet und durch einen selbst gewählten Signalton werden die User alarmiert. Da die Warnungen nur wenige Sekunden Vorwarnzeit geben, sollte man bei Alarm sofort Schutz unter einem Tisch suchen.

Die App als logische Weiterentwicklung

Diese Entwicklung ist die logische Folge eines langen Prozesses im Bereich der Katastrophenwarnung. Die App zur Erdbeben-Frühwarnung konnte jedoch erst mit den Smartphones ihre enorme Verbreitung finden. Als großer offizieller Player in der Warnung vor Katastrophen wie schwerem Regen, Vulkanaktivitäten, Tsunamis und Erdbeben spielt das Japanische Wetteramt mit den täglich aktuellen Warnungen auf seiner Homepage schon lange eine wichtige Rolle. Seit 1995 wird das Netz aus Seismographen in und um Japan ausgebaut.

Zunächst hatte das Japanische Wetteramt über TV, Radio und eigens dafür gebaute Geräte Warnungen verbreitet. Im Oktober 2007 veröffentlichte es ein Erdbeben-Frühwarnsystem, und schon im selben Jahr wurde eine erste Ausstattung japanischer Mobiltelefone mit einem direkten Zugang zur Erdbebenwarnung angedacht. Die drei großen japanischen Handy-Hersteller, AU, Docomo und Softbank, haben ihre Geräte schrittweise auf automatischen Alarmempfang umgestellt. Die Warnungen des Wetteramtes werden heute automatisch an die Smartphones weitergeleitet und machen sich durch einen schrillen Signalton bemerkbar, auch bekannt als Area Mail. Damit wird der Alarm nur an die in den betroffenen Gebieten georteten Geräte geschickt, die von Auswirkungen des Bebens betroffen sind. Die Anwendung ist kostenlos und auf japanischen Geräten vorinstalliert, es ist also keine zusätzliche App nötig. Das iPhone kann übrigens seit dem iOS 5 (Ende 2011) auch automatisch die offiziellen Alarme empfangen.

Das weltweit fortschrittlichste Frühwarnsystem

Japan ist führend in der Erdbeben-Frühwarnung, dank eines ausgeklügelten Systems von rund 1.000 seismischen Sensoren, die um und vor Japan verteilt sind. Dadurch, dass  schon die schwächeren primären Wellen eines Erdbebens von den Seismographen erfasst werden, können wichtige Sekunden gewonnen werden. Die Lokalisierung des Epizentrums ermöglicht die Berechnung der Reichweite, so dass gezielt nur Personen in den betroffenen Gebieten gewarnt und die entsprechenden Schutzmaßnahmen für diese Region eingeleitet werden können. Die automatisierten Warnungen haben eine weitreichende Wirkung: Schnellzüge werden angehalten, Fahrstühle gesichert, Maschinen heruntergefahren und Gaszufuhren gestoppt. Mit der automatischen Weiterleitung an mobile Endgeräte bzw. Smartphones ist die Frühwarnung umso effektiver.

Potential und Grenzen des Warnsystems

In Japan hat das Frühwarnsystem bereits viele Leben gerettet, aber auch das hat seine Grenzen. Problematisch ist zum Beispiel die unterschätzte Ausbreitung des Erdbebens, wenn Personen nicht rechtzeitig gewarnt werden, weil das Ausmaß falsch eingeschätzt wurde. Weniger fatal, aber eine nicht unbedeutende Fehlerquelle sind falsche Alarme, da die Sensoren sehr sensibel sind. Ebenfalls höchst problematisch ist, dass sehr nah am Epizentrum gelegene Regionen keine frühzeitige Warnung erhalten können, da das Erdbeben dort zeitgleich mit den Warnungen ankommt.

Für nicht japanischsprachige Touristen gibt es seit September 2011 mit SafetyTips auch eine Warn-App auf Englisch, Koreanisch und Chinesisch. Ausgestattet mit einer Liste der letzten Erdbeben, einer Evakuierungsanleitung und praktischen Sätzen auf Japanisch für den Notfall bietet sie eine Hilfe für ausländische Besucher. Und die Technik entwickelt sich weiter. Um nur ein Beispiel zu nennen: 3D-Projektoren können bei Katastrophen der Orientierung dienen, indem sie im Straßenbild mobile Warnhinweise geben. Die Nutzung von digitalen Errungenschaften ist in Japan also aufgrund der vorhandenen Gefahren weit verbreitet und viel mehr als ein praktischer Luxus. Sie kann im Notfall Leben retten.

Dieser Artikel steht unter der Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported Lizenz und ist zuerst auf Politik Digital erschienen.


Image (adapted) „Ein Junge nach der Zerstörung. Erdbeben und Tsunami, Japan 2011“ by Schweizerisches Rotes Kreuz (CC BY 2.0)


studierte Politik Ostasiens an der Ruhr-Universität Bochum und schrieb ihre Masterarbeit zur außen- und sicherheitspolitischen Kooperation zwischen Japan und der EU. Ihr Interesse gilt vor allem den internationalen Kooperationen sowie Entwicklungen, Chancen und Gefahren einer zunehmend digitalisierten Welt.


Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: , , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert