Hate Speech in den sozialen Medien ist noch immer ein zunehmend stärker werdendes Problem. Das zeigt auch die jährlich durchgeführte Forsa-Studie der Landesanstalt für Medien NRW. Von 2020 auf 2021 stieg die sehr häufige und häufige Wahrnehmung von Hate Speech von 34 auf 39 Prozent. Zugleich nahm auch die Angst zu. 42 Prozent gaben 2021 an, Angst vor Hate Speech zu haben – im Vorjahr waren es noch 34 Prozent.
Doch es gibt auch einen Lichtblick: Hate Speech in den sozialen Medien wird mittlerweile wahrgenommen und auch immer mehr dagegen getan. Unter den 25- bis 44-jähjrigen gaben 53 Prozent der Befragten an, sich mit Hasskommentaren beschäftigt zu haben. Im Vorjahr waren es noch 42 Prozent. Einen ähnlichen Anstieg gab es auch bei der Meldung von Hassrede und bei der Suche nach dem Dialog mit ihren Verfassern.
Auch wir möchten für das Thema sensibilisieren und mögliche Gegenmaßnahmen aufzeigen, um gegen Hate Speech vorzugehen. Denn ob direkt betroffen oder nicht: Das Thema geht uns alle an.
Was ist Hate Speech?
Hass kann im Internet viele Gesichter haben. Hate Speech in den sozialen Medien kann manchmal direkt auf einzelne Personen abzielen. So beispielsweise im Fall Drachenlord, einem YouTuber, dessen Hater seit Jahren sogar schon direkt vor seinem Haus auftauchen. Hassrede kann aber ebenso auf ganze Personengruppe abzielen.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeiten im Internet und den Sozialen Medien sind sogar die häufigste Art der Hate Speech. Diese umfasst Stereotype, Vorurteile und Diskriminierungen gegen Menschen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Zugehörigkeit zu einer benachteiligten Gruppe unserer Gesellschaft. Wenn Menschen abgewertet, angegriffen oder wenn sie zu Hass oder Gewalt aufgerufen werden, spricht man von Hate Speech.
Menschen(-gruppen) erfahren durch Hate Speech u.a.: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus , Sexismus, Homo-und Transphobie, Antiziganismus, Ableismus, Klassismus und Lookismus. Die Aufzählung könnte noch lange weitergehen. Hate Speech trifft aber auch diejenigen, die sich gegen Menschenfeindlichkeit und für die Zivilgesellschaft einsetzen. Auch sie sehen sich schnell dem Hass gegenüber, gegen den sie einstehen.
In vielen Fällen zielt Hassrede bewusst darauf ab, Personen oder Personengruppen zu beleidigen. Manchmal entstehen Beleidigungen aber auch unbewusst. Mangelndes Wissen kann ebenso wie fehlende Empathie dazu führen, dass man Personengruppen ungewollt beleidigt. Es reicht schon ein grenzwertiger, aber eigentlich nicht böse gemeinter Witz aus, der sich als einer von vielen kleinen Stichen am Ende aufsummiert. Dass sich immer mehr Nutzer mit Hate Speech im Internet – aber auch in der analogen Welt – beschäftigen, ist zumindest ein Schritt zu mehr Bewusstsein für die eigenen Worte.
Folgendes Video der Deutschen Sportjugend setzt mit empowerndem Umgang ein Zeichen gegen Hass und Hetze im Netz und zeigt wie radikal-verletzend Hasskommentare sind.
Die aktuelle Problematik von Hate Speech
Die Aufgabe für die erfolgreiche Bekämpfung von Hate Speech sollte sein, die freie Meinungsäußerung in Einklang mit der Nichtdiskriminierung zu bringen. Es scheitert vor allem an fehlenden Regularien, Sanktionen und Einrichtungen bzw. Anlaufstellen, sowie der Herausforderung der Überwachung und zeitnaher Reaktionen der Deeskalation.
