Harry Potter Wizards Unite im Test: Interaktives Stickeralbum

Die Zaubererwelt um Harry Potter begeistert mich schon seit ich ein Kind bin. Damals gab es erst drei Bände. Mittlerweile ist die siebenteilige Reihe abgeschlossen und wurde komplett verfilmt. Auch zwei Filme des auf fünf Teile ausgelegten Film-Spinoffs „Phantastische Tierwesen“ sind bereits erschienen und ein zweiteiliges Theaterstück hält die Marke ebenfalls frisch. Als großer Fan musste ich auch unbedingt das neue Mobile Game Harry Potter Wizards Unite ausprobieren, das von Niantic und Portkey Games entwickelt wurde. Kann mich das AR-Spiel auch wieder verzaubern?

Die Zaubererwelt ist in Schwierigkeiten

„Dieses Desaster ist… naja, ziemlich desaströs“, beschreibt uns Constance Pickering am Anfangs des Spiels die Situation. Die Zaubererwelt droht aufzufliegen, da Dinge aus der Zaubererwelt in die Muggelwelt gelangt sind. Die Zauberer sind aufgerufen diese Gegenstände, Personen und Wesenheiten wieder einzufangen. Auch wir haben uns natürlich freiwillig für die Eingreiftruppe zur Wahrung des Geheimhaltungsstatuts gemeldet, um die sogenannten „Findbaren Gegenstände“ zu… finden.

Da ebenfalls ein AR-Spiel von Niantic, muss sich Harry Potter Wizards Unite natürlich eher den Vergleich mit Pokémon GO, als mit Harry Potter Hogwarts Mystery gefallen lassen. Seine Wurzeln leugnet das Spiel auch nicht im mindesten. Wir bewegen uns abermals auf einer Google Maps-artigen Karte, die optisch natürlich auf das Setting hin angepasst wurde. So fliegen unter anderem Eulen und große Papierflugzeuge auf der stimmigen Karte. Statt Pokestops und Arenen finden wir Gast- und Gewächshäuser, in denen wir unsere Zauberenergie aufladen und Zutaten für Tränke erhalten können. In Dungeons stellen wir unsere Zauberkünste gegen Todesser und Monstrositäten unter Beweis. Im Gegensatz zu den Taschenmonstern arbeiten die Spieler hier allenfalls zusammen, niemals gegeneinander.

Auffallend ist aber, dass Harry Potter Wizards Unite stärker auf Story setzt. Die zahlreichen Dialoge überzeugen nicht unbedingt mit Einfallsreichtum, ziehen den Spieler jedoch ein Stück mehr in die Parallelwelt hinein. Zusammen mit dem Originalsoundtrack und der deutschen Stimme von Harry Potter, fühlt man sich jedoch schnell in der Welt heimisch. 

Allerlei Anpassungsmöglichkeiten in Harry Potter Wizards Unite

Heimisch wird es auch bei der Anpassung unseres Charakterprofils. In diesem dürfen wir uns nämlich unter anderem für ein Haus entscheiden und unseren Zauberstab aus einer umfangreichen Listen an Hölzern und Eigenschaften zusammenstellen. Diese sind allerdings (bislang) ohne spielerische Relevanz und lassen sich jederzeit ändern. Das Haus entscheidet lediglich über die Farbe unserer Figur auf der Karte. Tippen wir diese an, winkt sie uns übrigens zu. Bewegen wir uns schnell, etwa weil wir in der Bahn sitzen, fliegt unsere Figur außerdem auf einen Besen.

Auch beim eigenen Foto – natürlich völlig optional – können wir einiges anpassen. Verschiedene Farbfilter, Kleidungsstile oder Hüte lassen interessante Bilder zu. Todessermaske aufgesetzt, ein wahnsinniger Blick in die Kamera und den Tagespropheten als Hintergrund – plötzlich sehe ich aus wie der meistgesuchteste Zauberer Englands. Aber das macht nichts: Als Haus habe ich ohnehin Slytherin gewählt.

Nur ein interaktives Stickeralbum

Das Spielprinzip unterscheidet sich kaum von Pokémon GO. Nicht nur, dass es Äquivalente zu den Pokéstops und Arenen gibt – auch der Sammelwahn wird auf die gleiche Art bedient. Statt Pokémon sammeln wir allerdings die besagten „Findbaren Gegenstände“. Diese sind meist in Bedrängnis von Flüchen oder Kreaturen, die wir mithilfe von Zaubern beseitigen. Dafür müssen wir ein Symbol für den Zauber nachzeichnen. Wie gut unser Zauber gelingt hängt davon ab, wie genau, aber auch wie schnell wir sind. Wer sich Zeit lässt, bringt kaum einen guten Zauber zustande. Wer zu eilig ist läuft jedoch Gefahr ihn vollkommen zu versauen – und jeder Versuch braucht einen Punkt der Zauberenergie auf.

Die Gesten sind ein geschickter Schachzug, das sammeln spannender zu machen als die relativ simple Geste zum Werfen eines Pokéballs. Außerdem erinnert es ein Stück weit an die alten PC-Spiele, in denen Zauber auch mittels gemalter Bewegungen gewirkt wurden. Die Sammelobjekte selbst sind hingegen weniger spannend.

Die gesammelten Gegenstände landen nämlich im Register, eine Art Stickeralbum zu verschiedenen Themengebieten. Neben den normalen Erforschungen gibt es auch einen Tab für Herausforderungen. Für diese müssen wir in Festungen kämpfen. Der Reiter „Mysterien“ steht für Gegenstände, die mit der erzählten Geschichte verwoben sind. Hier gibt es immer wieder Dialoge, in denen nicht selten auch Harry Potter einige Worte zu den neuesten Erkenntnissen verliert.

