Anfang des Jahres gab es neben der Einführung eines Corona-Impfstoffes eine weitere Sensation zu entdecken. Dafür musste man nur Elon Musk auf Twitter folgen oder sich auf der Forumplattform Reddit herumtreiben, besonders im Subreddit wallstreetbets. Oder auch nur generell im Internet unterwegs sein. Denn ein Aufschrei ging durch alle sozialen Netzwerke. Und diesmal ging es weder um Bitcoins, noch um Uploadfilter. Nein, diesmal war die Wallstreet im Fokus der Nutzer*Innen. Und andersherum genauso. Denn an der Börse passierte etwas, was man sonst nur aus Filmen kennt oder gut verpackt in überdramatisierte Geschichten aus religiösen Standardwerken.
Die kleinen Fische der Börse schlugen gegen die großen Haie mit ihren eigenen Mitteln zurück, ließen die Aktie der Einzelhandelskette Gamestop über Nacht in ungeahnte Höhen schießen. „David gegen Goliath“ war da als Schlagzeile zu hören. Oder war es doch die „französische Revolution des Finanzmarktes“? Was war passiert? Um in diese Geschichte und all seine Details abzutauchen, ist etwas Vorarbeit notwendig. Für viele sind Finanzgeschäfte nämlich ungefähr so interessant wie…Nun ja, Finanzgeschäfte eben. Und dementsprechend groß ist das Wissen über die Vorgänge dort. Doch wir haben uns in die dunkelsten Ecken der Wallstreet gewagt, um euch diese Story vorzustellen – denn sie ist einen zweiten Blick mehr als wert!
Dabei halten wir die Erklärungen so detailliert und gleichzeitig überschaubar wie nur möglich. Wir stellen euch die Protagonisten vor, erklären das Vorgehen der Hedgefonds und wie wallstreetbets die Situation umdrehte. Anschließend schauen wir aber auch auf die heutige Situation der Gamestop-Aktie und wer die Gewinner und Verlierer des Börsenkampfes waren. Ganz nebenbei spielt übrigens auch Elon Musk eine Rolle – aber dazu später mehr.
Die Ereignisse rund um Gamestop, wallstreetbets und der Börse in Kurzform
Ein einziges Onlineforum auf Reddit Namens wallstreetbets hatte sich mit einigen Hedgefonds-Investoren der USA angelegt. Streitpunkt war die Firma Gamestop (GME). Deren Kurse waren jahrelang schwindend und ein Ausscheiden aus der Börse absehbar. Bis Reddit auf den Plan trat und die User*Innen begannen, sich auf ein Ziel festzulegen: Zum Angriff gegen die Hedgefonds zu blasen und gleichzeitig Gamestop zu retten. Innerhalb von zwei Monaten konnte Gamestop vor dem Ruin bewahrt werden. Alles dank des Zusammenschlusses von Nerds, Glücksspieler*Innen und Meme-Liebhaber*Innen (sowie dem ein oder anderen millionenschweren Investor). Dies geschah im Januar 2021 und in einer Woche passierte an der Börse so viel wie sonst in Monaten nicht. Der Aktien-Krimi endete mit gleich zwei Anhörungen im US-Kongress und Milliardenverlusten für viele der beteiligten Hedgefonds. Es war von Marktmanipulation die Rede, das Geschäftsmodell des „short-sellings“ wurde überdacht und eine neue Form der Aktie entstand, der „Meme“-Stock. Der nächste Abschnitt behandelt die Hauptprotagonisten.
Große Haie, kleine Fische
Die Hedgefonds:
Ein Hedgefonds handelt mit enormen Investmentbeträgen und wird von Großanlegern und Institutionen genutzt. Hedgefonds-Manager beobachten den Markt und suchen geeignete Firmen für Investitionen. Sie handeln dabei nie mit eigenen Aktien, sondern leihen sich Anteile von Investoren. Diese Anteile setzen sie ein, um bei einem Unternehmen auf steigende oder fallende Aktienkurse zu setzen. Dies ist mit hohen Risiken verbunden, da niemand mit Sicherheit solche Prognosen treffen kann. Entweder kaufen sie Aktien, die sie als zukünftig erfolgreich ansehen, oder verkaufen Aktien, die sie als unrentabel ansehen. In dieser Geschichte sind die Gegenspieler zu den wallstreetbets-Mitglieder*Innen die Hedgefonds Melvin Capital, Citadel LLC. und Point72 Asset.
