Das E-Book wird bislang als schlechteres Buch angesehen – und trotzdem teurer verkauft. Und die neuen Schreibweisen der Netzzeit warten nicht auf den alten Literaturbetrieb. // von Gunnar Sohn.
E-Books sind in Deutschland noch nicht der absolute Renner. Und wenn ich mir die Preispolitik für digitale Bücher hierzulande anschaue, wundert mich das überhaupt nicht. In der Regel liegt der Preis im Vergleich zur gedruckten Variante viel zu hoch. Das ist eine echte Barriere. Kleines Beispiel: „Meßmers Momente” von Martin Walser. Die Gebundene Ausgabe kostet 14,95 Euro und für die Kindle Edition muss ich 12,99 Euro berappen.
In den USA sieht das anders aus. Etwa bei dem von mir erworbenen Werk „Spreadable Media: Creating Value and Meaning in a Networked Culture” von den Autoren Henry Jenkins, Sam Ford und Joshua Green. Die Kindle Edition liegt bei 12,13 Euro, die gebundene Ausgabe bei 21,80 Euro. Da entscheidet man sich gerne für die digitale Version.
Zudem überschlagen sich die Verlegerinnen und Verleger nicht gerade in der innovativen Gestaltung von entmaterialisierter Literatur. Es dominieren eher Defensivargumente wie in der Musik- oder Filmindustrie. Selbst unabhängige Literaturverlage reihen sich in den depressiven Chor der liebwertesten Urheberrechts-Gichtlinge ein, angeführt vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels (der Chefjustiziar dieses Ladens wird sich über meine spitzen Formulierungen nicht grämen, da ich ja meine Bildung aus dem Internet generiere). So warnt eine Verlegerin vor dem Hype, der um E-Books gemacht wird. Es müsse alles mit Augenmaß geschehen. E-Books dürften auf keinen Fall als Alternative zum gedruckten Buch verstanden werden, sondern nur als „Ergänzung“.
Besonders kleine Verlage sollten radikaler denken
Warum denken kleine und ambitionierte Verlage nicht radikaler? Was passiert, wenn man Literatur vom physikalischen Träger völlig abtrennt und das Geschriebene ausschließlich als Software präsentiert wird? Natürlich muss man in Alternativen denken, wenn man nicht alternativlos argumentieren will wie Bundeskanzlerin Angela Merkel. Politfunktionäre können wohl nicht anders daherreden. Aber Verlegerinnen und Verleger?
Einen Versuch macht die E-Book-Verlegerin Christiane Frohmann vom gleichnamigen Frohmann Verlag. Sie verabschiedet sich bewusst von den Prinzipien der klassischen Buchkultur. Es führe nicht weiter, wenn die Lese-App beim Umblättern knistert mit digitalen Eselsohren und einem normalen Buchumschlag. Digitales Publizieren müsse sich von diesen Gutenberg-Standards emanzipieren und das Verlegen von dort her zu denken. Das erinnert an die Youtube-Szene, die ein anderes Mindset entwickelt als die klassischen Fernsehmacher. Vom Denknebel der Buchbranche will sich Frohmann abgrenzen:
E-Books ohne Kopierschutz
„Das E-Book wird bislang als schlechteres Buch angesehen. Dabei haben E-Books ganz eigene Möglichkeiten, sie können Dinge, die Print-Bücher nicht können. Und die wollen wir ausloten.” Kritisch würdigt sie die rechtlichen Beschränkungen, die von der Verlagslandschaft auferlegt werden. Man erwirbt letztlich als E-Book-Käufer nur eine Leselizenz. Man ist nicht so richtig Eigentümer der Datei, kann das verflüssigte Buch nur auf bestimmten Geräten lesen und darf es in der Regel nicht kopieren oder weitergeben.
Als E-Book-Verlegerin hat Frohmann noch nie den Kopierschutz namens Digital Rights Management (DRM) benutzt: „Ich lehne das kategorisch ab. Man ist am ehesten bereit, sich fair zu verhalten, wenn man faire Angebote bekommt. Wenn die Leser günstigen, leicht zugänglichen und qualitativ hochwertigen Content angeboten bekommen, dann glaube ich, dass sie die Bücher auch kaufen. Außerdem glaube ich nicht, dass DRM schützt. Ich weiß, wie schnell man ein DRM knacken kann. Ich will meine Kunden und Leser mit Vertrauen und Respekt behandeln“, so Frohmann im Interview mit iRights.info.
