Die Zukunft des Journalismus lässt sich schwer voraussagen. Wie wäre es statt großer Pläne also mit Produktionsmethoden, die auf Geschwindigkeit und Spontaneität setzen? // von Gunnar Sohn
Durchwursteln statt bedeutungsschwere Masterpläne zu schmieden sei das probateste Mittel, um in der digitalen Sphäre zu überleben, so die Empfehlung von Jochen Wegner, Chefredakteur von „Zeit Online“. In seiner Eröffnungsrede auf dem Besser-Online-Kongress des Deutschen Journalisten Verbandes (DJV) sieht er das Merkel-Prinzip als den besten Ansatz, wie heute Medien entwickelt werden müssen. Man könne vielleicht ein halbes Jahr weit sehen, aber bestimmt nicht zehn Jahre. „Alle Masterpläne scheitern permanent“, so Wegner. Wo die Zukunft der Print- oder Onlinemedien im Jahr 2020 liegen werde, die man jetzt so intensiv diskutiert, kann er nicht beantworten. „Ich weiß es nicht. Es passieren gerade so viele Dinge bei der Veränderung des Verhaltens der Nutzer und Leser, dass ich froh wäre, wenn ich wüsste, was wir nächstes Jahr machen“, sagt Wegner. Agile Entwicklung statt Pflichtenheft-Planung Das gelte übrigens auch für Erlösmodelle im Journalismus. Egal ob es um Paid Content, Crowdfunding, Stiftungen oder Staatsfinanzierung geht – es gebe keine Patentlösungen. Man müsse viele kleine Bälle in die Luft werfen und schauen, welche oben kleben bleiben – dann pumpt man sie noch ein wenig auf. Diese seltsame Metapher war ein netter Gag in der Rede von Wegner. Noch besser ist seine Analogie zu den Software-Entwicklern, die sich von der perfekten Planbarkeit von Systemen verabschiedet haben. Sie nennen das agile Entwicklung. Auch im Journalismus sollte man diesen Pfad gehen – zumindest in den digitalen Medien, lautet der Rat des „Zeit Online“-Chefs. Früher dominierten Lasten- und Pflichtenhefte beim Bau von neuen IT-Systemen den Arbeitsalltag. Der Nutzer war in diesem Szenario für die liebwertesten Kontroll-Gichtlinge nur ein Störfaktor. Agile Programmiermethoden bauen ein IT-System wie einen App-Store mit vielen kleinen Anwendungen darin. CIO, Systemarchitekten und Vertreter der Anwender entscheiden gemeinsam, welche Funktionen wirklich gebraucht werden. Es sinkt die Gefahr, nach einer langen Planung am Reißbrett ein völlig veraltetes System in Betrieb zu nehmen. Bei der agilen Programmierung wird stärker das Unvorhersehbare einkalkuliert. Unmittelbares Feedback ist möglich. Wenn eine Applikation misslingt, kann sie schnell wieder entfernt und verändert werden, ohne große Flurschäden zu produzieren. Streaming-Revolutionen Wegner gab den Besser-Online-Teilnehmern die Empfehlung auf den Weg, mehr zu spielen, zu experimentieren und die Dinge, die nicht funktionieren, wieder einzustellen. Die DJV-Fachtagung ist dafür eine geeignete Plattform. Denn unter den Vortragenden gibt es erstaunlich viele spielfreudige Journalisten, die mit Technologien und neuen Formaten im Netz unbefangen umgehen. Etwa die freie Hörfunk-Journalistin Sandra Müller, die ein leidenschaftliches Plädoyer für Radiophonie abgab.
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf The European.
Image by Thomas Leuthard (CC BY 2.0)
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Schlagwörter: debatte, digital, journalismus, Medienwandel, Online-Journalismus