Robinhood:
Eine Brokerage-Plattform, die 2013 in Kalifornien gegründet wurde. Über die App und zugehörige Website können Mitglieder*Innen Aktien kaufen, in Anlageoptionen investieren, EFT’s kaufen und mit Crypto handeln. Sie wird als Neo-Broker bezeichnet, da sie nicht selbst die Geschäfte vornimmt, sondern die Transaktionen an andere Broker und Handelsplätze weiterleitet gegen Provision. Dies wird „Payment-for-order-Flow“ genannt. Schon in der Vergangenheit fiel Robinhood durch nicht ausreichende Aufklärung zum Aktienhandel und den verbundenen Risiken auf. 2020 hatte das Unternehmen 13 Millionen Nutzer, viele davon Tageshändler*Innen aus dem Sub-Reddit wallstreetbets.
Gamestop Corp.:
Die Firma geht auf ein Software-Unternehmen zweier Harvard-Studenten aus dem Jahre 1984 zurück. Seitdem setzt es vermehrt auf den Verkauf von Konsolenspielen in Einzelhandelsläden. Seit Februar 2002 ist es an der Wallstreet gelistet und hat über 7500 lokale Niederlassungen in Nordamerika, Europa und Australien. Gamestop vertreibt vor allem gebrauchte Videospiele und Zeitschriften über Gaming- und Popkultur-Themen. Seit Jahren schon ist das Unternehmen finanziell in Schwierigkeiten, besonders durch das verstärkte Kaufen der Konsument*Innen von Konsolenspielen über Online-Händler und Downloadplattformen.
Wallstreetbets/ Reddit:
Wallstreetbets ist ein sogenanntes ‚Sub-Reddit‘ auf der Forumsplattform Reddit, also ein Nebenforum nur für Hobbyspekulanten. Hier tauschten sich bis Anfang 2021 1,5 Millionen Menschen über mögliche Anlage-Optionen aus. Durch den Gamestop-Vorfall sind die Mitgliedszahlen durch die Decke geschossen. Heute zählt es 10,7 Millionen Mitglieder und ist damit auf Platz 52 der meistgefolgten Sub-Reddits. Um das in Perspektive zu rücken: Reddit hat täglich 52 Millionen Nutzer und über 400 Millionen Nutzer im Monat weltweit. Auf dieser Plattform können Menschen Posts erstellen, Bilder/Videos/Inhalte teilen und gegenseitig kommentieren.
Die Hintergründe
Um die Bedeutung vor Augen zu führen und wieso es aus den üblichen Wallstreetvorgängen herausfällt, hilft ein kleiner Vergleich des Kurses von GME. Durchschnittlich 5 Dollar betrug der Aktienpreis von GME in den letzten zwei Jahren konstant. Der kurzeitige Höchststand von Januar diesen Jahres lag bei 347,5$. Sehr ungewöhnlich für eigentlich unrentable Geschäftsmodelle. Und das besondere: der Anstieg kam in großen Teilen innerhalb einer Woche.
Wagen wir einen kurzen Rückblick auf die letzten Jahre des Unternehmens an der Börse. Seit Beginn 2019 war GME dort recht unbeliebt. Das Geschäftsmodell war nur auf Retail-Versionen von Spielen ausgelegt und damit in einer zunehmend digitalen Gameswelt mit Downloads und Co. nicht mehr als zukunftsfähig angesehen. Daher entschieden einige Hedgefonds, den Aktienkurs gezielt fallen zu lassen. Und diese Strategie ging auf. In Der zweiten Jahreshälfte 2020 war GME am Boden. Gerade einmal 2,8 Dollar war ein Anteil Ende März wert. Bis Ende August konnte GME mit Müh und Not knapp 5 Dollar erreichen.