Remix-Bewegung
Sie bekennt sich zur Kultur des Teilens, zu freien Lizenzen und zur Remix-Bewegung. Die Zeit des Originalgenies sei schon lange vorüber. Wenn man keine Angst davor habe, sich vom klassischen Autoren-Denken zu verabschieden, dann ist die Kultur des Teilens eine einzige Befreiung. Das Urheberrecht, wie es sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, sei der totale Knebel für die Kreativität: „Wo es gedehnt oder auch mal verletzt wurde, sind die ästhetisch ganz großen Dinge passiert, zum Beispiel in der Remix-Kultur. Die Verwerter von künstlerischen Inhalten haben da irgendwann ein Problem konstruiert, das vorher keines war. Wäre es früher nicht vollkommen normal gewesen, sich an bereits vorhandenen Stoffen und Motiven kreativ zu bedienen, hätte mein Studium der Literaturwissenschaft einen ziemlich spärlichen Gegenstand gehabt. Jede Kultur ist hybrid, besteht aus alten Elementen in neuen Kombinationen.”
Es gehe immer um die Re-Kombination von älteren Elementen. Das ist zwar schon längst durchtheoretisiert – von Michel Foucaults „Was ist ein Autor?“ bis Roland Barthes’ „Der Tod des Autors“ aus den 1960ern. Barthes hat eine besondere Form der Lektüre und des Schreibens praktiziert. Sein publizistisches Schaffen war nicht darauf aus, ein komplexes und unumstößliches Gedankengebäude zu erreichen. Er musste es geradezu darauf anlegen, in seinem Schreiben den äußeren Inhalt eines Buches völlig außer Acht zu lassen, so dass er die Bücher der anderen, über die er schrieb, auch gar nicht mehr von Anfang bis Ende las. Ein Buch sei nicht dazu da, um ganz gelesen zu werden, verkündet er, man müsse Passagen überspringen und nur “Teile daraus entnehmen, Schriftproben ziehen”. Die Zusammenhanglosigkeit zog Barthes der Ordnung vor und konzentrierte sich auf das „Rauschen der Sprache”. Bücher zusammengesetzt aus kurzen, eruptiven Zwischen-Texten, Apercus.
Der Autor als Diskurs-Anreger
Es zeigt sein eigenes Leben als Stückwerk, als Sammelsurium von einigem Notwendigen und viel Zufälligem. „Werk“ und „Schreiben“ bleiben bei Barthes relevant. Anders bei Foucault. Er sieht die Funktion des Autors vor allem als Begründer von Diskursen. Er schafft die Möglichkeit und die Bildungsgesetze für andere Texte. Am Ende könne vollständig auf die Funktion des Autors verzichtet werden, so der Philosoph in seinem berühmten Vortrag am Collège de France vor Mitgliedern der Französischen Gesellschaft für Philosophie.
E-Books werden sich wie Youtube-Videos als eigenständiges Genre etablieren. Der rund um das gedruckte Buch etablierte Literaturbegriff passt nicht mehr zur Poetik und Prosa, die sich in sozialen Netzwerken ausbreitet.
„Schon gar nicht passt er zu dem, was derzeit auf und zwischen den smarten Geräten passiert, die wir ständig bei uns tragen und über die wir längst den größten Teil unserer Textarbeit abwickeln“, so Stephan Porombka im Opus des Frohmann-Verlages mit dem Titel „Über 140 Zeichen“. Der eingeschränkte Literaturbegriff der bildungsbürgerlichen Honoratioren trübt den Blick auf die Texte, die im Netz kursieren.
Neue Plattformen jenseits des Literaturbetriebs gründen
„Man neigt dazu, sie gar nicht zu beachten. Und wenn, dann nur verächtlich als Leichtgewichtiges, Flüchtiges, Beliebiges, Uninteressantes.“ Redakteure von Gestern-Medien degradieren das Netzgeflüster gerne als Klowand-Weisheiten. Jeder, der online ist und postet, twittert, faved oder liked steht erst einmal unter Verdacht, ein Protagonist der kulturellen Sinnentleerung zu sein. Aber selbst die neuen Schreib- und Leseweisen im 18. Jahrhundert haben nicht darauf gewartet, von den Autoritäten des alten Literaturbetriebs akzeptiert zu werden, erläutert Prorombka. Man habe sich seine Publikations- und Rezensions-Plattformen lieber gleich selbst erfunden. Ähnliches wird sich für das Schreiben und Lesen bei Twitter, Facebook, WhatsApp und Google Plus ergeben. Verlage wie Frohmann wirken als Teilchenbeschleuniger für experimentelle Poetiken, die sich vom Flow ihrer Timeline inspirieren lassen und sich wenig um die Rückzugsgefechte von Leistungsschutz-Denkern scheren.
Wie sich E-Book-Verlage künftig positionieren, erläutert Christiane Frohmann im #Bloggercamp.tv-Gespräch: Über die Emanzipation des E-Books und den Tod des Autors.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European.
Teaser & Image by Vedat Demirdöven (CC BY-SA 2.0)
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Schlagwörter: Autor, buch, E-Book, kopierschutz, Literatur, verlag
1 comment
Ich bin übrigens schon 53. Schreibt doch einfach Jahrgang 1961, dann muss das nicht mehr aktualisiert werden. Ich werde ja automatisch älter.