Google will sich das Zweite Goldene Zeitalter des Fernsehens zunutze machen

Traditionelle Pay-TV-Anbieter, die bereits unter Druck stehen, weil die Konsumenten sich vermehrt für das Streamen von Internet-Videos entscheiden, sehen sich einer neuen Bedrohung gegenüber. Google macht jetzt Ferbsehwerbung, und eine Entscheidung, die Anfang des Jahres von der US Federal Communications Commission (FCC) getroffen wurde, beunruhigt alle: von traditionellen Set-Top-Box-Anbietern bis hin zu Diversitäts-Champions. Die FCC sagt, sie wollten „die Box entsperren“ und genehmigten im Februar einen Antrag, der von traditionellen Kabelanbietern fordert, ihre Daten hinsichtlich Programmierung, Geräten und Inhaltsgestaltung mit „den Schöpfern konkurrierender Geräte oder Apps“ zu teilen. Sie lehnte hingegen ab, „einen regierungsspezifischen Standard“ anzuordnen, in der Annahme, dies würde Innovationen behindern. Stattdessen beantragte sie, dass die Spezifikationen durch „ein unabhängiges Organ offener Standards“ festgelegt werden.

Früher Rückschlag der Industrie

Doch nicht jeder stimmt zu, dass diese neue Regelung tatsächlich Innovationen fördern würde. Stanton Dodge von Dish Network Corp argumentierte, dieser Antrag „würde sich tatsächlich eher hinderlich auswirken“ auf Innovationen in diesem Gebiet. Bob Quinn, stellvertretender Leiter für die Bundesgesetzbehörde von AT&T, stimmt dem zu und stellt fest, dass „die FCC beschlossen hat, einen Weg einzuschlagen, der den Wettbewerb und die Innovationen, die zu diesem lebendigen Markt geführt haben, grundlegend bedroht“. Bedeutende TV-Produzenten, angefangen bei Disney über Time Warner bis hin zu Fox und Comcast-NBC sowie die nationale Vereinigung für Kabelfernsehen haben ihre Reaktionen an die FCC übermittelt. Ihr gemeinsam vorgebrachtes Argument ist, dass „die Urheber die Kontrolle über Produktplatzierung und kommerziellen Inhalt behalten müssen“. Die Motion Picture Association of America und die Screen Actors Guild baten die FCC

im Bestreben, den Wettbewerb unter Set-Top-Box-Anbietern zu sichern, unsere Inhalte nicht ohne unsere Zustimmung und Entschädigung an Drittparteien weiterzugeben, unsere Inhalte nicht dem Diebstahlrisiko auszusetzen, und die Ökonomie, die die Erstellung neuer Programme untermauert und ein Zweites Goldenes Zeitalter des Fernsehens fördert, nicht zu bedrohen.

Pay-TV wird wachsen

Der Rückschlag für die amerikanischen Pay-TV-Dienste resultiert wahrscheinlich aus den bereits zurückgegangenen Pay-TV-Umsätzen in Nordamerika. Man erwartet eine Verringerung des Umsatzes um 13,5 Milliarden US-Dollar innerhalb der nächsten fünf Jahre. Der Wegfall der Mieterträge der Set-Top-Boxen, die den Weg für Konkurrenten wie Google, Apple und Tivo ebnen, wird diesem Rückgang nur weiter zuträglich sein. Trotz des Rückgangs in Nordamerika wird Pay-TV global weiterhin wachsen. Die Regionen mit dem größten Umsatz-Wachstum zwischen den Jahren 2015 und 2021 wird mit einem Wachstum von 25 Prozent (das entspricht etwa 8 Milliarden Dollar) der Pazifik im asiatischen Raum sein. Die Umsätze in Indien werden sich voraussichtlich von umgerechnet 3,5 Milliarden US-Dollar auf 7,8 Milliarden US-Dollar verdoppeln. Auch von China wird ein großes Umsatzwachstum von 1,9 auf 11,7 Milliarden US-Dollar erwartet. Der Nahe Osten und Nordafrika werden ebenfalls ein Umsatzwachstum von 26 Prozent erleben und für die Sub-Sahara-Region Afrikas ist ein massiver Anstieg von 63 Prozent zu erwarten. Dies folgte einer Aufforderung des FOX Geschäftsführers James Murdoch an Pay-TV-Dienste, ihre Anzahl der angebotenen Kanäle zu verkleinern, um in der neuen Abo-Medienlandschaft wettbewerbsfähig zu bleiben. Ein Nielsen-Bericht zeigte, dass trotz der Anzahl der verfügbaren Kanäle, die von 129 im Jahr 2008 auf 189 im Jahr 2013 angestiegen waren, die Konsumenten weiterhin nur durchschnittlich 17 Kanäle einschalteten.

Wer wird am meisten profitieren: Konsumenten, Pay-TV oder digitale Disruptoren?

Die FCC argumentiert, dass den Konsumenten letztlich mehr Auswahl, größere Flexibilität, mehr Innovationen, gesteigerter Wettbewerb und bessere Preise geboten würden. Der Antrag der FCC wird Kabel-Abonnenten in den Vereinigten Staaten, die aktuell jährlich im Durchschnitt 231 US-Dollar zahlen, um eine Set-Top-Box ihres Kabelanbieters zu mieten, mehr Optionen ermöglichen. Die Kabelanbieter generierten im vergangenen Jahr einen Umsatz von schätzungsweise 20 Milliarden US-Dollar. Die FCC stellte fest, dass die Preise für Set-Top-Boxen seit 1994 um 185 Prozent gestiegen sind – der Verbraucherpreisindex steigt somit um das Dreifache an. Ein Großteil der Diskussion um die FCC-Entscheidung dreht sich um die Vorteile für die Konsumenten. Ein offener Set-Top-Box-Markt wird jedoch ebenfalls Möglichkeiten für andere Unternehmen bieten, die in die Medienverbreitung involviert sind – insbesondere solchen, die bereits die traditionellen Medien aufgerüttelt haben wie Google, Amazon und Apple. Diese Unternehmen sind nicht nur innerhalb der Vereinigten Staaten etabliert, sondern haben alle auch in einer Vielzahl anderer Länder Einflüsse. Dies wirft Fragen auf in Bezug darauf, wie der Flow-on-Effekt der FCC-Entscheidung in anderen Ländern aussehen könnte, insbesondere in Regionen, denen Wachstum im Pay-TV-Sektor vorausgesagt wird.