„Shorten“ lässt Kurse gezielt fallen
Die Praxis des gezielten Herabsetzens von Aktien und das Setzen auf fallende Kurse heißt „shorten“. Dies bedeutet, eine Person leiht sich Aktien von Firma X (Leihgebühren werden momentan außenvorgelassen). Die Aktie ist zur Einstiegszeit 5$ wert. Nun verkauft man diese Aktie sofort für 5$. Dadurch hat man 5$ verdient, muss aber immer noch eine geliehene Aktie ausgleichen. Da man auf das Fallen der Aktie setzt, ist das Ziel, den Preis so niedrig wie möglich zu bekommen, um umso größere Gewinne zu erzielen. Falls dies glückt und der Kurs tatsächlich fällt, so ist der Wert nun bei, sagen wir 2$. Nun kauft man für 2$ so viele Anteile, wie man sich geliehen hatte und gibt diese zurück. Damit hat man 3$ pro Anteil dazuverdient. Dieses „short-selling“ ist eine recht riskante Praxis, aber durchaus gängig.
Zurück zu GME. Das shorten lief lange Zeit gut. So gut, dass mehr Aktien für niedrige Preise verkauft wurden als das Unternehmen besaß. Dadurch wurden diese ungedeckt leerverkauft, was ein erhöhtes Verlustrisiko mit sich bringt. Doch das war den Hedgefonds egal, GME schien erledigt. Bis der Investor Ryan Cohen dann im September in die Firma einstieg und gemeinsam mit seiner eigenen Investmentfirma GME wieder auf Kurs lenken wollte. Ein leichter Aufwind setzte ein. Noch ein weiterer Hedgefonds kam hinzu, er setzte sogar mit 5% Unternehmensbeteiligung auf steigende Kurse bei Gamestop. Diese Großinvestments blieben auf wallstreetbets nicht unbemerkt. Nach und nach machten dort einige prominente Mitglieder und Trader Aufrufe, GME zu kaufen und nicht direkt zu verkaufen. Und die User*Innen hörten zu.
Wallstreetbets: Ein Rückzugsort für junge Anleger
Nun sollte gesagt sein, dass die User*Innen dieser Foren größtenteils einer jüngeren Generation enstammen als übliche Wallstreetfiguren. Wenige sind über 50 oder gar 40, das spiegelt sich auch in der Kultur des Forums wider. Dort werden fast ausschließlich Memes geteilt, was eher für die Generation Millenials und darunter spricht (besonders, da die Memes sogar witzig sind). Und für die ist Gamestop eine Firma mit Kindheitsbezug. Nerds treiben sich dort herum, deren Kindheit seit den 90ern mit dieser Firma verknüpft ist. Nun sind sie Live dabei, wie enorme Kapitalinteressen Gamestop für ihren eigenen Profit in den Ruin treiben wollen.
Und gleichzeitig beweisen andere Großanleger, dass noch Hoffnung besteht. Also warum nicht die Chance nutzen, diesen Hedgefonds einen Denkzettel zu verpassen, parallel eigene Gewinne einzufahren und nebenbei die Firma aus Kindheitstagen retten? So sahen das viele der 1,5 Millionen Mitglieder*Innen und begannen ab Dezember koordiniert einzukaufen. Damit war der Weg zum großen „Squeeze“ geebnet.
„short-squeeze“ als Gegenangriff von wallstreetbets
Noch mehr Finanzjargon. „Squeeze“ leitet sich von „ausquetschen“, bzw „drücken“ ab und genau darum geht es auch in der Anwendung. Ein „short-squeeze“ wettert nämlich gegen diejenigen, die „short-selling“ betreiben. „Short-seller“ gehen das Risiko ein, dass die Kurse entgegen ihrer Prognose steigen, wodurch sie sich angreifbar machen. Ein „Squeeze“ setzt dann ein, wenn die Konkurrenz dies bemerkt und aktiv die Kurse zum Steigen bringt, mittels übermäßigen Kaufs der Aktie. Zum einen machen die „squeezer“ selbst dadurch Gewinn, da sie die Praxis umkehren. Zum anderen führt ein erfolgreicher „squeeze“ zu hohen Verlusten bei „short-sellern“. Denn diese müssen ja irgendwann Aktien kaufen, um ihre Leihschuld zu tilgen. Und da diese Aktien nun enorm teuer sind, sie aber aus Verlustminimierungsgründen gar keine andere Wahl als zu kaufen haben, steigt der Kurs wiederum immer weiter. Gut für die „squeezer“, schlecht für die „seller“. Keine nette Praxis, aber eine legitime Methode des Marktes.
