Drosselkom: Gedrossltes Telekom-DSL und die Netzneutralität

Bloß drei Prozent aller Telekom-Kunden seien von der angekündigten Drosselung des Datenvolumens betroffen. Unser Kolumnist glaubt davon kein Wort.

Deutsche Telekom (Bild: Ricostorch [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons)

Wie konnten wir Telekom-Vorstandschef René Obermann nur so verkennen. Bei der Erdrosselung des Netzes geht es gar nicht um den schnöden Mammon, sondern um den Antrag auf Mitgliedschaft bei den barmherzigen Samaritern. Das machte der liebwerteste Magenta-Gichtling in einem Schreiben an Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler deutlich. Es gehe einzig und allein um eine faire Behandlung der Noch-Kunden des Bonner Konzerns und um preiswerte Angebote.

„Deshalb kann es uns mit der für 2016 geplanten Vorgehensweise auch gelingen, für zirka 97 Prozent der Kunden die Preise stabil zu halten. Folglich wären nach heutigem Stand von dieser vorgesehenen Preisänderung nur zirka drei Prozent der Kunden betroffen. Diese drei Prozent nutzen in unserem Netz 10 bis 20 Mal größere Datenmengen als ein durchschnittlicher Kunde, der zirka 15 bis 20 Gigabyte pro Monat verbraucht. Die Alternative wäre eine Preiserhöhung für alle Kunden, die in unseren Augen weder klug noch gerecht wäre.“

So also sieht die pharisäerhafte Linie der Telekom aus, um die breite Masse von den sogenannten Vielnutzern abzugrenzen und für die Suche nach schnellem Umsatzwachstum auch noch das Argument der Gerechtigkeit in Anspruch zu nehmen – wo es schlichtweg um Shareholder-Value-Interessen geht.

Power User sanieren die Telekom?

Oder könnte man mit den höheren Preisen für die Power User so viel Geld einnehmen, um Deutschland flächendeckend mit Glasfaserkabel zu versorgen? Marc Jacobs hat in einem Google-Plus-Posting nachgerechnet:

„Es gibt hier wirklich Leute, die es in irgendeiner Form angemessen finden, dass ein Anbieter, an den nicht wenige Teilnehmer quasi zwangsgebunden sind, seine Leistung um über 99 Prozent zurückfährt, um nach offizieller Darstellung 3 Prozent ‚Heavy User‘ zu ärgern und 0,1 Prozent mehr Umsatz zu machen?“

Mal davon abgesehen, dass die von Obermann und Co. genannten Durchschnittswerte beim Datenverbrauch reine Kosmetik sind, ist die Konsequenz eher folgende Empfehlung: Haltet euch zurück beim Datenverbrauch und alles wird gut oder, an die Pionierzeiten der Bundespost anknüpfend, „Fasse Dich kurz“ und ignoriere unsere Always-on-Sprüche, die wir derzeitig in der Werbung rausballern – das hat mit dem Durchschnittsnutzer nichts zu tun. Es könnte demnach nur theoretisch eine Welt geben, in der man das Zuhause von unterwegs steuern kann, immer live dabei ist, in der man selber nicht mehr zur Sprechstunde muss und das Büro überall sein könnte – auch auf dem eigenen Balkon. Erleben, was verbindet – aber nicht mit der Drosselkom.

Auch Lieschen Müller wird gedrosselt

In Wahrheit weiß die Telekom, dass sie als marktbeherrschendes Unternehmen an einer Stellschraube dreht, um ohne großen Aufwand die Kassen zu füllen – auch mit Lieschen Müller, die ein Telekom-Sprecher als Fallbeispiel so gerne anführt. Selbst bei den Stichworten Industrie 4.0 und Internet der Dinge ist Otto Normalverbraucher mit von der Partie:

„Hier rollt die nächste Welle von Datenvolumina auf das Netz zu, die dringend mit einer verbesserten Infrastruktur aufgefangen werden müssen. Das Problem ist die Kumulation der Datenmengen. Und da geht es auch um die letzte Meile der Netze, weil immer mehr der private Nutzer eingebunden wird. Das betrifft Angaben zum Energieverbrauch, die Vernetzung des kompletten Haushalts und dergleichen mehr. Ich nenne nur das Stichwort ‚Breitband auf der letzten Meile‘“,

erläurtert Harvey-Nash-Chef Udo Nadolski im ichsagmal.com-Interview.

Ein Telekom-Insider ist den wahren Plänen wohl ziemlich dicht auf die Schliche gekommen: „2016 werden fast alle von der Drossel betroffen sein. Hat heute ein durchschnittlicher Kunde 20 GB, soll sich das Volumen bis 2016 vervierfachen.“ Mit 80 GB ist man damit deutlich über der Drosselgrenze. Will man dann sein Netz in gewohnter Geschwindigkeit genießen, muss man Bandbreite nachkaufen. Ein Lieschen-Müller-Haushalt wird also geschröpft und nicht von der Last irgendwelcher Vielnutzer befreit, Mister Telekom-Sprecher.

