Leicht verständliche Spiele, simple aber perfektionierte Game-Mechaniken und sowas wie eine Art Bootcamp für angehende und auch erfahrene Game-Entwickler*innen. Das sind Hyper Casual Games. Ein Phänomen, von dem viele in Deutschland noch nie gehört haben, auch wenn wir euch garantieren können, dass ihr mit ihnen schon längst in Berührung gekommen seid. Öffnet ihr den App Store eurer Wahl und schaut euch mal die Charts der kostenlosen Spiele an, dann findet ihr darunter garantiert Hyper Casual Games. In diesem Artikel erklären wir euch, was Hyper Casual Games eigentlich sind, wer sie produziert, wieso sie so spannend sind und wie ihr vielleicht selbst in die Welt der Hyper Casual Games eintauchen könnt. Dafür haben wir uns mit Christoph Sachsenhausen unterhalten. Er ist Geschäftsführer von Sunday, einem erfolgreichen deutschen Publisher und Produzent von Hyper Casual Games.
Was sind Hyper Casual Games?
Casual Gaming bezeichnet eine Form des eher “entspannten” und gelegentlichen Spielens. Das ist für sich genommen aber noch kein Spiele-Genre. Die Hyper Casual Games treiben das “gelegentliche” Spielen auf die Spitze – sagt ja auch der Name schon. Es handelt sich dabei um Mobile Games, die so simpel sind, dass sie sich innerhalb weniger Sekunden verstehen und sofort spielen lassen.
Oft bauen Hyper Casual Games nämlich auf einer sehr einfach zu begreifenden Mechanik auf. Diese ist so gut umgesetzt, dass sie maximal spaßig ist. Diese geringe Hürde macht Hyper Casual Games zu Spielen, die sich jederzeit und sofort spielen lassen. Ob mal kurz ein Level beim Warten auf den Bus oder zwei Stunden Abends auf dem Sofa – Hyper Casual Games lassen sich nahezu immer und überall spielen.
Und genau das macht sie attraktiv für Publisher und Vermarkter. Denn die Zielgruppe für diese Art Mobile-Game besteht aus “allen Menschen mit einem Smartphone”. Hyper Casual Games sind für jeden zugänglich. Hier liegt eine Menge Potential für Publisher, aber auch für angehende und junge Entwickler*innen, in die Gamesbranche einzutauchen und Erfahrungen zu sammeln.
Wie werden Hyper Casual Games entwickelt?
Die Entwicklung von Hyper Casual Games ist etwas ziemlich besonderes. Der Prozess ist schnell, zahlengetrieben und aufregend. Er unterscheidet sich stark von dem in der “klassischen” Games-Industrie. Wir haben Sunday-Geschäftsführer Christoph Sachsenhausen gefragt, was Hyper Casual Games in der Entwicklung von klassischen Games unterscheidet.
“Unsere Target Audience ist jeder Mensch, der ein Smartphone besitzt. Egal welches Alter, egal welches Geschlecht, egal welcher Hintergrund’.” – 5:21
Die Konkurrenz um die Spitze der App-Store-Charts ist hoch. Laut Christoph ist es deshalb entscheidend, den Markt zu kennen, ihn regelmäßig zu analysieren und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Fragen wie “Was funktioniert gerade?”, “Was funktioniert nicht?” und “Wie können wir etwas eigenes daraus machen?” sind dabei wichtig.
Der erste Prototyp
Die Entwicklung von Hyper Casual Games zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie in schnelleren Zyklen vonstattengeht. Bei Sunday arbeiten kleine Teams aus Designer*innen, Entwickler*innen und Technical Artists an immer neuen Prototypen. Ein erster Prototyp bekommt in der Regel nicht mehr als zwei Wochen Entwicklungszeit. Ziel ist es nicht, ein fertiges und poliertes Spiel zu produzieren. Am Ende steht lediglich ein circa 20 sekündiges Gameplay-Video, das mit Hilfe dieses ersten Prototypen erstellt wird.
Testen des Prototypen
Das Gameplayvideo wird anschließend als Ad bei Facebook und Instagram veröffentlicht mit der Aufforderung, das Spiel auf dem Handy der User*innen zu installieren. Da sich das Mobile Game zu diesem Zeitpunkt noch in einem sehr unfertigen Stadium befindet, ist die Audience, die diese Anzeige zu sehen bekommt, noch sehr klein. Hier geht es nicht darum, möglichst viele Downloads zu generieren. Das Ziel besteht darin, herauszufinden, ob das Spiel, das aus dem Prototypen mal entstehen kann, genügend Spieler*innen anlocken wird und ob es sich lohnt, es überhaupt zu entwickeln.