Fassen wir bis hierhin zusammen. Große Kapitalinteressen setzten mittels „short-selling“ in den letzten Jahren auf einen Einbruch der GME-Aktie und waren damit lange Zeit erfolgreich. Bis andere Hedgefonds, Investoren und besonders Privatanleger aus dem wallstreetbets-Forum die Taktik durchschauten und zu einem „short-squeeze“ ansetzten. Damit wollten sie sich bereichern und gleichzeitig die Hedgefonds hart treffen. Soweit, so unspektakulär. Nun beginnt der Flug des Ikarus Richtung Sonne, und die Wachsflügel halten länger als gedacht.
wallstreetbets versetzt die Börse in Aufruhr – und dann kam auch noch Elon
Denn im Januar 2021 schließen sich immer mehr Privatanleger dem „squeeze“ an. Dadurch kommt es zu rasanten Anstiegen in kürzester Zeit. Zwar gab es schon im Dezember einen Aufwärtstrend, doch erst im nächsten Monat fruchtete die Taktik. Steht die Aktie Anfang Januar noch bei 17 $, so wächst sie in zwei Wochen auf 65$ am 22.01. Damit erreicht GME einen neuen Höchststand seit der Börsennotierung 2002 und dem bisherigen Hoch von 60$ im Dezember 2007 – Wohlgemerkt vor 14 Jahren. Doch das Ende ist noch lange nicht in Sicht.
Zu Beginn der nächsten Woche am 25.01. hat die Erfolgswelle auch bei außenstehenden Beobachtern die Runde gemacht. Nun berichten die Medien darüber und die Aufmerksamkeit steigt in Sphären außerhalb des Finanzmarktes. Zum Beispiel auf Twitter. Dort teilt ein notorischer Twitterer, der ganz nebenbei als CEO von Tesla bekannt ist, Elon Musk einen Link zu wallstreetbets. Ihm folgen knapp 60 Millionen Menschen weltweit und er ist ein Garant für Publicity. Ein Wort reichte aus, damit der Hype um GME endgültig explodierte. Am Tag nach diesem Tweet schießt die Aktie auf unglaubliche 150$ und verdoppelt sich somit in nur 24 Stunden. Eine Sensation. Mittlerweile scheint GME der neue Bitcoin, so rasant wie sich die Höchstwerte gegenseitig übertreffen, nach Jahren des Schwächelns.
(Gamestonk referiert auf Gamestop und Stonk, was als Meme allgemein schlechte Finanz-Entscheidungen mit übermäßigen Selbstvertrauen vereint)
Der Tweet erfolgt am 26. Januar. Am 27. Januar explodiert GME in astronomische Höhen. Sage und Schreibe 483$ ist der höchste Stand, den die Aktie an diesem Tag erreicht. Die Börse wird an diesem Tag mit einem immer noch überragenden Kurs von 347,5$ für GME geschlossen. Damit erfährt das Unternehmen einen Kursanstieg von 2000% im Vergleich zum Jahresbeginn und einen Vortagesanstieg von 300%. Normale Voraussage-Tools an der Börse greifen hier nicht mehr, es handelt sich um ein komplett neues Phänomen für Broker und Trader.
Melvin Capital verliert Milliarden
Neben all diesem Aufruhr könnte glatt unter gehen, was die größte Konsequenz an diesem Tag ist. Denn wie wir gelernt haben, wenn eine geshortete Aktie wieder stark ansteigt, dann muss sofort verkauft werden. Andernfalls droht der finanzielle Supergau. Und genau den erlebte der Hedgefonds, welcher am stärksten „short“-Aktien bei GME auslieh und verkaufte. Melvin Capital startete das Jahr mit 12,5 Millionen Anteilen im gesamten Aktienmarkt. Ende Januar waren davon nur noch 8 Millionen übrig. Somit musste der Fonds in kürzester Zeit über 4 Millionen Anteile wohl nur an GME-short-Aktien veräußert haben. Am 28. Januar beendete Melvin jegliche Beteilung an GME und musste von den ‚befreundeten‘ Hedgefonds Citadel LLC. und Point72 Assets mit 2,75 Milliarden! Dollar notfinanziert werden. Bei diesem Hedgefonds ging der ’squeeze‘ voll und ganz auf.
