Der aktuell wieder aufkeimende Hype um Gamification belegt ganz gut, wie man Menschen spielerisch motiviert und wie diese, sich bildende Energie, gleichzeitig in die falsche Richtung gelenkt werden kann.
Gamification vermischt spieltypische Belohnungssysteme mit alltäglichen To Dos, die uns anhand von zu knackenden Highscores, Erfahrungspunkten oder stetig weiterentwickelten Fortschrittsbalken am Ehrgeiz packen und bei Laune halten sollen. Durch Gamification versuchen wir immer besser zu sein als alle anderen. Zum Teil bei ganz lapidaren Anwendungen und Handgriffen. So kommt es vor das Personen Artikel auf eBay verkaufen, nur um einen weiteren goldenen Stern auf dem Benutzerkonto blinken zu lassen oder das wir wie beim Beispiel foursquare besonders oft in bestimmte Lokalitäten einchecken, um uns mit dem Status „Conny’s Bar Bürgermeister“ ansprechen zu lassen. Sogar manche Steuererklärungssoftwares sind mit sogenannten Fortschrittsbalken ausgestattet, die uns am Ende mit abstrusen Punkte-Systemen suggerieren wollen, dass wir dieses Jahr besonders schnell dem Fiskus unsere Daten übermittelt haben.
Gamification macht banale und alltägliche Dinge zum Wettbewerb und oftmals verführt der Umgang mit diesen Anwendungen uns dazu diese eher sinnlosen Dinge, dadurch stärker in unser Leben oder unser Handeln zu integrieren. Dabei sollte man das Erfolgssystem Gamification vielmehr in gesellschaftliche Projekte mit einbeziehen…
Greenpeace auf viraler Adressjagd
Die Werbung hat immerhin schon lange erkannt, was man mit dem Spieltrieb des Menschen alles erreichen kann. Sie hat diesen Begriff Gamification begründet und weiß unseren Drang nach Wettbewerb zu kitzeln und uns am Ego zu packen. So hat auch Greenpeace vor einiger Zeit eine Werbekampagne im Web gestartet, die auf den Pfeilern dieser Strategie aufgebaut wurde. Die Kampagne „Volkswagen – The Dark Side“ die hauptsächlich im Netz stattfand, hat neben den inzwischen üblichen Virals, auch Gamification eingesetzt, um die Message gegen die CO2-Lobby des Volkswagen Konzerns so weit wie möglich zu verbreiten. Die Kampagne wurde im Star Wars-Gewand aufgesetzt, in der Volkswagen die Position des bösen Imperiums einnahm und der Aktivist, hier als Jedi, von sich sprechen durfte. Teil dieser Kampagne war auch eine Petition, in der man durch die Unterzeichnung nicht nur dem Imperium die Stirn bot, sondern auch gleichzeitig an einem Spiel teilnahm. Man ist durch die Teilnahme in den Rang eines jungen Jedi-Schülers (Padawan) geschlüpft und konnte von nun an eine steile Karriere zum Jedi-Großmeister Yoda bestreiten. Dabei musste man nur über einen eigens generierten Profil-Link andere Personen dazu ermutigen sich ebenfalls der Rebellion anzuschließen. Man teilte seinen Link, der mit allen Werkzeugen und Waffen der Rebellen ausgestattet war und wurde mit jedem mobilisierten Mitzeichner durch sogenannte Machtpunkte belohnt. Jeder Mitzeichner wiederum durfte dann ebenfalls seinen persönlichen Profil-Link verteilen und Machtpunkte sammeln. Diese Machtpunkte wurden auf einem Fortschrittsbalken widergespiegelt, an dem man sehen konnte, wie viele dieser Punkte man noch sammeln müsse, um sein Ziel – den Status eines Yodas und im Anschluss ein kostenloses T-Shirt – zu erreichen. Jeder der solch einen Link erhalten hatte, verstand den Wettkampf sofort und einige konnten nicht anders als an diesem Spiel teilzunehmen und sich der inoffiziellen Competition – Wer überschreitet als erstes den Yoda-Status – zu stellen. Es kam also vor das man sich und seine zumeist befreundeten Mitspieler ständig beäugte und die neuesten Etappenziele und Punktestände auf Facebook, Twitter usw. hin und her schickte. „Was du bist noch Wookie?“ hieß es dann. „Noch zwei Punkte und ich werde zum R2 Droiden!“ posaunte man herausfordernd entgegen.