Ist die Box notwendig?

Der FCC Antrag dreht sich rund um „die Box“, doch wir haben eine massive Veränderung in der Art und Weise, wie Konsumenten Inhalte anschauen, beobachtet. Die Konsumenten schauen Videos mittlerweile über eine Vielzahl von Geräten an, inklusive Smartphones, Tablets, Computer (Laptop und Desktops-PCs) und Spielekonsolen. Das Anschauen von Video-Inhalten ist nicht länger abhängig von Plattformen oder Geräten, sondern erfordert stattdessen eine plattformunabhängige Herangehensweise. Zusätzlich wird eine Rate von mit dem Internet verbundenen Fernsehgeräten von weltweit 26,8 Prozent für das Jahr 2018 erwartet. Im Vereinigten Königreich sind 29 Prozent der Fernsehgeräte Smart-TVs. Etwa 78 Prozent dieser Fernseher wurden in den vergangenen zwei Jahren gekauft. In Australien haben 32 Prozent der Wohnungen einen Fernseher mit Internetanschluss. Dies trägt zu dem einfachen Zugriff von Fernsehbildschirmen auf Video-Inhalte online bei. In einer offenen Set-Top-Box Umgebung könnten Pay-TV-Dienste Inhalte einer Reihe von unterschiedlichen Unternehmen anbieten – und damit Fragen rund um Daten und Ratings aufwerfen.

Geht es um Inhalte oder Daten?

Ratings sind ausschlaggebend für den Verkauf von Werbung für kommerzielle Sendeanstalten. Bei einem offenen Zugang zu Inhalten könnte eine Vielzahl von Organisationen Zugriff auf die Rating-Informationen bekommen. Dieser offene Ansatz könnte Unternehmen wie Google, die für ihre Datensammlung bekannt sind, zugutekommen. Sollte Google Anwendungen oder andere periphere Technologien entwickeln, die Zugriff auf Pay-TV-Dienste erlauben, dann würden diese ebenfalls den Zugriff auf und das Sammeln von Daten erlauben, die mit Fernsehgewohnheiten und -verhalten der Konsumenten zusammenhängen. Google war mit YouTube extrem erfolgreich beim Sammeln von Daten. Dieser Ansatz könnte in eine größere Analyse der Sehgewohnheiten integriert werden und für gezielte Werbung durch das Netzwerk genutzt werden. Google könnte Medienproduzenten eine Fülle von Informationen hinsichtlich der Programm-Sehgewohnheiten präsentieren. Diese könnten nicht nur spezifisch für lokale Märkte sein, sondern ebenfalls eine globale Analyse der Sehgewohnheiten der Konsumenten für spezifische Programme liefern. Es würde darauf hinauslaufen, dass Google ein Wettbewerber für andere TV- und Medien-Rating-Agenturen rund um den Globus würde, so Nielsen. Im letzten Jahr verkündete Nielsen ein strategisches Abkommen mit Roku, um die Messung des Online Video Streamings durch Nielsen Digital Ad Ratings zu ermöglichen. Amazon könnte diese Daten nutzen, um Produktempfehlungen speziell angepasst an die Sehgewohnheiten der Konsumenten zu präsentieren. Amazons Serie ‚Transparent‘ gewann einen Golden Globe, was, wie Gründer Jeff Bezos sagte, den Verkauf anderer Produkte auf der Seite unterstütze. Netflix hat bereits angedeutet, seiner mobilen App im Verlauf des Jahres ein Second-Screen-Erlebniselement hinzuzufügen. Google könnte zusammen mit Netflix, Apple und Amazon auch diese Information dazu nutzen, um Programme und Produkte über verschiedenste Online-Netzwerke und Geräte hinaus zu empfehlen. Während die Entscheidung der FCC von den Konsumenten als ein Gewinn angesehen werden könnte, bedarf es Überlegungen und weiterer Analysen hinsichtlich dessen, was der offene Zugang zu Medieninhalten tatsächlich bedeutet. Wollen die Konsumenten wirklich, dass all ihre Daten in Bezug auf ihr Online-Verhalten und ihre Sehgewohnheiten gesammelt werden? Dies würde Unternehmen wie Google und Amazon erlauben, Produkte, Dienste und Werbung, die vermutlich auf der Basis der individuellen Online-Historie personalisiert sind, zu platzieren. Doch hier es könnte es mit den personalisierten Medien zu weit gehen. Es könnte in Zukunft also seltener passieren, dass man einfach einmal über ein Programm stolpert oder seine gewöhnlichen Sehgewohnheiten verlässt, um Inhalte, die einem ein Freund empfohlen hat, zu schauen. Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation“ unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image (adapted) „Google“ by Open Grid Scheduler / Grid Engine (CC0 Public Domain)


ist Dozent für Multimedia und TV-Medien an der Victoria University in Melbourne. Aktuell untersucht er die Veränderungen in der TV-Industrie der USA, des Vereinigten Königreiches und Australien. Er konzentriert sich seit 1996 auf den Bereich der digitalen Medien.


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