Enterprise 2.0 – Die Marktgesellschaft

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Als vor einigen Jahren der Begriff Web 2.0 geprägt wurde, hatten seine Gründerväter die Strukturen von offener Software im Blick. Vor allem die Entwicklung dieser Software in einer weltweiten Gemeinschaft, die dann – in einigen Köpfen als Quasireligion – zur Blaupause des digitalen Lebens werden sollte. Im Laufe der Jahre wurden mannigfaltige romantische Ideologien und libertäres Gedankengut in diese Welterklärung hinein gestopft. Der freie Markt soll aus Sicht der naiven Hippiekapitalisten und der verbohrten Technoanarchisten die letzte Rettung sein für eine überregulierte Gegenwart.


Open Source als Modell?


Wer bereits in einem erfolgreichen Open–Source–Projekt mitgearbeitet hat, der wird bestätigen, dass diese vor allem deshalb erfolgreich sind, weil über lange Zeit charismatische und führungsstarke Personen die Entwicklung gelenkt und später begleitet haben. Manchmal hat sich diese Macht und Kontrolle auf die Personen negativ ausgewirkt und ihre Hybris hat bewirkt, dass neue Projekte auf derselben Codebasis erfolgten (fork), nur um dem Einfluss der Person zu entgehen. Manchmal haben aber diese Personen auch eingesehen, dass es sinnvoll ist, diese konstruktive Hierarchie mit einer so genannten Heterarchie zu ergänzen. Linus Torvalds, der Kopf hinter Linux, einem sehr bekannten UNIX–fork, hatte neulich auf die Frage nach der Zukunft von Linux erklärt, dass es wohl im Moment eine große Tendenz zur Virtualisierung gäbe, da er dort aber wenig Interesse hätte, könne er dazu nicht viel sagen. Er entscheidet zwar sehr viel in Bezug auf Linux, aber die Reaktion und Anpassung des Systems an die Wellenbewegungen der Trends überlässt er der Linux–Gemeinschaft. Das erscheint viel logischer als es in der Realität anderer Projekte Wirklichkeit ist. Dort finden oft extreme Grabenkämpfe statt.


Organisation ist alles?


Diese Form der Organisationsentwicklung ist mittlerweile auch interessant für Firmen. Kein Wunder, dass es von Softwarefirmen ausgeht. Denn viele der fähigsten Köpfe arbeiten privat oder sogar während der Arbeitszeit an Open–Source–Projekten mit. Was zunächst nur wie ein Antidot gegen Microsofts Vorherrschaft erschien, hat nun grundlegende Änderungen in der professionellen Kooperation zur Folge. Neudeutsch nennt man diese Kollaboration. Und wenn Tools wie Wikis, Blogs, Twitter, StatusNet beim Austausch von Daten und Meinungen im Spiel sind, dann wird in Anlehnung an Web 2.0 von Enterprise 2.0 gesprochen. Dort soll organisationsübergreifend der neue Wind Einzug halten. Genau wie bei Open Source soll jeder fast alles machen können. Dass die Open–Source–Projekte gar nicht so basisdemokratisch sind, wie ihnen nachgesagt wird, macht die Diskussion um den Einsatz niedrigschwelliger Kommunikationstools nicht einfacher.


Und so kristallisieren sich erste Grabenkämpfe auch hier heraus. Greg Lloyd hatte es in einem Blogpost vor einigen Tagen schön zusammen gefasst: Er differenziert in Strict Druckerian (nach Peter Drucker), das sind Leute, die glauben, dass Firmen durch die neuen Werkzeuge verändert werden. Im Gegensatz zu denjenigen, die glauben, dass alles eine Frage des Einsatzes von Web–2.0–Technologien sei – Strict Technarian. Zu guter Letzt bezeichnet Lloyd diejenigen, die das ganze Thema nur als Hinweis auffassen, dass es bei der Arbeitsorganisation 2.0 nur um das Thema Menschen ginge, als Strict Proletarian. Mit Recht hält man der letzten Gruppe vor, dass viele Arten des Austauschs zwischen Menschen ohne Tim Berners–Lees (sowie Ted Nelsons und Douglas Engelbarts) Erfindung des Webs gar nicht denkbar seien. Insofern ist eine koordinierende und transparente Konversation über lokal verstreute Personen und Gruppen kaum denkbar. Vor allem der bewahrende Aspekt durch das Speichern und die jederzeitige Wiederabrufbarkeit von Inhalten ist kaum zu überschätzen.


Partizipation ist alles?


Aber die Technologie allein ruft keine Partizipation hervor. Insofern kann der Einsatz der neuen basisdemokratischen Werkzeuge im Browser keineswegs über eine Kommandostruktur verordnet werden. Die Selbstorganisation, die solchen Prozessen innewohnen kann, wächst nur auf dem Boden der Freiheit und der Wahl. Denn sonst finden sich in solchen Systemen nur notwendige, aber keine hinreichenden Bedingungen für den Austausch statt. Dann wird jede Aussage eines Mitarbeiters zum Rohstoff, der in Regalen gelagert wird, bis er wieder gebraucht werden kann. Diese Auffassung aus dem 19. Jahrhundert wird gerne mit sozialem Kapital umschrieben und setzt das alte mechanistische Denken in den Stand, postmodern und hip auszusehen. Das ist aber nicht der Sinn von Organisation:

“The purpose of an organization is to enable ordinary humans beings to do extraordinary things.” Peter Drucker: Management: Tasks, Responsibilities, Practices Chapter 28, The Spirit of Performance, p. 361 (1974)

Lloyd fühlt sich sicher in der Position, sowohl die Software als auch die menschliche Perspektive als leitende Bedingungen anzusehen, die Firmen modifizieren. Er geht soweit, dass er die beiden anderen Positionen aufgrund ihrer einseitigen Prioritäten als unzulässig abstempelt.