Die Kampagne wurde ein voller Erfolg. Bis dato haben sich 462.542 Jedis der Rebellion angeschlossen und wer weiß wie viele zumindest den Status des Yodas erreicht haben. Ich selber bin mit gerade einmal 467 von möglichen 1.500 Machtpunkten zwar nicht zum T-Shirt-Besitzer geworden, geschweige denn habe ich das Volkswagen Imperium in die Flucht geschlagen, doch hatte ich neben dem kurzzeitigen Spaß an dem Wettbewerb und den Rang eines Öko-X-Wings, nun auch etliche Newsletter an der Backe und sogar des Öfteren auch Post von Greenpeace im Briefkasten. Wie viel Zeit ich mit diesem Wettbewerb vergeudet habe und wie vielen Leuten ich mit meinem Profil-Link vielleicht sogar auf die Nerven gegangen bin, möchte ich an dieser Stelle lieber nicht erahnen. Kurzum: Ich bin Greenpeace ganz schön auf den Leim gegangen, durch deren Gamification Konzept.
Bürgerjournalismus durch Wettbewerb vorantreiben
Doch sollte man Gamification jetzt abstempeln, als einzig durchtriebene Werbemaßnahme? Wer einmal darauf reingefallen ist, so wie ich, der ist natürlich in Zukunft kritischer mit diesem System. Wer lässt sich schon gerne instrumentalisieren und an der Nase herumführen. Da ist auch der Spaß, den man dabei für kurze Zeit hatte, kein allzu befriedigender Trost. Gamification bewirkt uns zu motivieren. Gamification treibt uns zum Ehrgeiz an. Gamification geht direkt ins Mark. Da muss es doch auch positive Dinge geben, die man damit bewirken kann. Und in der Tat gibt es diese Positivbeispiele. Denn diese Greenpeace-Kampagne alleine als Schattenszenario zu benutzen, würde dem System der Spielerei nicht gerecht werden.
Eine andere Situation, die den Ehrgeiz einiger Bürger geweckt hat und die man schwer in die Schublade „idiotisch“ oder „hinterhältig“ stecken kann, ist ein Fall – mit einer der ersten – aus Großbritannien, der beweist, dass man mit Gamifications mehr anstellen kann, als User nur ihrer Zeit und ihrer Adressdaten zu berauben. So sah sich die Redaktion der britischen Tageszeitung „The Guardian“ im Jahre 2009 vor einer wahrhaftig großen Aufgabe, die der Bezeichnung einer Sisyphusarbeit nicht im Entferntesten entgegenstand. Aufgrund einiger vorhergehender Enthüllungen der Veruntreuung von Spesengeldern durch Parlamentarier, veranlasste das Unterhaus sämtliche Abrechnungen der Abgeordneten einzuscannen und im Internet öffentlich zu publizieren. Man wollte sich transparent geben und den Medien zeigen, dass man Veruntreuung nicht gutheiße. Der Guardian stand nun also vor einem Berg von Dokumenten, die es durchzusehen und zu kategorisieren galt. Man mobilisierte kurzerhand Freiwillige aus der Bevölkerung, die man alleine mit Ehre und dem Gefühl des Dabeiseins entlohnen wollte. Geld gab es nicht. Umso wenig erfolgsversprechend sah man das Unterfangen anfangs. Um dem Ehrgefühl der Beteiligten nicht nur stillschweigend über die Seele zu streicheln, sondern ihm direkt an den Leib zu gehen, entwickelte man kurzerhand eine Benutzeroberfläche die der bevorstehenden Aufgabe, die richtige Würze verpasste. Man rief unter den Freiwilligen einen Wettbewerb aus und stattete das Computersystem, mit dem man die Dokumente sichten