Facebook geriet im Mai diesen Jahres aufgrund von Anschuldigungen einer liberalen Einflussnahme in seiner „aktuelle Themen“-Funktion in Schwierigkeiten. Dies war nicht das erste Mal, dass Facebook beschuldigt wurde, sich heimlich in die Politik einzumischen. Im Jahr 2012 wurde Facebook von dem Vorwurf entlastet, die Nachrichteneinspeisung von 1,9 Milionen Nutzern zu optimieren, indem man diese mit politischen Inhalten anreicherte.
Im Jahr 2014 fragte Clay Johnson, der Mitgründer von Blue State Digital, einer Firma, die die Online-Kampagnen von Barack Obama für die Präsidentschaftswahl im Jahr 2008 plante und verwaltete, nach einem Experiment in der Emotions-Manipulation, an dem 689.ooo Menschen teilnahmen, folgendes: „Könnte Mark Zuckerberg eine Wahl drehen, indem er für Upworthy (eine Website, auf der sich virale Inhalte sammeln) zwei Wochen vor der Wahl dafür wirbt? Und sollte das überhaupt erlaubt sein?“
Aber Facebooks politisch einflussreichstes Instrument ist vielleicht eines, das sich gut versteckt. Man denke nur an den „Ich habe gewählt“-Button. Der Button, der von Facebook als ‚Sprachrohr der Wähler‘ bezeichnet wird, ermöglicht den Nutzern, mitzuteilen, ob sie gewählt haben und zeigt, welche ihrer Freunde auch gewählt haben.
Ein einflussreiches Instrument
Der harmlos aussehende Button ist ein politisch sehr einflussreiches Instrument. Wie fast jede Funktion auf fast jeder kommerziellen Internetseite wird das Sprachrohr auf Facebook für kontrollierte, vermittelnde Experimente genutzt. Facebook wandte den Button in einem großen Experiment bezüglich der amerikanischen Kongresswahlen im Jahr 2010 an. 61 Millionen Menschen wurden in einer Gemeinschaftsstudie der Universitäten von Kalifornien und San Diego zusammen mit Datenwissenschaftlern von Facebook verschiedene Versionen des Buttons gezeigt, manchmal war auch gar kein Button zu sehen.
Sie nutzten Wählerverzeichnisse, um den Einfluss des Buttons auf das tatsächliche Wahlverhalten zu ermitteln. Es stellte sich heraus, dass der Aufruf zum Handeln die Gesamtzahl der Wähler um 340.000 Wähler anstiegen ließ. Der Bericht dieser Studie, der im Magazin Nature veröffentlicht wurde, weist darauf hin, dass selbst kleinste Veränderungen an der Wahlbeteiligung „den Ausgang der Wahl beeinflussen können“. Es wird das Beispiel der Wahl des amerikanischen Präsidenten im Jahr 2000 zitiert, bei der George W. Bush seinen Konkurrenten Al Gore in Florida durch lediglich 537 Stimmen schlagen konnte. Hätte Gore im Staat Florida gewonnen, hätte er die Wahl zum Präsidenten gewonnen.
Kann das Sprachrohr Wahlen beeinflussen?
Wenn Facebook gewillt war, seine parteienneutrale Selbstdarstellung aufzugeben, wäre es einfach, das Wahlergebnis mit einem Instrument, das zum Wählen animiert, zu beeinflussen. Studien haben gezeigt, dass das Feststellen einer politischen Tendenz der Facebook-Nutzer einfach ist, auch für jene, die sich von politischen Aktivitäten im Netz fernhalten.
Facebook könnte deshalb das „Ich habe gewählt“-Instrument gezielt nur für die Unterstützer von Kandidaten oder politischen Parteien seiner Wahl anbieten und so nur deren Stimmen vermehren. Das wäre sogar legal, selbst wenn es heimlich geschehen würde. Aber nehmen wir einmal an, dass Facebook nicht gewillt wäre, solche Risiken auf sich zu nehmen. Kann es einen Einfluss auf Wahlen haben auch ohne, dass man verschiedene Wähler verschieden behandelt?
