Das Startup Crystal behauptet, es kann einem helfen bessere E-Mails zu schreiben, indem aus offenen Daten die Empfänger-Persönlichkeit analysiert wird. E-Mail wird als Kommunikationsmedium immer wieder totgesagt, oder zumindest einige Probleme attestiert. Alle möglichen Unternehmen haben dies erkannt und wollen dies ändern. Das Startup Crystal gehört auch dazu – ihr Ansatz? E-Mails werden besser, wenn man die Persönlichkeit des Empfängers kennt. Daher werden die offen verfügbaren Informationen aus Social Networks und Blogs über eine Person zusammengetragen, um so mit gezielten Formulierungsvorschlägen E-Mails optimal auf den jeweiligen Empfänger zuschneiden zu können. Doch wann ist persönlich zu persönlich?
Ich weiß was, was du nicht weißt
Es ist nicht immer ganz einfach, in einer E-Mail den passenden Ton zu treffen, besonders wenn man sein Gegenüber nicht persönlich kennt – und selbst dann kann man bei der Wortwahl oder Formulierung gerne mal daneben liegen. Crystal, ein Startup, dessen Service im März als offene Beta gelauncht wurde, will den Nutzern nun unter die Arme greifen, indem es ihnen die schlechteste und beste Möglichkeit der Konversation aufzeigt. Dafür bedient sich Crystal einer Strategie, die bereits im Marketing Gang und Gebe ist, um uns mit gezielten Werbeanzeigen zu versorgen. Das Startup sammelt zunächst allerhand Daten über den Empfänger – angefangen bei LinkedIn, über Twitter, Yelp bis hin zu Blogs und weiteren, frei im Netz verfügbaren Informationen – um daraus ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen. Je mehr Daten Crystal vorliegen, desto größer ist das Selbstvertrauen in das erstellte Profil. Die Empfänger werden dann in eines von 54 Persönlichkeitsprofilen eingeordnet und dem Nutzer als generelle Informationen, sowie gezielte Tipps für die persönliche oder schriftliche Konversation präsentiert.
Mein erster Eindruck bei einem Selbsttest war, dass die Profile sehr vage sind und recht allgemeine Charakterzüge nennen. Das führt zu einer Trefferquote, die gefühlt auf Augenhöhe mit Sternzeichen-basierten Charakterbeschreibungen liegt, mit Eigenschaften, die auf sehr viele Menschen zutreffen. Jennifer Goldbeck, Professorin an der University of Maryland, die erforscht, wie man Persönlichkeitsmerkmale und Beziehungen aus Social Media ableiten kann, sagt gegenüber MIT Technology Review allerdings, dass Technologien wie von Crystal, die Schlussfolgerungen über die Persönlichkeit anstellen, zu 75 Prozent richtig liegen. Aber auch die gegebenen Kommunikations-Tipps von Crystal scheinen mir teilweise eher fragwürdig – so wird mir zum Beispiel empfohlen, ich solle in einer E-Mail an Angela Merkel ein Emoticon verwenden ;-). Fände ich persönlich im Schriftwechsel mit der Kanzlerin eher unangebracht, aber vielleicht weiß Crystal, mit immerhin 94 Prozent Vertrauen in die eigene Persönlichkeitseinschätzung, ja auch mehr über die Bundeskanzlerin als ich? Mit Sicherheit sogar, aber genau das ist auch der Punkt, an dem mir Crystal etwas zu viel wird. Was bei Facebook, Google und den tausenden andere Marketing-Unternehmen bereits nervt und ein ungutes Gefühl in der Magengegend erzeugt, wird bei Crystal dann geradezu unheimlich und verstörend.
Persönlich oder unheimlich?
Nach Angabe von Crystal kann der Dienst für alle Bereiche von Marketing über Rekrutierung bis zu Online-Dating hilfreich sein. Zugegeben, wenn ich eine E-Mail von einem Headhunter bekomme, die auf mich maßgeschneidert ist, könnte ich mir noch vorstellen, mich zu freuen. Beim Dating sieht das aber schon anders aus, denn schließlich erzeugt gerade in diesem Bereich das Unbekannte ja einen großen Reiz. Einen E-Mail-Wechsel mit einem Gegenüber, das ganz genau weiß, was und wie es schreiben muss um einen rumzubekommen, geht an dem eigentlichen Ziel des gegenseitigen Kennenlernens doch ziemlich vorbei und erinnert im schlimmsten Fall eher unheimlichen Stalkern, die bereits genauestens über einen Bescheid wissen. Außerdem stellt sich die Frage, wie persönlich eine E-Mail denn eigentlich noch ist, wenn der Sender den Text auf die Persönlichkeit des Empfängers zuschneidet.
Ein nicht minder furchteinflößendes Szenario ist aber das Marketing. Hier werden bereits massenhaft Daten über die eigene Person gesammelt, aus denen sich recht genaue Persönlichkeitsprofile erstellen lassen. Damit lassen sich dann sehr zielgenaue Werbeanzeigen schalten. Wenn man nun allerdings diese Herangehensweise mit der dunklen Seite der E-Mail paart, erhält man eine Art super Spam. Betrüger könnten auf diese Weise Phishing-E-Mails verfassen, auf die noch viel mehr Leute hereinfallen, als es ohnehin schon der Fall ist. Natürlich kann ein Dienst wie Crystal durchaus auch hilfreich sein, doch in meinen Augen überwiegt in diesem Fall das Gruselige, da die Sache im Gegensatz zu Werbeanzeigen dann doch etwas zu persönlich wird. Allerdings wird das wohl kaum etwas daran ändern, dass sich derartige Dienste weiter verbreiten und noch mehr Anbieter auf die Idee kommen, offene Personendaten zusammenzutragen und für das eigene Angebot zu nutzen. Dafür sind bereits zu viele Daten über uns im Umlauf (und es werden immer mehr), und die daraus entstehenden Möglichkeiten werden für Unternehmen einfach immer verlockender.
Image (adapted) „Privacy“ by Rob Pongsajapan (CC BY 2.0)
Screenshot by Daniel Kuhn
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