Als Philip Balboni letztes Jahr seine internationale Nachrichten-Website GlobalPost an WGBHs Public Radio International verkaufte, könnte er auch die Welt des Journalismus verlassen haben. Immerhin ist er nun seit 49 Jahren in diesem Geschäft tätig. Dazu meinte aber Balboni “Mir wurde unerwartet klar, dass ich nicht dazu bereit war, meinen Beruf zu verlassen.” Stattdessen begann er über E-Mail-Newsletter nachzudenken. “Ich wurde von der Möglichkeit begeistert mit etwas zu arbeiten, das nachhaltig und tragend ist, das nicht von all den Dingen abhängt, die außerhalb der Kontrolle des Journalismus liegen, wie die Werbe-Technologie und Social Media”, sagte Balboni. “Bei GlobalPost sah ich all den Verlust der Kontrolle über so viele Dinge, die wichtig für deinen Erfolg sind.”
Balboni ist der Ansicht, dass “die Veröffentlichung, Monetisierung und das Wachstum des Publikums von anderen kontrolliert wird”, nämlich von Plattformen wie Facebook und Google, die die größte Macht besitzen. Als er den Verkauf von GlobalPost am 30 September 2015 an WGBH für eine ungenannte Summe durchführte und die Muttergesellschaft abwickelte, behielt er sich die Rechte des GlobalPost E-Mail-Newsletters Chatter und entschloss sich, ihn als unabhängigen E-Mail-Newsletter, nun Daily Chatter genannt, wieder einzuführen.
Die erste Ausgabe des Daily Chatter kam am Montag raus. Der Slogan lautet “Die Welt in zwei Minuten”, was “in etwa die Zeit ist, die ein einigermaßen schneller Leser am Morgen braucht, um durch den Chatter zu gehen und mit einem tieferen Verständnis über die Welt wieder rauszukommen”, so Balboni. Der Newsletter wird jeden Morgen um 06.30 Uhr an seine Abonnenten geschickt. Sie können hier die erste Ausgabe lesen.
Balbonis Partner im Unternehmen ist Alex Jones, der von 2000 bis 2015 der Direktor des Harvard Shorenstein Zentrums für Medien, Politik und öffentliche Ordnung war. Er hat auch den Pulitzer Preis für seine Berichterstattung in den New York Times erhalten (und ist ein ehemaliger Nieman Kamerad). Es gibt zwei Mitarbeiter: Jabeen Bhatti, Chefredakteurin und leitende Schriftstellerin, ist eine US-amerikanische Auslandskorrespondentin in Berlin, und Jasen Oversdorf, Asien-Editor, ein US-amerikanischer Auslandskorrespondent mit Sitz Neu-Delhi.
“Die Anzeige, die ich für die Journalisten-Jobs ausschrieb sagte deutlich, dass sie in einer Zeitzone leben müssen, die es ihnen erlaubt, Chatter zwischen 6.00 und 7.00 Uhr östlicher Zeit liefern zu können. Mit Sitz in Europa und Asien, sind Bhatti und Overdorf in der Lage, innerhalb des Nachrichtenzyklus zu leben und aus Sicht der Zeit der Ostküste sogar diesem voraus zu sein.”
Das jetzige Ziel des Teams ist es, die Stimme und Richtung des Daily Chatter zu verfeinern. Irgendwann, in nicht allzu entfernter Zukunft, möchte Jones einen Wochenend-Podcast aufnehmen.
Daily Chatter wird nach drei gratis Probemonaten bescheidene zwölf US-Dollar im Jahr kosten und jeden Wochentag ausgesendet, sowie auch auf der Daily Chatter Website veröffentlicht. Es beinhaltet keine Werbung. Am vergangenen Donnerstag gab es 900 neue Abonnenten (nochmals, diese zahlen für die ersten 90 Tage nichts). Balboni selbst stellt die Mittel um Daily Chatter zu unterstützen, ebenso trägt auch Jones dazu bei.
“Wir nehmen möglicherweise noch ein paar Investoren dazu, aber wirklich brauchen tun wir sie nicht,” sagte Balboni. “Unsere Gewinnschwelle ist nicht heroisch. Daily Chatter wird sehr effizient laufen, ich tue viele Dinge selbst, und wir werden in der Lage sein, ein hochqualitatives Produkt zu einem Gesamtpreis anzubieten, welches uns die Chance gibt erfolgreich zu sein.”
Etwas ungewöhnlich für einen E-Mail-Newsletter ist es, dass sich die Artikel nicht stark auf Links stützen, auch wenn ein paar darin verstreut sind. “Es ist fast – es ist nicht eine Kolumne, es ist eine Art von neuem Tier,” meint Balboni. “Ich weiß nicht, ob es eine Kategorie hat ohne in eine andere zu fallen, aber es ist alles außer ein E-Mail-Newsletter.” Balboni verbrachte Monate damit, die Kategorie zu studieren, indem er tägliche Angebote von Webseiten wie Quartz und Vox gelesen hat und “allgemein gesprochen sind dies Markenerweiterungen, die darauf fokussiert sind, die Förderung ihrer eigenen Inhalte auf verschiedenen Wegen zu optimieren.”