sollte, mit verschiedenen Buttons und Markierungswerkzeugen aus, die den Spieltrieb aus den Beteiligten heraus kitzeln sollte. Jeder Button betätigte einen Counter, der aufzeigte wie viele Dokumente man schon gelesen habe und wie viele noch ausstehen würden. Dieser Counter in Form eines Fortschrittbalkens, der uns in Rollenspielen daran erinnert, wie viele Erfahrungspunkte wir noch sammeln müssen, bis wir dem Endboss die Keule überziehen können, bewirkte eine rege Teilnahme und Auseinandersetzung mit den Spesendokumenten. Außerdem konnten Personen, die besonders brisante Unterlagen fanden Bonuspunkte ergattern und wer entsprechend viele Dokumente durchschaute, hatte ebenfalls die Chance via Bonussystem belohnt zu werden. Es entwickelte sich eine Art Wettbewerb, in dem die Akteure sich gegenseitig neu herausforderten. In regelmäßigen Abständen wurden die Suchenden, die besonders viele Bonuspunkte gesammelt haben, sogar in einem Ranking aufgeführt. Das System funktionierte gut, denn binnen weniger Tage haben sich über 20.000 Menschen eingetragen, die dem Guardian zu spielten und diese monströse Arbeit bewerkstelligten.
Dieses Konzept, welches der Guardian da einbrachte ist nachträglich nicht nur ein Positivbeispiel für Gamifizierung, es ist somit sogar zum erfolgsversprechenden Bürgerjournalismus-Projekt geworden. Bürgerjournalismus scheint in dem Fall sowieso der Heilsbringer für den doch etwas in Mitleidenschaft gezogenen Ruf der Spielisierung zu sein. Denn schaut man sich um, findet dieses System eher weniger Fundament in wirklich spannenden kulturellen oder demokratischen Themen, sondern eher in der Privatwirtschaft. Gartner prognostiziert, das bis 2014 Gamification besonders im Marketing und der Kundenbindung wichtig werden wird. Mindestens genauso wichtig wie Facebook. Außerdem sollen bis 2015 die sogenannten Global 2000-Unternehmen mindestens eine Gamification-Anwendung besitzen, die sich sicherlich auch eher im Marketing oder höchstens noch in der Mitarbeitermotivation wieder finden wird. Die Hoffnung, dass wir mehr Beispiele wie das vom Guardian erleben werden, scheint da recht unterpräsentiert zu sein.
Dabei ist es ein lohnendes Beispiel mit viel Perspektive. Man könnte Überwachungsinitiativen gründen, die dezentral im Web Abbrechungen nicht nur von Abgeordneten durchschauen. Man kann ganze Behörden ins Visier nehmen oder Parteien. Man kann mithilfe von Gamification vielleicht tatsächlich Bürger dazu bewegen, sich mehr mit Politik zu beschäftigen, indem man den Umgang damit zum Wettbewerb erklärt. Vielleicht wären solche Projekte hervorragende Uni-Projekte, mit denen man sich Creditpoints für das Studium sichern kann. Die Einsatzfähigkeit dieser Spielifizierung und der Wettbewerbsphilosophie taugt für spannende Szenarien, deren Erfolg zumindest in meinen Augen damit ein Stück mehr vorangetrieben werden können. Gamification kann mehr als nur Werbung verbreiten. Es sinnvoll zu nutzen, ist die Herausforderung. Vielleicht sprießen die Ideen ja mithilfe eines Wettbewerbes?
Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: bürgerjournalismus, gamification, Greenpeace, guardian, spielisierung