Die Kriterien, die es zu diesem Zeitpunkt erfüllen muss, sind allerdings extrem hoch. Damit ein Game weiterentwickelt wird, müssen etwa 10-20 Prozent der Nutzer*innen, die das Video sehen, auf die Anzeige klicken. Zum Vergleich: Im klassischen E-Commerce rechnet man mit 1-2 Prozent Klickrate.
Ausbauen des Prototypen
Hat das Hyper Casual Game diese erste Hürde genommen und zeigt Potential, dann wird es ausgebaut zu einem sogenannten Minimum Viable Product (auch mit MVP abgekürzt). Die Mechanik wird verfeinert, es werden mehr Level erstellt und Bugs und Fehler werden behoben. Ziel ist es, hier ein Spiel zu entwickeln, das wirklich Spaß macht und gespielt werden kann.
Sammeln von Nutzungsdaten
In diesen ausgebauten Prototypen werden dann einige Tracking-Funktionen eingebaut. Hier geht es in erster Linie darum, zu verstehen, wie Nutzer*innen mit dem Spiel interagieren. Hier wird primär gemessen, wie lange Spieler*innen das Spiel pro Tag spielen und wie viele Leute das Spiel auch noch an Tagen nach der Installation spielen. Gut sind laut Christoph Verweildauern von 10-20 Minuten und eine Wiederkehr-Rate von etwa 40 Prozent.
Verbesserung des Spiels und Integration von Werbung
Nachdem das Spiel auch die letzte Hürde genommen hat, wird Werbung integriert – irgendwie muss sich die ganze Unternehmung schließlich finanzieren – und es werden weitere Features neben der eigentlichen Mechanik eingebaut. Zum Beispiel ein Ingame-Shop oder ein Leaderboard, in dem Highscores verglichen werden können. Im Kern steht aber immer noch die sehr simple Mechanik, die jeder versteht und die in erster Linie einfach Spaß macht.
Hyper Casual Games in Deutschland?
Hyper Casual ist international zwar ein großes Phänomen und doch ist es in Deutschland unterrepräsentiert. Aber woran liegt das? Christoph Sachsenhausen hat uns erklärt, dass diese Art, Spiele zu entwickeln, nicht ganz dem deutschen Mindest entspricht:
“Wir in Deutschland sind normalerweise nicht so sehr darauf ausgerichtet, vorne bei den Trends mitzuschwimmen. Bei uns geht es eher um das, was bewährt ist.”
Im Hyper Casual geht es um schnelle Iterationen und einen sehr zahlengetriebenen Prozess. Deutschland als Ingenieurland neigt allerdings eher dazu, alles auf ein sehr solides und wohl überlegtes Fundament zu setzen. Das was sich bewährt hat, ist gut. Grundsätzlich muss das auch gar nicht schlecht sein. Nur eben für den Hyper Casual-Markt ist dieser Ansatz nicht ganz tauglich. Dennoch schläft die Szene nicht und nach und nach erweitert sich der Markt für Entwickler*innen & Publisher auch bei uns.
Zudem wird gerade bei angehenden Entwickler*innen laut Christoph wohl häufig etwas skeptisch geguckt, wenn es um das Thema Mobile Gaming geht. Denn klar, Videospiele sind Kunst! Wohl durchdachte Indie-Titel oder auch großartige neue AAA-Titel sind häufig absolute Meisterwerke. Viele wollen lieber diese Spiele machen und sich hier selbst verwirklichen. Es herrscht der Glaube, dass kleine Hyper Casual Games im Grunde keine richtigen Games seien. Das stimmt aber nicht. Sie sind eben sehr viel zugänglicher und bedienen eine andere Zielgruppe. Sunday hat es sich zur Aufgabe gemacht, hier in Deutschland Aufklärungsarbeit zu leisten und das Thema Hyper Casual Gaming nach vorne zu treiben.
Hyper Casual Games als Spielwiese für angehende Game Designer*innen!
Natürlich sind Hyper Casual Games wie Cat Escape von Sunday und der Indie-Klassiker Limbo zwei grundverschiedene Spiele. Und wer gerne in aller Ruhe künstlerische Games machen möchte, der wird im Hyper Casual nicht glücklich.
Hyper Casual ermöglicht es uns aber, in kurzer Zeit, an sehr vielen verschiedenen Spielen zu arbeiten und sehr viel zu lernen. Laut Christoph bietet Hyper Casual eben die Möglichkeit schnell viel über Games und ihre Funktion zu lernen:
“Bei einem großen AAA-Studio baust du erstmal ein halbes Jahr lang an einem 3D-Modell von einem Baum und hoffst, dass es dann ein paar mal verwendet wird. Im Hyper Casual dagegen arbeitest du an vielen Games und lernst, wie Games funktionieren.”
