Wenn Technokraten über Zukunft reden, kommen in der Regel 4.0-Wortungetüme heraus, die sich in Zahlen, Effizienz und Effektivität suhlen. Alles wird besser. Kaum einer formuliert, wie und was wirklich besser werden soll. Welche Ziele, welche Werte und welche Ethik werden angestrebt? Die Silicon-Valley-Himmelsstürmer und die Copy-Cat-Abziehbilder in Deutschland erstreben die Weltherrschaft, verweigern aber den normativen Diskurs. Man will besser werden, neue Horizonte erstreben, Vergangenheit zurücklassen, beginnt Sätze mit dem Adverb „beyond“ und verharrt in Zwischenorten, Zwischenzeiten und in Wartesälen des Denkens.
Digitalisierung im Wartesaal des Denkens
„Bei Intellektuellen wie Politikern im Westen scheint heute Stillstand im Fortschritt zu herrschen, jeglicher Richtungssinn verloren gegangen zu sein …“ , schreibt Günter Blamberger im Band „Möglichkeitsdenken – Utopie und Dystopie in der Gegenwart“ , erschienen im Wilhelm-Fink-Verlag. Es dominiert selbst bei den digitalen Vordenkern eine Trägheit des Kopfes, weil man dem kritisierten Bestehenden weder praktisch noch theoretisch etwas entgegenzusetzen hat. Kein futuristisches Denken, keine Utopien und keine Phantasien.
„Die Human Resources programmieren die Employer Branding Maschine rasch noch auf die Kohorte der so genannten ‚Millennials‘, während männliche Mittfünfziger in den Chefetagen der Konzerne und auf den Podien der Lobbyverbände Phrasen dreschen vom Internet of Things oder der Industrie 4.0. Kaum einer weiß, was er da redet, geschweige denn, wie er seine Organisation und seine Mitarbeiter dorthin bekommt. Und in einer solchen Situation lässt sich vortrefflich Geld verdienen. So planen die meisten ihren nächsten Karriereschritt hin zur sich bereits andeutenden Vollendung des beruflichen Lebenswerks. Nach mir die Sintflut. Analog oder digital? Mir doch egal“ , so Robert Frankenin seinem Blog „Digitale Tanzformation“.
Graf Zahl an der Unternehmensspitze
Graf Zahl steuert die Unternehmensgeschicke und vielleicht noch Daniel Düsentrieb, der Vorhandenes etwas besser macht. Blinklicht-Innovationen, die Professor Lutz Becker in der dritten Folge des Utopie-Podcast #KönigvonDeutschland im Gespräch mit dem Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky angeschnitten hat.
Es fehlen leidenschaftliche Zukunftsbilder, meint Janszky. Es mangelt an Regelbrechern, die die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze in Frage stellen. Wir können noch so viele Digital Hubs gründen und Fördermittel herauspusten, letztlich konzentrieren wir uns auf Tätigkeiten, die die vorhandenen Technologien etwas besser machen.
Das große Gemälde für gesellschaftliche Utopien sucht man vergeblich. „Unternehmen haben heute in den allermeisten Fällen nicht einmal mehr das kleine Einmaleins der Beziehungsarbeit zu ihrer Belegschaft drauf. Sie stiften statt Sinn nur Angst und Verwirrung, wenn sie jedes Individualschicksal der großen Optimierungsmaschine unterwerfen“ , führt Franken aus.
Humankapital wird abgebaut
Humankapital eben. Stellenabbau, permanente Befristung und prekäre Lohnsituation mag kurzfristig dem Shareholder Value dienen – langfristig führt es in die Sackgasse. Statt mutig Neues zuzulassen und alte Systeme auf den Kopf zu stellen, karren wir Busladungen grauer Damen und Herren durchs kalifornische Silicon Valley. Auf dass sie die Muse der digitalen Innovation durchs Busfenster hindurch küssen mögen. Das ist Möglichkeitsdenken auf Sparflamme. Dabei gibt es keinen Determinismus, der uns vorschreibt, wie wir die Zukunft gestalten. Etwa die Rolle von wenigen Super-Computern, die nur von wenigen Menschen beherrscht werden. Gibt es wirklich nur eine Handvoll Götter, die dem Rest der Menschheit diktiert, wie wir leben sollen?