Trotzdem war das Sammelvergnügen bei Pokémon deutlich größer, da sich das Grundprinzip der Spiele seit jeher ums Sammeln und Kämpfen drehte und man eben auch mit den Pokémon kämpfen konnte und diese unterschiedliche Level erreichen konnten. Habe ich einen Sticker im Register eingeklebt, hat dieser anschließend keinen Mehrwert für mich – außer dass ich die Gegenstände jederzeit für AR-Fotos nutzen kann.

Rollenspiel-Elemente

Für etwas Abwechslung bei der Artefaktjagd sorgen diverse Rollenspiel-Elemente. Unter „Tränke“ können wir mit gesammelten Zutaten Tränke brauen, die unter anderem unsere Zauber erleichtern oder Lebenspunkte auffüllen. Mit steigendem Level erhalten wir neue Trankrezepte.

Mit Stufe sechs können wir uns außerdem für einen Beruf entscheiden. Wir können Auror, Magiezoologe oder Professor werden. Der Auror ist eher offensiv ausgerichtet, der Magiezoologe defensiv und der Professor sehr ausgeglichen. Seid ihr in einer Gruppe unterwegs, sollte diese am besten gut gemischt sein, da jeder Beruf seine eigenen Stärken gegen bestimmte Gegner hat.

Als „Kurse“ bezeichnen sich die Fähigkeitsbäume der Berufe, in denen wir neue Zauber oder Boni auf bestimmte Werte bekommen. Durch gesammelte Schriftrollen und Zauberbücher können wir diese Kurse aktivieren. Den Beruf können wir jederzeit wechseln, erhalten aber nicht unsere investierten Schriftrollen oder Bücher zurück.

Harry Potter Wizards Unite und Microtransactions

Grundsätzlich kostet euch Harry Potter Wizards Unite keinen Cent und müllt euch auch nicht mit Werbung zu. Trotzdem wird gerade das auch wieder zum Problem. Denn überall lockt das Spiel mit kaufbaren Erweiterungen – immerhin erhielt Niantic für die Entwicklung des AR-Spiels ein Budget von 200 Millionen Dollar. Ihr braucht mehr Platz für Tränke? Kann man kaufen. Ihr braucht mehr Platz für Zutaten? Kann man kaufen. Ihr möchtet neue Anpassungen für euer Profil? Auch das lässt sich natürlich kaufen. Zwar verdienen wir uns die Währung auch im Spiel, aber das nur sehr langsam.

Besonders hart trifft es zudem Spieler, die auf dem Land wohnen. Selbst ich habe in einem äußeren Stadtteil Hamburgs nicht sonderlich viele besondere Orte auf der Map verzeichnet, doch auf dem Land findet man oft gar kein Gasthaus, um seine Energie aufzuladen. Natürlich gibt es dafür auch eine kostenpflichtige Möglichkeit. Trotzdem hätte man hier aus Pokémon GO und Ingress lernen müssen, um das Spiel auch in weniger dicht besiedelten Gegenden attraktiv zu machen.

Fazit: Kann Harry Potter Wizards Unite verzaubern?

Harry Potter Wizards Unite macht es mir recht schwer. Als der vertraute Soundtrack erklang und etliche bekannte Charaktere wie Hagrid, Hermine und Harry auf dem Bildschirm erschienen, fühlte ich mich sofort heimisch. Doch auch wenn ich Dialoge als Rollenspielfan begrüße, bleiben die Texte meist sehr flach und bremsen einen manchmal, wenn man eigentlich noch schnell ein Gasthaus mitnehmen wollte, aber erst noch einige Dialogboxen zu lesen hat.

Der Spielspaß hält sich auch trotz aller Bemühungen um das Storytelling in Grenzen. Obwohl toll animiert, befriedigt das Sammeln nicht so sehr wie noch bei Pokémon GO. Die Spielmechaniken sind zwar an manchen Stellen verbessert, aber trotzdem irgendwie schon abgenutzt. Das Spiel bietet zwar sehr viele Menüpunkte, aber den einzelnen Bereichen mangelt es meist an Spieltiefe.

Auch bin ich kein Freund von Mikrotransaktionen, auch wenn viele mobile Spiele eben genau so das große Geld machen. Niantic hat mit Pokémon GO immerhin Umsätze im Milliardenbereich erwirtschaftet. Dafür kann immerhin jeder das Spiel kostenlos ausprobieren. Wer sich jedoch weder mit Pokémon GO, noch mit dem Vorgänger Ingress anfreunden konnte, der wird sicherlich auch nicht mit Harry Potter Wizards Unite warm werden können. Mich hat das Spiel leider nicht so ganz verzaubert. Ich werde lieber nochmal die Bücher lesen, die neuen Filme schauen, nächstes Jahr das Theaterstück „Harry Potter und das verwunschene Kind“ schauen und weiter Berti Botts Bohnen essen. Vielleicht öffne ich aber auch gelegentlich mal die App, um zu schauen wie sich das Spiel entwickelt. Möglichkeiten zu Erweiterung bietet die zauberhafte Welt allemal.


Image by Niantic / Portkey Games

Das Internet ist sein Zuhause, die Gaming-Welt sein Wohnzimmer. Der Multifunktions-Nerd machte eine Ausbildung zum Programmierer, schreibt nun aber lieber Artikel als Code.


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