Übertrieben oder notwendig? Frankreich will E-Mails nach Feierabend abschaffen.

Wie oft verbringen sie Ihren Tag damit, von einem Meeting ins nächste zu hetzen, nur um sich danach am Abend hinzusetzen um das überlaufende E-Mail-Postfach in Angriff zu nehmen? Nun ja, Sie werden sich jetzt vielleicht wünschen, in Frankreich zu arbeiten – denn dort hat die Regierung jetzt ein Gesetzt vorgestellt, welches E-Mails nach Dienstschluss ein Ende setzten soll. Die vorgelegte Arbeitsreform soll ein „Recht auf Abschalten“ einführen. Falls dies genehmigt wird, bedeutet das, dass es für Firmen erforderlich wird Standards einzusetzen, die festlegen, wann Angestellte nicht verpflichtet sind, auf E-Mails zu antworten. Natürlich ist die Erwartungshaltung, dass wir auf E-Mails auch nach Dienstschluss antworten, kein wirklich neues Problem. Wir wissen, dass der ständige Draht zur Arbeit negative Konsequenzen wie Stress und Angstattacken haben kann und dass die Arbeit in die Freizeit hineinreicht. Als Resultat dessen haben viele Firmen begonnen, die Forderung nach ganztägiger Erreichbarkeit zu überdenken. Volkswagen zum Beispiel machte damit Schlagzeilen, dass ihre Server ausgeschaltet werden, die den Angestellten Mails außerhalb der Arbeitszeiten schicken. So will man Stress und Burnout vorbeugen. Daimler hat eine automatische Lösch-Strategie für E-Mails,die eingehen, während die Mitarbeiter im Urlaub sind. Was Arbeitgeber allerdings noch mehr beunruhigt, ist der Einfluss der ständigen Erreichbarkeit der Angestellten auf ihre Produktivität, Kreativität und Fähigkeit, sich zu konzentrieren. Wussten sie zum Beispiel, dass die reine Anwesenheit eines Telefons in Ihrer Nähe Sie ablenken kann? Das ist der Fall, weil das Telefon unendliche Möglichkeiten der Kommunikation darstellt. Und es gibt noch mehr – tendieren Sie dazu, Ihre E-Mails abends auf ihrem Telefon oder Tablet zu checken, sollten Sie sich in Acht nehmen: Recherchen zeigen, dass dieses Verhalten sich am Folgetag rächt. Das Smartphone sorgt für einen unruhigen Schlaf und man beginnt den nächsten Arbeitstag bereits weniger erholt. All das hat das Streben nach Abstand von Technik befeuert, der sich in dem wachsenden Trend des sogenannten Digital Detox manifestiert. Die Blogosphäre ist übervoll mit Menschen, die die Vorteile eines digitalen Urlaubs anpreisen. Ein anderer, etwas ironischer Trend ist die Verwendung von Produktivitäts-Apps wie der Freedom-App, um Leuten beim Abschalten und Fokussieren zu helfen. Camp Grounded bringt den digitalen Detox noch etwas weiter: ein Sommercamp für Erwachsene, das die Teilnehmer dazu anregen soll, ihre Technik am Eingang azugeben und die ständige Erreichbarkeit gegen Aktivitäten an der frischen Luft zu tauschen. Hört sich das dramatisch und ein bisschen New-Age mäßig an? Vielleicht. Aber die Vorteile sind klar: Für ein paar Tage den Abstand von Technik zu üben zugunsten eines Eintauchens in die Natur kann dabei helfen, die eigene Leistung bei Tätigkeiten, die Kreativität und Problemlösungsfähigkeiten erfordern, zu steigern. Dies sind Fähigkeiten, die essentiell wichtig in einer Wissenswirtschaft sind.

Kann Technologie kontrolliert werden?

Trotz allem ist ein digitaler Detox nur für Menschen in sicheren Positionen realistisch, die keine Angst haben müssen, ihren Job zu verlieren. Die Möglichkeit, ein „Recht auf Abschalten“ außerhalb der Arbeitszeit geltend zu machen, ist vielleicht in Theorie einfacher als in der Umsetzung. Viele Leute haben kein festes Arbeitsmuster und ihre Arbeitsvorlieben sind unterschiedlich. Für einige ist es tatsächlich bequemer, wenn sie ihre E-Mails spät am Abend verschicken. Diese Probleme unterscheiden sich auch abhängig vom Sektor einer Firma sowie darin, wo sich ihre Kunden und Mitstreiter befinden. Ein von der Regierung vorgeschriebenes umfassendes Verbot kommt für diese Arbeitsabläufe nicht in Frage. Es wirft auch größere Fragen über Privatsphäre und die Autonomie der digitalen Kontakte der Angestellten auf, wie sie sich am liebsten organisieren. Wie sollen beispeilsweise Arbeitgeber mit denjenigen Mitarbeitern umgehen, die weiterhin E-Mails nach Dienstschluss verschicken? Wird es Sanktionen geben? Wer wird sie überwachen – und ist es überhaupt in Ordnung, das zu tun? Schliesslich ist die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts nicht auf dem selben Stand wie die Regulationen der Regierung. Das vorgeschlagene Gesetz würde 2018 in Kraft treten. Sind E-Mails zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch interessant? Neue Systeme, Social Media-Unternehmen und Apps wie Slack, die auch immer mehr in die Unternehmen Einzug halten, verändern bereits die Art, auf welche Menschen arbeitstechnisch miteinander kommunizieren. Es ist unwahrscheinlich, dass das Gesetz flexibel genug sein wird, um mit diesen neuen Entwicklungen mitzuhalten. Gibt es also Vorzüge in dem französischen Vorschlag? Ja, falls die neue Regulation Angestellten die Macht gibt, ihr Maß an Erreichbarkeit selbst zu kontrollieren. Ja, wenn sie die Anforderungen an Angestellte, ständig erreichbar zu sein, ohne erkennbaren Grund reduziert. Und schließlich: ja, wenn das Vorhaben dazu führt, dass wir uns über unterschiedliche Arbeistweisen unterhalten. Momentan gibt es keinen Vorschlag für Sanktionen, falls das „Recht auf Abschalten“ missachtet wird. Die Firmen willigen auf freiwilliger Basis ein. Der echte Wert dieser Reform liegt daher nicht in ihrer Fähigkeit, eine mögliche ständige Erreichbarkeit zu regulieren, sondern darin, das Gespräch zwischen Arbeitgeber und Angestellten darüber, wie ihre Kultur der Erreichbarkeit aussehen sollte, anzuregen. Wenn die Reform zu solchen Bewegungen führt, könnte sie ein nützliches Vorbild für andere Länder sein. Wenn sie jedoch die Fähigkeit französischer Unternehmen als Konkurrenten einschränkt und sich nicht positiv darauf auswirkt, dass das Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit gewahrt bleiben muss, sollten andere Länder dem Beispiel nicht folgen. Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation“ unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image (adapted) „It was nice to have a bed after three weeks of camping. Real nice.“ by Jared Tarbell (CC BY 2.0)


ist Bereichsleiterin und Dozentin des Personal Managements und Organisationsverhaltens an der Lord Ashcroft International Business School. In ihren Forschungen hat sie sich auf die Balance zwischen Leben und Arbeit spezialisiert.


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