Einige Leute fluchen liebend gerne und können gar nicht genug davon bekommen. Doch manchmal hört man Beschwerden, dass wir, wenn wir nicht vorsichtig sind, zu viele Flüche und Schimpfwörter benutzen und sie damit abnutzen, woraufhin wir uns neue Schimpfwörter ausdenken müssen – oder noch schlimmer: ganz mit dem Fluchen aufhören sollen.
Aber allen Besorgten sei gesagt: kein Grund zur Panik. Im Schnitt fluchen wir gar nicht so viel, weshalb sich die Zoten erst recht in unser Hirn einbrennen – auch wenn das erst einmal paradox erscheint.
Man denke nur einmal an die Sprachergüsse jedes einzelnen Tages: persönliche Gespräche, Tweets, Selbstgespräche, Telefon, Chat und E-Mail. All diese Ströme fließen in das große Reservoir der täglichen Sprache ein. Timothy Jay, Professor für Psychologie am Massachusetts College of Liberal Arts und anerkannter Experte auf dem Gebiet Fluchen, schätzt aufgrund von jahrzehntelanger Forschung, dass Flüche nur etwa 0,5 Prozent des täglichen verbalen Ausstoßes eines durchschnittlichen Sprechers ausmachen.
Diese Zurückhaltung ist kein Zufall. Die Meisten von uns haben genügend gesunden Menschenverstand, um Obszönitäten nicht durch den übermäßigen Gebrauch zu verderben. Wir müssen die große Aussagekraft von Kraftausdrücken bewahren, die so tiefgründig und vielfältig ist, dass ich mich dazu genötigt sah, ein Buch darüber zu schreiben. Es trägt den Titel „Lob an die Obszönitäten“. Darin zeige ich auf, dass Fluchen absolut zum Menschsein dazugehört, auch wenn Flüche es auch immer öfter in die mediale Berichterstattung schafft.
Überall wird geflucht
Warum können wir so schlecht einschätzen, wie viel wir wirklich fluchen? Wie können die Eindrücke, die wir von der Sprache um uns herum bekommen, so falsch sein? Wir bemerken Obszönitäten nur, weil wir sie so selten benutzen. Auch wenn sie bekannt sind, überraschen sie uns, also überschätzen wir ihre Rolle in der Sprache. Zusätzlich zur Häufigkeit benutzen wir Schimpfwörter oft in ungewöhnlicher Form – wie zum Beispiel als Einschiebung ‚abso-fucking-lutely‘ oder ‚garan-fucking-tee‘.
Oder wir benutzen Obszönitäten, um Aufmerksamkeit zu erregen, wie zum Beispiel in ‚Fuck me!‘ (Deutsch: „Scheiße“) oder ‚Go fuck yourself‘ (deutsch: „Fick dich“ oder „Hau ab“). Mache Satzbauten sind sogar extra für das Fluchen reserviert, besonders wenn sie auf eine bestimmte Art und Weise betont werden, wie zum Beispiel ‚What the hell?‘Dieser Satzbau ist so gebräuchlich, dass wir einfach sagen ‚What the …‘ (deutsch: „Was zum …“) und der Zuhörer kann die Lücken im Satz selbst ausfüllen. Obszönitäten drängen sich auf, wir können sie nicht ignorieren.
In den letzten sieben Jahrzenten – seit der Abschaffung von Gesetzen gegen Beleidigung in den 1930ern, über die antiautoritäre Bewegung in den 1960ern bis hin zum wachsenden Einfluss der Jugendkultur in den 1970ern – ist Fluchen immer normaler geworden. Wir hören und lesen Schimpfwörter in Situationen, in denen sich vorherige Generationen ihnen nicht ausgesetzt waren. In Filmen und im Fernsehen, in Zeitschriften, Büchern und dem unzensierten Internet sind wir Obszönitäten mehr und mehr ausgesetzt. Dieser Trend ist sogar in Romanen für junge Erwachsene sichtbar.
Obszönitäten sind heute für alle Altersklassen zugänglich – von dem Euphemismus ‚What the hay?‘ in „My Little Pony“ bis zum ungebremsten ‚motherfucking cocksuckers‘ bei den Sopranos. Aber wie Obszönitäten in den Medien die alltägliche Sprache beeinflussen, ist unklar. Wir können nicht vorhersehen, ob wir heute in unserer Alltagssprache mehr fluchen als noch vor fünfzig Jahren, weil es damals noch keine Forschung zu dem Thema gab. Wir können also unsere Schimpfworte nicht mit denen unserer Großeltern vergleichen – zumindest, was die Quantität angeht.
Fluchen ist menschlich
Jeden Tag sind sich die Menschen darüber im Klaren, dass Schimpfworte einen bestimmten Zweck verfolgen und das sie bei Überstrapazierung an Bedeutung verlieren. Einige benutzen die Flüche, um Intimität herzustellen, wie beispielsweise beim Dirty Talk, oder sie wollen eine gewisse Gruppensolidarität schaffen, wie zum Beispiel in Chaträumen oder Konferenzzimmern. In manchen Fällen soll eine bestimmte Markenzugehörigkeit symbolisiert werden (denken Sie an die Listen voller „Fuck Yeahs“ bei Tumblr, bei der so viele Seiten aufgelistet sind, dass es mittlerweile eine eigene „Fuck Yeah of Fuck Yeah“-Liste gibt.) Wir fühlen uns zu Menschen hingezogen, die bereit sind, mit uns ein Risiko einzugehen. Und wenn wir extrem frustriert sind und unsere Sprache an ihr Ende gelangt, um diese Frustration auszudrücken, schreien wir Schimpfworte heraus, weil die normale Sprache uns im Stich gelassen hat.