Nun kommt der 28. Januar. Eine Art Doomsday für die Millionen von Privatanlegern. Die Brokerage-App und Webanwendung Robinhood beginnt ab hier, gemeinsam mit anderen Brokerage-Services, den Aktienhandel einzuschränken. Neben GME betrifft dies auch 13 andere sogenannte Meme-Stocks, also Aktien, die einen ähnlich volatilen Kurs wie GME haben und von vielen Privatanlegern in dieser Woche ebenfalls unterstützt wurden. Darunter sind u.a. die Kinokette AMC und die Telekommunikationsfirmen Nokia und Blackberry. Ab diesem Zeitpunkt ist es für Anleger nicht mehr möglich, GME zu kaufen. Trotzdem ist das Verkaufen weiterhin erlaubt. Die Einschränkungen kommen genau in dem Moment, als GME alle Rekorde bricht und sich zu einer enormen Wertanlage entwickelt. Dementsprechend groß ist die Empörung.
Robinhood schränkt den freien Handel ein
Problematisch ist vor allem der Zeitpunkt. Die Sperre erfolgte an einem Donnerstag und selbst am Freitag war es nur unter gewissen Auflagen wieder möglich, zu kaufen. Gerade einmal eine Aktie pro Kunde. Da mit dem Wochenende auch die Börse schließt, kommt es zu einem Domino-Effekt. Donnerstags wird der Handel eingeschränkt und dies führt zu Panik bei den Leuten. Panik, Wut und Empörung sollte man wohl besser sagen. In einem Moment, wo die Aktie extrem wächst, so den Wind aus den Segeln zu nehmen, muss besonders gut begründet sein. Immerhin stehen Geld und Existenzen auf dem Spiel. Die Börse ist ein gefährliches Unterfangen und leichteste Abweichungen vom Regelbetrieb können gewaltige Folgen haben.
Explizit diese Abweichung löste eine gigantische Verkaufswelle aus, die Anleger waren verunsichert. Auch auf wallstreetbets war die Aufregung groß und es wurde dort angehalten, doch auch weiterhin nicht zu verkaufen. Aber diese Wette ging diesmal nicht auf. Am Ende des 28. Januars hatte GME fast 50% seiner vortägigen Kurserfolge wieder verloren. Trotz eines Aufschwungs am 29. – wohl der wieder freigeschalteten Kauf-Option geschuldet – war es die nächste Woche, die GME wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Erst 225$, dann 90$, und schließlich 40$ am 19.02., gerade einmal drei Wochen später. Ganz nach dem Wallstreetmotto: Fressen oder gefressen werden.
Markt zu wild und Geld zu wenig
Zwischen der Schließung der Anbieter und dem Fallen der Aktie lässt sich ein eindeutiger Zusammenhang erkennen. Es wird umso interessanter, wenn man sich mögliche Gründe für das Aussetzen ansieht. Laut Robinhood kam die Sperre, da sie durch die deutlich erhöhten Transaktionsraten die Gebühren dafür nicht mehr zahlen konnten. Um nicht Pleite zu gehen, haben sie den Handel eingeschränkt und dann an einer Lösung gearbeitet. Diese kam schon einen Tag später und auch die anderen Brokerage-Dienste waren wieder mit dabei. Anfangs hieß es aber noch als Begründung, der Markt wäre zu volatil und um zu starke Schwankungen zu vermeiden, wäre eine Beschränkung unvermeidbar. Merkwürdig, da das Unternehmen doch als Slogan die „Demokratisierung des Finanzmarktes“ hochhält, ihren Anlegern aber dann die eigene Mündigkeit lieber im Voraus entzieht.
Und man darf durchaus kritische Töne anbringen, denn Robinhood ist nicht ganz uneigennützig in dieser Angelegenheit vorgegangen. Die Basis ihrer Einnahmen kommen durch Aktientransfers auf der Plattform. Von dort aus werden die Aufträge weitergeleitet an Broker und andere Handelsplattformen. Dafür bekommt Robinhood eine Provision von diesen Diensten pro Handel. Das Problem an der Sache: Einer der stärksten Kunden der Seite ist der Hedgefonds Citadel LLC., der wohl 40% von Robinhoods Umsatz erzeugt. Wer sich erinnert, Citadel LLC. musste durch das extreme „short-selling“ von Partnerfonds Melvin Capital zwei Milliarden Dollar in dessen Rettung investieren. Sonst wäre der Partner Bankrott gegangen. Ob hier Kapitalinteressen vor der Freiheit des Marktes stehen? Ein Schelm ist, wer Böses dabei denkt.