Demontage der Netzneutralität trifft die breite Masse

Eigene Dienste und Partnerdienste sind bekanntlich von der Drosselung ausgenommen – aber mit welchem Effekt? Markus Beckedahl von netzpolitik.org nennt das im Karlsdialog den doppelten Markt. Die Telekom kassiert die normalen Nutzer mehr ab und verlangt noch Geld von externen Anbietern, um in den Genuss der Daten-Überholspur zu kommen. Große Unternehmen können sich das leisten. Kleine und mittelständische Unternehmen aber nicht – auch hier fällt Lieschen Müller wieder durch den Rost der Drosselkom.

Bislang war ja der Begriff der Netzneutralität recht abstrakt und es fiel den Netzaktivisten schwer, diesen Punkt auf die politische Agenda zu bekommen. Dank der Telekom und Lieschen Müller, die schlauer ist, als es der Telekom-Sprecher vermutet, sieht das nun anders aus. Jetzt wird klar, welche Tragweite der Abschied von der Netzneutralität für die Netzbewohner hat – mit Ausnahme der Provider und den großen Konzernen, die sich eine Sonderbehandlung im Internet erkaufen.
„Als Gesellschaft müssen wir uns jetzt klar positionieren und die Netzneutralität verteidigen. Sie hat uns Fortschritt und Innovation im Netz beschert. Als öffentliches Gut darf das Internet nicht den Profitinteressen der Provider geopfert werden“, fordert Beckedahl.

Hangout on Air-Operator Hannes Schleeh und bwlzweinull-Blogger Matthias Schwenk sehen das ähnlich. Jetzt sei die Zeit gekommen, gesetzliche Maßnahmen zur Bewahrung der Netzneutralität zu fordern, den Staat in die Pflicht zu nehmen bei der Etablierung eines schnellen Internets als Grundversorgungsauftrag und die zweifelhafte Rolle der Provider regulatorisch unter die Lupe zu nehmen. Denn betroffen von der Drosselkom-Politik sind wir als Inhalte-Lieferanten von freien Software-Projekten, Podcasting- und Livestreaming-Formaten, Blogs und generell als Internet-Nutzer. All das werden Lieschen Müller und viele andere dem Telekom-Vorstand um die Ohren hauen.

Mehr zu Themen des Netzes und dem digitalen Wandel gibt es auch vom European-Kolumnisten Lars Mensel in seinem aktuellen Artikel „Der Getriebene: Facebook Home und die Zukunft des Netzwerkes„.


Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf The European.


Teaserimage by Kandschwar (Public Domain)


Image by Ricostorch (CC BY-SA 3.0)


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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4 comments

  1. „2016 werden fast alle von der Drossel betroffen sein. Hat heute ein durchschnittlicher Kunde 20 GB, soll sich das Volumen bis 2016 vervierfachen.“ Mit 80 GB ist man damit deutlich über der Drosselgrenze.“

    Da steckt aber ein fetter Argumentationsfehler drinn. Warum wird sich der durchschnittliche Traffic pro user denn so stark erhöhen? Der Grund ist nahezu ausschliesslich Video – mit mehr Auswahl und mehr Qualität als heute und der Möglichkeit sich Kabel TV und SAT Anlage und DVD Verleih etc. zu sparen. Diese Dienste sind grossartig – nur warum sind wir alle so naiv das wir glauben wir bekommen diese schöne neue Welt geschenkt? Hier wird der emotional belegte Begriff der „Netzneutralität“ vor den Karren gespannt obwohl der tiefe Grund des Aufschreis simpler Geiz ist

  2. Wer will denn was geschenkt. Es geht um die fadenscheinige Argumentation der Telekom mit den angeblich 97 Prozent, die nicht unter die Drossel fallen. Es geht um die Teilung des Netzes durch die Bevorzugung von eigenen Diensten und Partnerdiensten, es geht um die Gefahr, dauerhaft ein Zwei-Klassennetz zu bekommen und es geht um die Unfähigkeit der Telcos, innovative Geschäftsmodelle für Datendienste auf den Mark zu bringen. Deshalb dreht man halt an der Stellschraube der Daten-Auslieferung – Maut-Gebühren für ein monopolistisches Netz. Zudem versagen sie beim Netzausbau. Wenn die Magenta-Manager dazu nicht in der Lage sind – und das werden sie auch in Zukunft nicht sein, sollte das Netz mit öffentlichen Mitteln finanziert werden mit neuen Betreibermodellen. Datenautobahn als öffentliches Gut.

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