Schimpfworte haben ihre Daseinsberechtigung und wir brauchen sie. Einige Erkenntnisse aus der Hirnforschung weisen sogar darauf hin, dass Schimpfen den Stressabbau unterstützt – besonders wirksam soll das bei Schmerzen sein. Andere Forschungen belegen, dass es einen Bereich im Gehirn gibt, der nur für die Speicherung von Schimpfwörtern zuständig ist, woraus sich schließen lässt, dass Obszönitäten zum Menschsein dazugehören. Deshalb reservieren wir Kraftausdrücke instinktiv für besondere Gelegenheiten – sie sind wertvoll und wir können es uns nicht leisten, zu viel zu fluchen, weil die Worte dann ihre Schärfe verlieren würden.
Paradox ist auch, dass wir zwar Obszönitäten brauchen, um menschlich zu sein, wir aber weniger menschlich werden, wenn wir zu viel fluchen und dadurch eine einzigartige menschliche Fähigkeit verlieren.
Die meisten Schimpfwörter kommen vom gleichen Stamm
Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass wir Obszönitäten in naher Zukunft überstrapazieren. Und das sind gute Nachrichten, denn wenn wir die Schimpfwörter, die wir kennen, nicht mehr benutzen könnten, müssten wir uns neue ausdenken, um den umfangreichen und sozialen Bedürfnissen gerecht zu werden und die Lust auf das Fluchen zu befriedigen.
Das wäre gar nicht so einfach. Natürlich denken wir uns die ganze Zeit neue Wörter aus. Wir kreieren ganz spontan Slangwörter, die genauso schnell wieder vergehen. Würde man zum Beispiel alle englischen Slangwörter sammeln, die es gibt und jemals gegeben hat, würde daraus ein Lexikon werden, das viel größer ist, als das „Green´s Dictionary of Slang“ des englischen Lexikografen und Historikers Jonathon Green, das aus drei Bänden und 6000 Seiten besteht und kontinuierlich erweitert wird.
Obszönitäten werden im Gegensatz jedoch über ein sehr kleines Vokabular ausgedrückt. In dem Buch „The F-Word“ von Jesse Sheidlower, dem ehemaligen Redakteur des Oxford English Dictionary, werden zum Beispiel knapp 400 Einträge aufgeführt. Einige davon, wie ‚mindfucker‘ (Nomen), ‚mindfuck‘ (Verb) und ‚mindfucking‘ (Adjektiv) sind aber sehr eng miteinander verwandt, sodass das Standard-F-Word-Lexikon eigentlich noch dünner ist.
Wir denken uns nur sehr selten neue Schimpfwörter aus. Einige der Neuerungen sind ‚fuckwad‘ aus dem jahr 1974, ‚WTF‘ von 1985, ‚fucknut‘ aus dem Jahr 1986 und ‚fucktard‘ von 1994, aber ihre Ausdruckskraft beruht hauptsächlich auf der soliden obszönen Basis. Die Zusätze ‚–nut‘ und ‚–ard‘ reichern das Wort ‚fuck‘ zwar mit anderen Bedeutungsnuancen, Untertönen und Kontexten an, aber solche neumodischen Schimpfwörter sind nie weit von den ursprünglichen Zoten entfernt.
Wenn wir Slang benutzen, schaffen wir neue Wörter, aber Obszönitäten sind in dieser Hinsicht fast das Gegenteil von Slang. Wir gebrauchen sie kreativ, jedoch innerhalb klarer Richtlinien. Wir alle müssen Kraftausdrücke als solche erkennen können, wohingegen wir beim Slang oft lexikalische Grenzen zwischen den Eingeweihten und den Außenstehenden ziehen. Obszönitäten müssen für alle erkennbar sein. Wenn wir es einmal schaffen, Schimpfwörter in einem Kontext kreativ zu verwenden, entkommen wir der Anziehungskraft der Geschichte und der Konventionen. Es ist Kreativität entgegen der Wahrscheinlichkeit.
Wir bauen seit Jahrhunderten auf demselben Kern von Obszönitäten auf. Das Wort ‚Fuck‘ hielt im späten 15. Jahrhundert in die englische Sprache Einzug, ’shit‘ wurde schon im alten Englisch als persönliche Beleidigung verwendet („You shitt!“). Das Wort ist etwa zur selben Zeit entstanden wie das F-Wort, wurde aber erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts als Ausruf verwendet („Oh, shit!“).
‚Bitch‘ tritt schon seit 1400 in Erscheinung, der Ausdruck „son of a bitch“ wird aber erst seit etwa 1700 verwendet.
Dieses kleine Repertoire an historischen Obszönitäten funktionierte gut, und es wäre eine Schande, wenn Schimpfworte ihre Ausdruckskraft verlieren würden. Wir können schließlich nicht einfach ein Komitee bilden, das neue Schimpfwörter designen, verteilen und regulieren soll, denn so funktioniert Sprache nicht – zumindest nicht in Amerika. Sicher, einige Leute fluchen zu viel, aber im Großen und Ganzen können wir uns auf die Intuition der meisten Sprecher verlassen, nur dann zu fluchen, wenn es wichtig ist. So kommt es, dass wir nur 0,5 Prozent der Zeit echte Kraftausdrücke verwenden. Wenn wir bei dieser Anzahl bleiben, können wir die Gefahr, dass wir auf Obszönitäten verzichten müssten, gerade noch verhindern.
Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Image (adapted) „Swear Words“ by Jonathan Rolande (CC BY 2.0)
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