Während Game Designer*innen in großen Studios also teilweise über Monate an ein und derselben Mechanik sitzen und Entwickler*innen im selben Zeitraum dasselbe System optimieren, sieht das im Hyper Casual ganz anders aus. Hier haben Entwickler*innen und Designer*innen im selben Zeitraum an verschiedenen Games mit verschiedenen Mechaniken mit ganz unterschiedlichen Logiken und Artstyles gearbeitet.
“Die Kreativität, die Hyper Casual Game Entwickler*innen an den Tag legen, ist eine sehr evolutionäre Kreativität. Wir arbeiten durchaus mit Restriktionen. Manchmal ist es besser, etwas zu nehmen, das schon da ist und daran etwas zu modifizieren.”
So lässt sich schnell Erfahrung aufbauen. Wer von den schnellen Iterationen und der steilen Lernkurve im Hyper Casual angefixt ist, kann diese Erfahrung wunderbar nutzen, um besser zu werden. Wer sagt: “Ich möchte jetzt doch nochmal mein Traumspiel entwickeln”, der ist bereits in die Videospielindustrie eingestiegen und ist um eine Menge Erfahrung reicher.
Was müssen Hyper Casual Game-Entwickler*innen können?
Das Skillset umfasst auf technischer Ebene das eines Informatik-Studierenden. Ihr solltet euch grundsätzlich mit dem Programmieren auskennen. Auch sind Kenntnisse in der Game Engine Unity von Vorteil, da diese eigentlich die Basis für die meisten Mobile-Games darstellt. Zudem sind Kenntnisse in 3D-Software wie Blender und in Grafiksoftware wie von Adobe gut. Wenn ihr all diese Tools beherrscht, seid ihr bestens für die Arbeit in Hyper Casual gerüstet.
Wie Christoph Sachsenhausen uns allerdings erklärte, braucht es noch weitere Fähigkeiten. So sollten Entwickler*innen und Designer*innen sehr frust-tolerant sein. Denn durch den beschriebenen Prozess schaffen es bei 100 Prototypen im besten Falle lediglich eine Handvoll. Es ist also Teil des Prozesses, dass viele eurer Prototypen verworfen werden. Christoph sagt auch, dass das Mindset generell stimmen muss. Wer gerne lange bastelt und optimiert und versucht, seinen Code perfekt zu gestalten, der ist hier nicht ganz richtig. In Hyper Casual geht es darum, erstmal schnell viel Output zu kreieren. Die Codebase darf dabei auch erstmal eine krude Ansammlung von Fixes und Workarounds sein.
“Die besten Kreativler, die ich kenne, haben die Passion und den Anspruch, etwas tolles zu bauen, ohne sich aber mit diesem Überperfektionismus selbst im Weg zu stehen.”
Was kann man als Hyper Casual-Entwickler*in verdienen?
Natürlich steht bei solchen Themen auch immer die Frage nach dem Gehalt im Raum! Was kann so ein*e Hyper Casual Game-Entwickler*in eigentlich verdienen? Hier ist es schwierig, eine pauschale Antwort zu geben. Es kann natürlich sein, dass ihr eine Festanstellung bei einem Publisher wie Sunday direkt bekommt. Dort verdient ihr dann ein festes Monatsgehalt.
Solltet ihr ein eigenes Studio gründen wollen und eure Prototypen bei Publishern einreichen wollen, dann ist es üblich, dass ihr pro Prototyp bezahlt werdet. Bei Sunday bekommen externe Studios pro Prototyp 750 bis 1500 Euro. Sollte es dazu kommen, dass das Spiel dann ein Hit wird, teilen sich Firmen wie Sunday den Umsatz mit den Studios.
Hyper Casual GAME JAM von Sunday und den Netzpiloten!
Noch wird Hyper Casual in Deutschland unterschätzt. Wir hoffen, dass wir euch zeigen konnten, wie spannend diese Branche ist. Uns hat das Thema auf jeden Fall begeistert! Die Einstiegshürde ist relativ gering und das Feld bietet einen super Einstieg für die Branche.
Aus genau diesem Grund veranstalten wir vom 19.09. bis zum 30.09. gemeinsam mit Sunday einen Game Jam, in dem ihr den oben beschriebenen Prototyping-Prozess durchlaufen könnt. Hier gelangt ihr zur Anmeldung für den Game Jam.
Gemeinsam in Teams werdet ihr in diesen zwei Wochen einen ersten Game-Prototypen entwickeln. Sunday wird diese Prototypen dann durch das beschriebene Testverfahren führen und feststellen, ob sich euer Game als ein potentieller Hit herausstellt. Wer weiß? Vielleicht ist das ja der beginn eurer Hyper Casual Karriere. Auf die Platzierungen eins bis drei warten diverse Sachpreise im Wert von mehreren Tausend Euro, um euch daneben einen Anreiz zu bieten, euer Bestes zu geben. Wir freuen uns schon jetzt auf eure Teilnahme und Ergebnisse!
Fotos: @sunday
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