Wenn Lloyd Recht hätte, dann müssten Firmen in den letzten Jahren bereits nachhaltige Änderungen in der Organisation erfahren haben, denn mit Groupware, Videokonferenzen und dem Intranet stehen seit zehn Jahren mächtige, dezentrale, netzwerkbasierte Werkzeuge zur Verfügung, die die Firmen nachhaltig verändert haben müssten. Die Organisationsentwicklung stellt jedoch fest, dass die Treiber von Veränderung nicht unbedingt in der Technologie liegen. Sie hat einen enormen Schub an Geschwindigkeit erlangt, seit die Bandbreiten zunehmen. Auch die Reisetätigkeiten wurden reduziert, was die Effizienz steigerte und die Kosten senkte. Ein neues Paradigma würde aber erst dann realisiert sein, wenn nicht nur die Forschungs– und Entwicklungsabteilung oder Projektgruppen besseren und direkteren Austausch via Web hätten, sondern wenn Menschen als Ressource betrachtet würden und nicht als Kosten.

Und dieser Begriff der Ressource hatte sich schon im Wissensmanagement angedeutet – Ende der Neunziger. Dort wurde versucht, das Wissen der Mitarbeiter in riesige Datenbanken einzuspeisen. Mit einer falsch verstandenen Doppelstruktur des Wissens in implizite und explizite Anteile sollte die Ressource geerntet werden. An genau dieser Stelle sind die Anhänger Druckers heute gespalten. Die einen hängen noch immer der Idee nach, diese Datenbanken endlich mit Social Software anzufüllen, die anderen wollen das soziale Kapital der Mitarbeiter durch Mitverantwortung im Rahmen von Zielvereinbarungen heben.


Beide liegen daneben. Denn eines haben sie nicht verstanden. Die Open–Source–Community ist deshalb so erfolgreich, weil die Menschen dort freiwillig mitarbeiten – aus freien Stücken, wann sie wollen, wo sie wollen und wie sie wollen. Und diese Freiheiten liefern überhaupt erst die mobilen Netze, die einfachen Werkzeuge, die im Netz liegen (Cloud), die niedrige Eintrittsschwelle der Kooperation durch leichte und kostenlose Content–Management– und Blogsysteme. Google hat das verstanden und verlagert die Produktentwicklung in genau diese Nische der 20 Prozent Arbeitszeit, die die Mitarbeiter selbstbestimmt an eigenen Projekten arbeiten können, die sich dann im internen Wettstreit behaupten müssen. Man nennt dies ROWE (Results–Only Work Environment). Dieses System geht noch über das von Google hinaus und gibt den Mitarbeitern völlig freie Zeit– und Arbeitsraumeinteilung. Erfahrungsgemäß sind die Mitarbeiter dort schneller und effizienter, denn sie müssen nicht ihre Zeit im Büro absitzen. Sie rauchen, surfen und quasseln auch nicht während der Arbeitszeit, weil sie sie selbst einteilen.

Wenn Firmen verstehen würden, dass Menschen nicht nur Kosten (Taylor) und auch nicht nur Ressourcen (Drucker) sind, sondern intelligente Wesen, die sehr effzient sind, wenn sie genug Freiheiten in der Zeit– und Ortseinteilung haben, dann würde es nur noch 30 % der Bürotürme in den Städten geben. Dann könnte man die Verkehrssitutation ohne horrende Parkgebühren verbessern, man hätte Platz für schönes Wohnen in der Stadt, die Gebiete würden nicht zersiedelt und das Netz wäre endlich die Infrastruktur, die das ganze industrialisierte Denken in Röhren und Pumpen sinnvoll ablösen würde.

Wer wirklich echtes Enterprise 2.0 erleben will als Kombination aus Technologie und Partizipation, der müsste eine demokratische Kultur im Marktgeschehen innerhalb und zwischen Firmen realisieren. Also sozusagen Remixen im beruflichen Umfeld. Einige Informationen dazu hat Sebastian M. Krämer in einem Radiofeature zusammengetragen. Denn was die meisten Berater und Experten rund um Enterprise 2.0 vergessen: Es geht um das Teilen (Sharing). Bisher ging es Firmen nur um das Zerteilen (Shares = Aktien), nicht um das freie Mitteilen von Inhalten, Wissen und Meinungen.

Bildnachweis: wax115

  ist seit 1999 als Freier Autor und Freier Journalist tätig für nationale und internationale Zeitungen und Magazine, Online-Publikationen sowie Radio- und TV-Sender. (Redaktionsleiter Netzpiloten.de von 2009 bis 2012)


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