Fehlende und uneinheitliche Regularien
Die Problematik von Hate Speech in den Sozialen Medien liegt zum einen darin, dass die Macht für die Regulation und Verfolgung der Hassrede bei den großen Tech-Unternehmen Facebook, Google und Co. liegt. Zum anderen liegen keine weltweit-einheitlichen Regularien zur Verhinderung und Bekämpfung von Hate Speech vor.
Die Mitgliedsländer der EU besitzen beispielsweise jeweils unterschiedliche Gesetze zur Bekämpfung von Hate Speech in den Sozialen Medien. Dennoch halten sie sich an gemeinsame Grundrechte. Dabei spielt auch die EU eine entscheidende Rolle, sie haben sich mit den großen Tech-Unternehmen auf einen Verhaltenskodex geeignet. Sie verpflichten sich, von Nutzern gemeldete Beiträge zu überprüfen und solche die gegen EU-Standards verstoßen innerhalb von 24 Stunden zu löschen
In den USA besitzen die Sozialen Medien einen größeren Ermessungsspielraum, wobei jede soziale Plattform ihre eigenen Standards besitzt. Das Telekommunukationsgesetz aus dem Jahr 1996 (!) befreit Tech-Plattformen weitreichend von der Haftung für strafbare Äußerungen ihrer Nutzer. TV-Sender oder Zeitschriften können beispielsweise verklagt werden bei Veröffentlichung von diskriminierenden oder falschen Informationen. Soziale Medien machen sich dabei nicht strafbar.
Die Herausforderung der Überwachung von Hate Speech
Social Media Plattformen verlassen sich auf eine Kombination aus künstlicher Intelligenz, Nutzermeldungen und Mitarbeitern, die als Moderatoren bekannt sind, um ihre Regeln für angemessene Inhalte durchzusetzen. Weltweit surfen etwa 4 Milliarden Personen im Internet und verbringen den Großteil ihrer Zeit auf einigen wenigen Sozialen Medien. Allein in Deutschland ist fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung auf solchen Plattformen vertreten. Als Beispiel: 28 Millionen Personen sind in Deutschland auf Facebook erreichbar. Durchschnittlich verfassen Nutzer*innen fünf Kommentare pro Monat. Hinzu kommen noch Beiträge, Videos und Fotos.
Diese Masse lässt sich nicht komplett durch Personal überprüfen, sodass es Filter benötigt, um potentielle Hassrede zu entdecken. Zudem ist ein permanentes Abhören auf den sozialen Medien – auch wenn man sowieso öffentlich schreibt – auch wieder bedenklich, gerade wenn man das Abhören in die analoge Welt überträgt. Dabei wird vieles bereits gefiltert durch Content-Moderatoren.
Für die Moderatoren sozialer Netzwerke ist die Hassrede ebenso eine große Belastung, die auch zu regelrechten Traumata führt. Es kommt nicht selten vor, dass Videos von Straftaten (Hinrichtungen, Belästigungen, Vergewaltigungen) ihren Weg auf die Social Media Plattformen finden. Moderatoren sehen solche Inhalte in großer Zahl, sehen ständig die tiefsten Abgründe des Internets, gehen mit diesen Eindrücken nach Hause und müssen versuchen, sie nicht zu nah an sich rankommen zu lassen. Oft gibt es dazu nicht einmal eine Schulung oder einen Psychologen im Unternehmen. Das Y-Kollektiv hat Content-Moderatoren zu Wort kommen lassen – kein Video für schwache Gemüter:
Weitere Gegenmaßnahmen sind erforderlich!
Mittlerweile findet das Thema Hate Speech auch zunehmende Beachtung in den Medien. Trotzdem ist noch Luft nach oben für mehr Debatten-Formate, wissenschaftliche Forschungsprojekte, Fortbildungsprogramme und Kampagnen für mediale Diversität, um das Problem noch stärker ins Bewusstsein zu rücken.