„Ich habe gewählt“ und Voreingenommenheiten
Der Bericht über die Facebook-Studie aus dem Jahr 2010 erwähnt nicht, ob die Zunahme in der Wahlbeteiligung in irgendeiner Weise mit der Voreingenommenheit für eine Partei in Verbindung stand und es gibt keine Möglichkeit, das zu überprüfen. Aber statistisch gesehen ist es beinahe unmöglich, ein solches massives Eingreifen in den politischen Prozess durchzuführen, ohne damit Voreingenommenheit zu erzeugen.
Es wäre sehr überraschend und würde einiges an Erklärung verlangen, wenn keine Beeinflussung entstehen würde. Der Grund hierfür ist, dass die hierbei involvierten Variablen kaum unabhängig sind. Die Zugehörigkeit zu einer Partei hängt stark von anderen Eigenschaften ab, wie zum Beispiel vom Alter und dem Bildungsgrad. Diese wiederum können davon abhängen, wie sehr man mit dem Button auf Facebook konfrontiert wird und von der Wahrscheinlichkeit, dass man durch den Gruppenzwang im Internet, falls vorhanden, beeinflusst wird.
Es gibt deshalb keinen Grund zu der Annahme, dass der gleiche Button alle Wählergruppen gleichermaßen beeinflusst. Wenn der Anstieg der Wählerstimmen aufgrund des Buttons in allen Gruppen nicht exakt gleich ist, erzeugt dies Voreingenommenheit.
Eine absichtliche Voreingenommenheit?
Die Existenz einer solchen Voreingenommenheit ist an sich nicht welterschütternd. Man kann mit einer ähnlichen Begründung sagen, dass Veränderungen des Wetters das Wahlergebnis auf eine Art beeinflussen können, sodass das Wahlergebnis beeinflusst wird. Der „Ich habe gewählt“-Button unterscheidet sich in der Hinsicht von den Methoden, die Facebook verwendet hat, um die Wahlbeteiligung zu beeinflussen, dass dieser individuelle Wahlinformationen liefert.
Indem die Information, wer gewählt hat, mit den Informationen der politischen Tendenzen kombiniert werden, verfügt Facebook über eine einzigartige Position und weiß, wie jede Veränderung des Knopfes jede Wählergruppe beeinflusst hat. Dementsprechend kann Facebook vorhersagen, welche Voreingenommenheiten durch das Anwenden einer jeden Button-Variation quer durch alle Wählergruppen bei zukünftigen Wahlen erzeugt werden.
Zum Beispiel hätte sich Facebook dazu entschließen können, das Sprachrohr der Wähler bei der US-Präsidentschaftswahl einzusetzen oder auch nicht. Weil Facebook weiß, welche Aktion welcher Partei nutzen wird, konnte die Wahl nicht unvoreingenommen sein. Schon das Sammeln der Daten selbst hat Facebook zu einem politischen Mitspieler gemacht.
Die Wahl des Anwendens oder Nichtanwendes ist ein einfaches Beispiel der absichtlichen Voreingenommenheit. Man stelle sich vor, es gäbe Unterschiede in den Wahlmustern der Parteien abhängig von der Tageszeit, zu der gewählt wird. Indem man sich dazu entschließt, dass der Button erst am späten Nachmittag erscheint (wie es Facebook für ein paar Nutzer bei der Präsidentschaftswahl des Jahres 2012 getan hat), wird ein feinerer Grad der Kontrolle über die Voreingenommenheit erzeugt.
Im März, als Facebook-Mitarbeiter Mark Zuckerberg die Frage stellten, welche Verantwortung Facebook hat, um dabei zu helfen, zu verhindern, dass Trump im Jahr 2017 Präsident wird, ging es nicht um die Befähigung. Wie wir festgestellt haben, kann Facebook die Wahlbeteiligung beeinflussen. Sheryl Sandberg aus dem Facebook-Vorstand für das operative Geschäft sagte dazu: „Facebook würde nie versuchen, Wahlen zu kontrollieren.“ Aber wenn Facebook Millionen von Stimmen mit dem sprichwörtlichen Klick auf einen Knopf kontrollieren kann, ist das dann noch Demokratie?
Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation“ unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Image „Domino’s“ by david pacey (CC BY 2.0)
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