Ein besserer Vergleich zu Daily Chatter mag möglicherweise The Skimm sein, der auf 18- bis 34-jährige Frauen ausgerichtet und auf 1,5 Millionen Abonnenten heran gewachsen ist. “Die Gründer hatten eine sehr klare Mission über was sie erreichen wollten” und eine definierte Zielgruppe, meinte Balboni. Dasselbe erhofft er sich auch über Daily Chatter, obwohl dessen demografische Gruppe etwas anders ist:
“Das sehr gut ausgebildete Segment der Bevölkerung, in allen Altersgruppen und Einkommensniveaus… Ich denke, dass ein wesentlicher Anteil der jungen Menschen und ich glaube, viele dieser Leute, sowohl junge als auch andere, eine geringe Nachrichtenmarke-Loyalität auf nationaler und weltweiter Ebene haben. Dies gibt uns die Möglichkeit, ihnen zu dienen.”
Die Montagsausgabe des Daily Chatter beinhaltet fünf Storys. Die Titelgeschichte ist über Gewalt in politischen Kampagnen – ein immer wichtigeres Thema in den USA dank Donald Trump, aber auch ein Problem in Europa. Die Story behandelt Trumps gewalttätige Kundgebungen als Stück eines breiteren weltweiten Trends der “Politik der Angst.” Andere Storys berichten über Kundgebungen in Brasilien, Attacken in Westafrika und der Türkei und einen japanischen Bauer, der sich um verlassene Tiere nach der Kernschmelze in 2011 kümmert. Das Ziel des Newsletters ist es “progressiv, aber nicht ideologisch,” zu sein und die meisten Inhalte fokussieren sich auf Bereiche außerhalb der USA.
“Wenn eine US-amerikanische Story deutlich von globalem Interesse ist, dann sollte es Teil davon sein, über was wir schreiben,” sagt Balboni. “Aber es wird so viel über US-Nachrichten berichtet und so relativ wenig über Weltgeschichten getan und das ist meine Leidenschaft. Die US-Präsidentschaftswahl ist eindeutig von Interesse auf der ganzen Welt, aber wir müssen darüber nicht jeden Tag berichten.”
Erkenntnisse dank GlobalPost
Balboni hat öffentlich nicht viel über den Verkauf von GlobalPost, das im Jahr 2008 als “der erste reine Online-Nachrichtendienst der Welt” ins Leben gerufen wurde, gesagt. Balboni und Co-Gründer Charles Sennot erstellten die Seite teilweise als Antwort auf den Trend der amerikanischen Zeitungen, deren Auslandsbüros herunterzufahren. Die Website startete mit 65 Auslandskorrespondenten in 48 Ländern, die auf einem sogenannten “Freiberuf-Gehaltsmodell” von 1.000 US-Dollar pro Monat, sowie einer Beteiligung an dem Unternehmen, arbeiteten. Der Plan war es, Einnahmen über Werbungen, Syndikationen in Zeitschriften und einem bezahlten Premiumprodukt, genannt Passport, zu erlangen.
Passport sollte anfänglich 199 US-Dollar pro Jahr kosten, aber es hatte nicht viel Anklang bei den Abnehmern gefunden. Der Preis für ein Abonnement viel im Laufe der Jahre auf 49,95 US-Dollar pro Jahr und dann auf 29,95 US-Dollar pro Jahr oder 1,99 US-Dollar pro Monat. “Dies ist eine fünf- bis 15-jährige Bemühung um das Verbraucherverhalten verändert zu bekommen,” erklärte zu dieser Zeit Balboni Ken Doctor. Balboni hatte gehofft, dass die Mitgliedschaft bis 50 Prozent der Einnahmen von GlobalPost ausmachen würden, aber dies kam nicht mal Ansatzweise an die Erwartung heran. Bis 2014 hatte GlobalPost acht Vollzeit-Mitarbeiter und sieben Vertrags-Mitarbeiter. Die Seite kämpfte, war aber nie außer Betrieb.
“Jeder CEO muss die ganze Zeit denken und jeder weiß, dass der Journalismus ein hartes Geschäft ist,” hat Balboni mir gesagt. Er überdachte die Optionen für GlobalPost: “Wir könnten unabhängig bleiben, oder wir könnten an jemand anderen verkauft werden oder wir könnten mit einer anderen Partei eine Art Projekt eingehen.” Er verbrachte 18 Monate damit, verschiedene Verkaufsstellen zu suchen, aber “es blieb dabei, einen Ort zu finden, an dem unsere Werte respektiert würden und die Mission von Menschen fortgeführt würde, die wir respektierten. Es war klar, dass WGBH dieser Ort sein würde,” sagte Balboni. Obwohl er nicht den Preis, den WGBH für GlobalPost bezahlt hat, offenlegte, “war es nie wegen dem Geld.”
Aber die Erfahrung veränderte die Art, wie er über die Finanzierung des Journalismus gedacht hat. “Als wir GlobalPost ins Leben gerufen haben, waren CPMs ziemlich hoch, aber in 2011, 2012, sind sie stark gefallen und blieben nach wie vor sehr unerträglich,” sagt er. Mit DailyChatter
“gehen wir zu dem Modell zurück, das in der Vergangenheit funktioniert hat, nämlich wo man für Journalismus gezahlt hat. Es schafft eine stärkere Zwei-Wege-Beziehung, denkt an die Leser als Kunden… Es ist sehr befreiend, nicht auf Werbung fokussiert sein zu müssen, sondern sich nur auf das Produkt konzentrieren zu können und damit den Kunden glücklich machen.”
Dieser Artikel erschien zuerst auf “Nieman Journalism Lab” unter CC BY-NC-SA 3.0 US. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Image (adapted) “Globe” by Luke Price (CC BY 2.0)
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