Was für Konsequenzen folgten?
Dass diese Vorwürfe nicht weit hergeholt sind, beweist die Welle der darauffolgenden Empörung aus allen Kreisen der Gesellschaft. Besonders das Internet wittert eine Verschwörung gegen die kleinen Anleger und ihren erfolgreichen Kampf gegen die Hedgefonds. Im Zuge der Schließung der GME-Kaufoption kam es im ganzen Land zu Sammelklagen gegen Robinhood, Tausende schlossen sich ihnen an. Mehrere Offizielle aus Landesbehörden und -regierungen erhoben Vorwürfe der Manipulation und Korruption. Der US-Kongress tritt auf den Plan und die Finanzaufsicht bestellt die CEO’s aller beteiligten Firmen ein. Anhörungen im Februar und März sollen Klarheit bringen. Hier beteuern Citadel und Robinhood, keinerlei Absprachen getroffen zu haben. Trotzdem wird deren Businessmodell kritisiert, nicht auf smarte Investments ausgelegt zu sein, sondern allein auf das Handeln als Form des Profits für sich selbst abzuzielen. Bis heute ist noch kein abschließender Bericht der Kongress-Anhörungen bekannt.
Gewinner der ‚Revolution‘: Die Revolution
Was aber bekannt ist, sind die Folgen für GME. Zwar wollen Investoren und Businessinsider den „short-squeeze“ als unreif, kurzsichtig und manipulativ abstempeln, doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Gamestop ist heute besser denn je zuvor an der Börse aufgestellt. Anfang August 2021 lag die Aktie bei 160 Dollar, was jeden Kurs der vergangenen 19 Jahre Börsenaktivität um Längen übertrifft. GME ist also eindeutiger Gewinner der ganzen Aufregung, obwohl es letztes Jahr mit 3 Dollar pro Aktie kurz vor dem Ruin stand.
Für den Markt hat sich zudem eine neue Art des Investors offenbart und damit einhergehend sind die sogenannten „Meme“-Stocks auf den Plan getreten. Wenn eine Aktie einen ähnlichen Rausch des Auf- und Abs erlebt und dabei von Kleinanlegern im Netz unterstützt wird, so fällt sie in diese Kategorie. Besonders dann, wenn sie von erfahreneren Anlegern als überbewertet gesehen wird. Auch die „Angst, etwas zu verpassen“ (kurz FOMO) etabliert sich als Charakteristikum für junge und ungestüme Anleger.
Verlierer ist eindeutig der Hedgefonds Melvin Capital. Für ihn endete der Januar mit einem Verlust von ganzen vier Milliarden in Aktien. Laut Hochrechnungen soll der „short-squeeze“ für alle beteiligten ‚short-seller‘ insgesamt 19 Milliarden gekostet haben. Und der Hedgefonds hat seine Verluste durch den weiterhin starken Kurs von GME bis heute nicht aufholen können.
Die Lehre: Allianzen des Volkswillen können alles bewegen
Was war der ganze Vorfall denn nun abschließend? War es der börsenspezifische Kampf „David gegen Goliath“, wie viele titelten? Oder gezielte Marktmanipulation seitens Robinhood und Konsorten? Oder doch einfach „räuberisches Handeln“ durch Privatanleger, wie die Universität Paderborn es betitelt? Es ist nicht einfach zu beantworten. Jede Seite hatte seine Gründe für ihr Vorgehen und die wenigsten dachten dabei in erster Linie an das Wohl der Allgemeinheit, weder Robinhood, noch die Hedgefonds, und auch nicht wallstreetbets. Ihnen ging es größtenteils um die eigene Bereicherung bei gleichzeitiger Missachtung von anderen Beteiligten. Dass dabei die Hauptleidenden Großinvestoren und die Wallstreet waren macht es leichter zu akzeptieren. Aber auch Kleininvestoren werden ihr Fett abgekommen haben.
Es bleibt die -nicht zu verachtende- Erkenntnis, dass die Macht des Volkes nicht zu unterschätzen ist und sich die Alteingesessenen nicht zu sicher fühlen sollten. Vor allem dann nicht, wenn sie sich an den geliebten Kindheitserinnerungen von Internet-User*Innen vergreifen.
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Image by Игорь Головнёв via Adobe Stock
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