Bild: Screenshot Trailer Harry Potter and the deathly hallows
Damals noch Feinde, kommen sich nun Harry Potter und Draco Malfoy auf der Siegesparty über Lord Voldemort gefährlich nahe. Eine leidenschaftliche Liebe entzündet sich zwischen dem Slytherin und dem Gryffindor – beide Mitglieder verfeindeter Häuser. Ist das die Fortsetzung der Harry-Potter-Saga?
Dort, wo das Original endet, beginnt die Fantasie der Fans. In der Welt der Fanfiction schreiben Autorinnen und Autoren die Geschichten populärer Film- und Romanvorlagen weiter oder ergänzen sie. Auch TV-Serien, Computerspiele, sogar real existierende Promis dienen den Fans als Vorlage für eigene Geschichten…
Fanfiction als Literatur
Die Gattung Fanfiction ist für den Literaturwissenschaftler Rolf Füllmann durchaus ernst zu nehmen. „Es geht hier um Nachahmung von Wirklichkeit, es geht um eine künstlich erschaffene Quasiwelt und das ist es, was Literatur von anderen Formen des Erzählens unterscheidet. Also erfundene Figuren in einer Quasiwelt.“, sagt er im Deutschland Radio. Meist sind es gerade die Figuren und ihre Beziehungen zueinander, die in den Fangeschichten intensiviert oder verändert werden. Ob eine homoerotische Geschichte zwischen Harry und Draco („Slash“) oder eine romantische Satire mit Snape und Hermine („Crackfic“), das Genre wie das Wer-mit-Wem sind die wichtigsten Kriterien für Fanfiction-Autorinnen und Leser. Außer den klassischen Kategorien der Literatur hat die Fanfiction ganz eigene Genres. „Yuri“ oder „Yaoi“, „Lemon“ oder „Lime“ beschreiben die Art der Beziehung zwischen den Figuren.
Slash, ein Genre für Frauen
Die Fernsehserie „Star Trek“ machte Fanfiction in den 70er Jahren populär. Alternative Fangeschichten über Kirk und Spock fanden zuerst durch Fanzines (Magazine von Fans für Fans) ihren Leserkreis. Mit dem Internet wurde Fanfiction zum Massenphänomen. Heute gibt es unzählige Online-Communities, in denen Texte veröffentlicht werden. Eine der größten Fanfiction Sammlungen ist fanfiction.net (das deutsche Pendant: FanFiktion.de).
Besonders beliebt in der Fangemeinde sind Slash Geschichten. Sie beschreiben romantische, meist auch sexuelle, Beziehungen zwischen zwei gleichgeschlechtlichen Charakteren.
Warum die homosexuellen Begegnungen nicht homosexueller Männer hauptsächlich von Frauen für Frauen geschrieben werden, erklärt sich die Medienwissenschaftlerin Constance Penley durch die fehlenden Identifikationsfiguren in der Mainstream-Medienwelt. Slash schafft für die Frau einen eigenen Raum für Sexualität abseits des Geschlechterkriegs. Im Gegensatz zu einer von Männern dominierten Wirklichkeit beschreibt das Genre Liebe und Sexualität zwischen gleichwertigen Partnern.
Urheberrechte
Fanfiction ist allerdings kein Phänomen seit „Star Trek“. Mythen und Märchen wurden über Jahrtausende weitererzählt, dabei wurde hinzugedichtet, geändert oder weggelassen. Das muss nicht jedermanns Geschmack sein. Goethe zeigte kein Verständnis für Fanfiction. Sein Bestseller „Die Leiden des jungen Werther“ wurde von Friedrich Nicolai parodiert. Dem gefiel Goethes Suizid-affiner Werther nicht. Er ließ ihm eine präparierte Pistole geben, sodass kein Selbstmord möglich war. Werther überlebte, konnte Lotte heiraten und sein Leben meistern. Nicolai nannte sein sentimentales Werk mit „Happy End“ „Die Freuden des jungen Werther“ und bekräftigte so den Bezug zum Original. Damit nicht einverstanden, verfasst Goethe wutentbrannt böse Gedichte, um Nicolai aufs Ärgste zu beschimpfen.
Heute wird der Fanfiction durch das Urheberrecht enge Grenzen gesetzt. Charaktere und Orte eines Werkes sind urheberrechtlich geschützt. Anne Rice verklagte aus diesem Grund „Tanz der Vampire“-Fansites, da sie sich der Ideen ihres Klassikers habhaft gemacht haben. Rice weist auf ihrer WebsiteFans deutlich darauf hin, nicht ihre Charaktere in eigenen Geschichten zu verwenden.
Ganz im Gegensatz dazu begrüßen J. K. Rowling und Stephenie Meyer Fanfiction. Rowling, Autorin der Harry-Potter-Romanreihe, fühlt sich geschmeichelt, dass Fans Zeit investieren, um Geschichten im Harry-Potter-Universum zu schreiben.
Fanfiction funktioniert nicht ohne das Originalwerk. Sie ist vielmehr Werbung für das Original und trägt zu einer großen Fangemeinde bei. Solche Werbung kann manchmal auch Einfluss auf das Original gewinnen. Die meisten Fangeschichten fristen im nichtkommerziellen Untergrund auf diversen Internetportalen ihr Dasein. Geschichten von Melissa Good, Fanfiction-Autorin für die TV-Serie „Xena“, haben es hingegen geschafft, in der sechsten Staffel der Serie von den Produzenten verfilmt zu werden. Warten wir also gemeinsam auf den neuen Harry Potter aus der Fangemeinde.
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Schlagwörter: Autor, Fan, Kultur, Schriftsteller