Des Weiteren müsse es eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene von Hate Speech geben mit unkompliziertem und barrierefreiem Zugang. Es geht vor allem darum, eine zentral zuständige Meldestelle mit geschultem Personal zu errichten, um Hassnachrichten, im besten Fall anonym, zur Anzeige bringen zu können. Aktuell gibt es dafür mit HateAid nur eine inoffizielle Anlaufstelle, die wir euch am Ende unter unseren Links noch vorstellen.
Auch auf den Plattformen selbst muss das Recht besser durchgesetzt werden, um von der Verbreitung von Hate Speech abzuschrecken. Die veraltete Rechtslage in den Vereinigten Staaten erschwert die Strafverfolgung dabei besonders. 2021 trat zumindest in Deutschland ein neues Gesetzpaket gegen Hass und Hetze in Kraft. Dies umfasst nicht nur einige Erweiterungen und Verschärfungen des Strafgesetzbuches, sondern verpflichtet Soziale Netzwerke seit Februar 2022, besonders schwere Fälle dem Bundeskriminalamt zu melden. Zum Schutz vor Bedrohung und Nachstellung wurden außerdem Auskunftsperren im Melderecht erleichtert.
Künftig braucht es aber Qualitätsstandards und Leitlinien für die Online-Kommunikation. Sie ermöglichen es Mitarbeiter*innen von betroffenen Organisationen, konstruktiv zu kommunizieren und sich öffentlichen Diskursverschiebungen entgegenzustellen. Erst mit der eigenen Verortung der Position können Vertreter einer Organisation auf sozialen Plattformen diese Position auch umsetzen.
Darüber hinaus ist es wichtig, die digitalen Kompetenzen durch Bildungsarbeit zu stärken. Dafür braucht es nicht nur Personal, dass sich auf den sozialen Medien auskennt, sondern auch Vorbilder, die diese Achtsamkeit vorleben. Kampagnen mit Influencern können mehr bewegen, als wenn man nur den mahnenden Zeigefinger hebt.
Hilfe und Strategien gegen Hate Speech
Im Umgang mit Hass im Netz und Hate Speech gibt es verschiedene Gegenstrategien. Die Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung nennt Ignorieren, Moderieren, Diskutieren und Ironie als mögliche Maßnahmen. Keine Variante ist dabei universell einsetzbar und können die Fronten teils sogar verhärten. Auch hat nicht jeder die Kraft, sich gegen die Hassrede zu wehren. Betroffene leiden sowohl physisch als auch psychisch unter den Auswirkungen von Hate Speech. Dazu gehören unter anderem ein geringes Selbstbewusstsein, eine geminderte Leistungsfähigkeit, Ess- oder Schlafstörungen, Panikattacken und im Extremfall Selbstmordgedanken.
Folgende Links können euch im Kampf gegen Hate Speech unterstützen.
Telefonseelsorge: Falls ihr unter Hassrede und mit einem Menschen über eure Ängste, Gefühle und Sorgen sprechen möchtet oder ähnliche Probleme habt: Meldet euch bei eurer Familie, Freunden, Bekannten, Ärzten. Ihr könnt euch auch anonym per Chat, E-Mail oder Telefon über die Telefon-Seelsorge melden.
HateAid: Eine gemeinnützige GmbH, die kostenlose Beratung und Prozesskostenübernahme für Betroffene digitaler Gewalt anbietet und unter anderem vom Justizministerium gefördert wird. HateAid ist eine gute erste Anlaufstelle, die euch weitere Schritte aufzeigen kann.
NetzBeweis: Ein Tool, um Internetseiten oder Social Media Posts als nichtveränderbares PDF-Dokument mit Zeitstempel abzuspeichern. Vor Gericht hat das deutlich mehr Gewicht, als Screenshots, bei denen wichtige Angaben fehlen und die bei gelöschten Posts oft nicht zurückverfolgbar sind.
Wayback Machine: Ein Internet-Archiv, das Momentaufnahmen von Internetseiten erstellt. Legt man diese als Beweis vor, erscheint eine Seite genau so, wie sie zu dem Zeitpunkt aussah, selbst wenn der Inhalt mittlerweile gelöscht wurde.
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