Neue Regeln denken
Wir könnten ja über neue Systeme nachdenken, die eine demokratische Gewaltenteilung für die Maschinenwelt ermöglicht, schlägt Janszky vor. Also neue Regeln, um den Machtmissbrauch von Künstlicher Intelligenz zu verhindern. Algorithmen programmieren, die dezentral, offen und kollaborativ ausgerichtet sind. Szenarien beschreiben und dann Impulse zur Realisierung bieten. Sich nicht mehr als der allwissende Experte inszenieren, das können mustererkennende und musterbrechende KI-Maschinen sowieso bald besser machen, sondern als Erster unter den Lernenden neue Möglichkeitsräume erarbeiten. Nicht konstruierten ökonomischen Sachzwängen hinterherlaufen, sondern lebenswerte Zukunftsentwürfe diskutieren. Die D2030-Initiative hat dazu interessante Skizzen geliefert. So könnte es in gut 20 Jahren ausschauen:
So kann Zukunft aussehen
Die deutsche Wirtschaft entwickelt und fertigt weiterhin erfolgreich in einem zunehmend hochdynamischen Wettbewerb. Grundlage dafür sind neben erfolgreichen mittelständischen Unternehmen vor allem eine breite Innovationskraft durch handlungsfähige Allianzen, ein substanzieller Bürokratieabbau sowie ein offenes Bildungs- und ein vielfältiges Wissenschaftssystem. Auf dem Arbeitsmarkt entsteht eine „Projektwelt“ mit flexiblen Arbeitsverhältnissen, die jedoch nicht in prekäre Beschäftigung mündet, sondern breiten Bevölkerungsgruppen deutlich Wohlstandszuwächse ermöglicht.
Offenheit für Menschen und Ideen sowie eine neue „Wir-Orientierung“ prägen die Gesellschaft.? Es werden neue Formen von Gemeinschaft, bewusstem Konsum und kultureller Offenheit erprobt – unterstützt durch die den Zusammenhalt fördernde, digitale Transformation und die gewachsene Qualität der Medienangebote. Öffentliche Daten stehen den Bürgern in großem Umfang zur Verfügung. Die breite Zuwanderung wird allgemein akzeptiert und als Chance für Veränderung begriffen. Zudem ermöglicht die Migration einen demografischen Ausgleich, und trägt insofern zum Interessenausgleich von Jungen und Alten in einem neuen „Generationenvertrag“ bei.
Der Gegensatz von Wirtschafts- und Umweltinteressen löst sich immer weiter auf. Der Einsatz von Rohstoffen kann deutlich verringert werden. Um der latenten Gefahr eines Rebound-Effektes zu begegnen, werden immer mehr Produkte und Produktionsprozesse in geschlossenen Stoffkreisläufen gehalten.
Es gibt einen akzeptierten Politikbetrieb im Zusammenspiel mit aktiver Zivilgesellschaft.? In der Politik hat sich das Subsidiaritätsprinzip in der Breite durchgesetzt: Entscheidungen werden wo möglich dezentral, wo nötig aber auch auf transnationaler Ebene getroffen. So kann Deutschland von einer vertieften europäischen Integration profitieren. Bürgerschaftliches Engagement erfolgt zudem über direkte Bürgerbeteiligung oder konsultative Elemente. Darüber sollten wir intensiver debattieren. Gefordert ist ein utopisches Denken, das Zeitkritik zur Sprache bringt – also all das, was uns zur Zeit gegen den Stricht geht – und Denkwenden provoziert. In diesem Dickicht möglicher Zukünfte diskutiere ich in der nächsten netzökonomischen Runde in Köln mit Repräsentanten der D2030-Initiative.
Offen, kollaborativ und ohne Teleprompter. Hashtag zum Mitdiskutieren #D2030. Oder einfach vorbeikommen. Das Notiz-Amt wird darüber berichten.
Image (adapted) „Himmel“ by Alexas_Fotos (CC0 Public Domain)
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