Warum die digitale Generation etwas Illegales macht, während die Eltern mit dem Fernsehen 1.0 einschlafen. Ein Gastbeitrag von Frank Lachmann
Während ich diesen Text schreibe, läuft im Fernsehen gerade das knapp 90-minütige Finale der vierten Staffel von „Lost“.
Zugegebenermaßen nicht in dem, was beispielsweise meine Eltern als Fernsehen bezeichnen würden. Das Fernsehen meiner Eltern besteht aus dem „Ersten“ und dem „Zweiten“, dazu arte, Phoenix, 3sat, den üblichen Mainstream-Privaten sowie ein paar Spartensendern mit Sport, Nachrichten und Musik (sowie eigenartigen Call-In-Sendern, die sowieso kein normal denkender Mensch einschaltet).
„Ich bin der Videorekorder meiner Eltern“
Das Fernsehen meiner Eltern kennt den Begriff Timeshift nicht, digitale Kabelsender kennt das Fernsehen meiner Eltern nur durch mich, und ich bin es auch, der hin und wieder die Kanalbelegung der Kabelbetreiberwillkür anpasst und ihnen (also: meinen Eltern, nicht den Kabelbetreibern) eine neue Senderliste ausdruckt. Wenn meine Eltern eine Sendung verpassen, suchen sie in der Fernsehzeitung nach einem Wiederholungstermin, und falls ein interessanter Film nur nachts um 2 Uhr auf arte gezeigt werden sollte, verpasst man ihn eben (oder ruft mich an, um eine Aufnahme zu veranlassen — ja, ich bin der Videorecorder meiner Eltern).
Für die Elterngeneration ist das Fernsehen nicht tot! Es lebe 1.0!
Werbung ist im Fernsehen meiner Eltern zwar lästig, aber dann schaltet man eben während dieser Zeit um. Und außerdem gibt’s ja auch genug andere Dinge zu tun im Leben außerhalb der Glotze. Zugegeben: Wahrscheinlich ist das insgesamt ein angenehmeres Leben. Und wahrscheinlich sind meine Eltern auch nicht unbedingt Zielgruppe aktueller US-Serien. Und befragt man meine Eltern zur These, ob „das Fernsehen“ tot sei, würden sie es sicher verneinen.
In dem aber, was ich als Fernsehen bezeichne, lief die letzte Episode der vierten „Lost“-Staffel heute früh um ca. 6 Uhr. Dann nämlich, als der im Bittorrent-Client eingebaute Feedreader das netzseitige Vorhandensein einer entsprechenden 700 MB großen Datei bemerkt hat, wenige Minuten nach Austrahlung auf ABC (bzw. CTV, genaugenommen), diese automatisch heruntergeladen und mir zum Frühstück auf dem Desktop präsentiert hat.
Zwischen Leben und Tod
Wie auch die anderen Dinge, die mich interessieren, und auf die ich entsprechende Filter setzen kann. Das, was ich als Fernsehen bezeichne, ist ein Verzeichnis auf meiner externen Festplatte. In dem genau die Dinge zu finden sind, die mich interessieren. Die ich ansehen kann, wann ich will! Mit Zwischenstops, so oft ich will! Meist rund sechs bis zwölf Monate vor – beispielsweise – meinen Eltern, und vor allem im Originalton. Wenn man mich zur These befragt, ob „das Fernsehen“ tot sei, so würde ich mit einem klassischen „kommt drauf an“ zumindest noch unterscheiden zwischen den guten vorhandenen Inhalten und den technischen Möglichkeiten, die gerade verschlafen werden. Von dem, was meine Eltern … naja, und so weiter…
Das hippe Fernsehen der digitalen Generation…
Es mag durchaus sein, dass man sich da in einer rechtlichen Grauzone bewegt, aus der ich mich mit dem hoffentlich charmant klingenden Argument der Notwehr herausargumentieren möchte: Was bleibt einem denn anderes übrig? Die technischen Möglichkeiten sind da, sich das Leben angenehmer zu gestalten, und was können wir („wir“ benutze ich diplomatisch und euphemistisch für hip-sein-wollende junge Menschen mit Internetaffinität) dafür, wenn das, was meine Eltern „Fernsehen“ nennen, uns nicht dabei unterstützt? Wir haben den längeren Schwanz, und damit meine ich nicht das Totschlag-Argument, dass die Pornoindustrie noch jedes Medium vorangetrieben hat. Sondern eine gewisse Form von Basisdemokratie, die sich automatisch durch schnelle Netzanbindung, gute Videocodecs und kürzere Wege (manche nennen es „Globalisierung“) ergibt. Ohne jetzt irgendwas direkt wieder „zwonull“ nennen zu müssen.
… ist illegal … noch!
Das Fernsehen, inhaltlich, ist nämlich nicht tot. (Auch wenn Oliver Kalkofe stetig anderes behauptet, während er bei Panel-Shows mitmacht.) Es gibt unfassbar gute Serien, nicht nur aus den USA, und es existieren auch hierzulande beeindruckend hochwertige Produktionen wie der „Kriminaldauerdienst“ oder „Abschnitt 40“. Es gibt die Kulturmagazine von Alexander Kluge, Fernsehfilme und Reihen, selbst mainstreamige Bürogespräch-Events wie „Schlag den Raab“ sind ja auch irgendwie sehenswert bis unterhaltsam.
Ruhe sanft, schnarche leiser
Das Fernsehen, technisch, befindet sich aber zur Zeit in einem Tiefschlaf, der mit Tod verwechselt werden könnte, wenn es nicht bald mal aufwacht. Zugegebenermaßen müssen gute TV-Produktionen irgendwie finanziert werden, und aus /diesem/ Diskurs mogle ich mich gern mit dem Ausuferungspotenzial dieses Texts hinaus. Aber bei allem Respekt den Schlipsträgern gegenüber: dann sollen sich die Marketingabteilungen eben etwas anderes überlegen, in den USA scheint der Ansatz mit dem Verkauf von DVD-Boxsets und halbwegs dezentem Productplacement ja auch fruchtbar zu sein. Es gibt im Jahr 2008 nun mal keinen technisch haltbaren Grund mehr, sich nicht mehr aussuchen zu können, wann man sich wodurch für wie lange und wie oft unterhalten lässt. Das müsste das Fernsehen, also jenes meiner Eltern, nur endlich mal verinnerlichen und, wenn es nicht für tot erklärt werden möchte, bald mal aufwachen. Oder wenigstens leiser schnarchen…
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Schlagwörter: fernsehen, frank_lachmann, tv, wochenthema