Der #ichMOOC – Nichts für die Web-Schickeria

Im Interview erklären Nina Oberländer (Bremer VHS) und Joachim Sucker (VHS Hamburg) den MOOC „Mein digitales Ich“. // von Kristin Narr

#ichMOOC:  Joachim Sucker und Nina Oberländer (Image: Jöran Muuß-Merholz, CC BY 4.0)

Massive Open Online Courses (MOOC) gewannen in den vergangenen Jahren verhältnismäßig schnell an Fahrt. Große Universitäten führten Kurse mit teilweise hunderten Teilnehmenden durch, erste Wettbewerbe fanden statt und spezielle MOOC-Plattformen wurden entwickelt. Neben den Hochschulen wenden sich zunehmend auch andere Bildungsbereiche dem Format zu. Am 28. Mai 2015 startet der MOOC „Mein digitales Ich“ (kurz #ichMOOC genannt). Die Veranstalter sind die Volkshochschule Bremen und Hamburg, gemeinsam mit der Fachhochschule Lübeck. Für Netzpiloten.de sprach Kristin Narr mit den Machern Nina Oberländer (Bremer VHS) und Joachim Sucker (VHS Hamburg).

Kristin Narr: Euer MOOC nennt sich „Mein digitales Ich“, es geht also um die eigene Identität im Netz. Wie seid ihr auf das Thema gekommen?

Joachim Sucker: Wir Volkshochschulen veranstalten viele Kurse zu den sozialen Netzwerken. Oft geht es dabei um technische Fragen, wie beispielsweise „Wie melde ich mich an?“ oder „Wo sind die Einstellungen zum Datenschutz?“. Alles wichtige Fragen, aber wir wollten in die Tiefe gehen und Fragen zur Identität beantworten.

Nina Oberländer: Genau, wir brauchen in der digitalisierten Gesellschaft eine Sensibilisierung für das digitale Ich. Das ist der Ausgangspunkt für ein guten Umgang mit den Veränderungen.

KN: Wie werdet ihr euch dem Thema annähern und gibt es Schwerpunkte, die ihr bearbeiten wollt?

NO: Das Thema an sich ist sehr breit und ziemlich abstrakt. Deswegen gehen wir schrittweise vor und haben uns Jöran Muuß-Merholz mit an Bord geholt, ein Profi wenn es um das verständliche Erklären komplexer Inhalte geht. Wir beginnen bei „Mein digitales Ich im Netz“, also der eigenen Selbstdarstellung und Profile (Expertin: Kixka Nebraska), über „mein digitales Ich und die Anderen“ (Experten: Ibo Evsan und Holger Ahrens), bei dem es um Kontakte und Communities geht, bis hin zu Stress durch Soziale Netzwerke (Experte: Maria-Christina Nimmerfroh und Dr. Ralph-Oliver Graef) und Fragen wie „Was machen Maschinen aus meinen Spuren?“ (Experte: Netzpiloten-Projektleiter Tobias Schwarz).

KN: MOOCs sind in aller Munde. Ungewöhnlich scheint zunächst, dass hier Volkshochschulen die Anbieter sind. Warum habt ihr euch für das Format MOOC entschieden?

NO: MOOCs, vor allem die cMOOC-Variante, sind für mich die digitale Entsprechung eines VHS-Kurses, in dem auch viel kollaborativ und voneinander gelernt wird. Die Menschen wollen beim Lernen ernst genommen werden und nicht nur als passive Rezeptoren für Wissensvermittlung von Person A auf Person B gesehen werden. MOOCs vermitteln mir die Hoffnung, dass jede und jeder sich einen Lernweg selber suchen kann und dabei von den Lernbegleitern aber auch von anderen MOOC-Teilnehmern Unterstützung erfährt. So ein Wandeln im Lernen wird sich nicht von heute auf morgen vollziehen. Aber es gibt einen ersten Schritt und den möchten wir für VHS mit diesem Format des ichMOOCs mitgehen.

JS: Und es gibt noch einen Grund, warum MOOCs so interessant sind: Neben dem Experimentieren mit Bildung ist es natürlich auch Marketing für die Veranstalter. Die Hochschulen wollen neue Zielgruppen in der Weiterbildung ansprechen, wir wollen andersherum auch unsere Zielgruppen erweitern. Es macht dabei ja keinen Sinn, die bisherigen Kunden allein anzusprechen, sondern diejenigen, die mit Volkshochschulen immer noch den elterlichen Muff verbinden. Wir wollen zeigen, dass VHS im digitalen Zeitalter angekommen ist.

KN: Volkshochschulen und digitale Themen und Formate passen auf den ersten Blick nicht sofort zusammen. Wo seht ihr die Potenziale, aber auch Herausforderungen in der Verbindung MOOCs und Volkshochschulen?

JS: Wir Volkshochschulen sind kommunal teilfinanziert und organisiert, indem wir Bildung für die Menschen aus der Region anbieten. In Zeiten digitaler Bildung weichen die Grenzen auf. Damit verlassen wir den kommunalen Raum. Und dies ist auch unser Hemmnis. Wir sind einfach für digitale Bildung nicht strukturell aufgestellt. Hier arbeiten wir auf vielen Ebenen für eine Anpassung, denn eines ist uns klar: Bildung ist ein Markt und wenn wir öffentliche Förderung bekommen, dann muss unser Anspruch auch in der besten Bildung münden und dazu gehören digitale Bildungssettings dazu.

NO: Meine Vision für die Zukunft von VHS liegt genau in dieser Spannbreite: zwischen groß und global/digital bis klein und regional verortet. Die Möglichkeiten und die Offenheit des World Wide Web schaffen beim Menschen das Bedürfnis nach direktem Kontakt, nach Glaubwürdigkeit und Vertrautheit. Das kann VHS besonders gut. Wenn ich VHS schon aus meiner Stadt, meinem Quartier kenne, fühle ich, dass ich ihr auch im Internet vertrauen kann. Deswegen ist digitales Lernen eine sehr wichtige Aufgabe für die Volkshochschulen. Denn in der digitalisierten Gesellschaft wird die Weiterbildung eine sehr wichtige Rolle haben, um die Menschen immer wieder bei der Anpassung und dem gesunden Umgang mit den ständigen Veränderungen zu unterstützen. Außerdem bieten Volkshochschulen ein sehr großes Netzwerk an Standorten. Hierin sehe ich die Chance MOOCs an Volkshochschulen gleich von Anfang an mit Präsenz für viele zu verbinden. Ähnlich wie es für die nächste Generation MOOCs, den MOOC 4.0 beschrieben wird.

JS: Und noch etwas anderes treibt uns um: Die Digitalisierung der Gesellschaft beginnt erst. Martin Lindner hat diesen Prozess einmal als „digitalen Klimawandel“ bezeichnet. Wer erklärt den Menschen, was auf sie zukommt. Das darf nicht in Talkshows oder Fachzirkeln an Hochschulen enden. Auch nicht auf hippen Veranstaltungen, wo sich die Web-Schickeria abfeiert, sondern es muss als Form der digitalen Grundbildung über ganz Deutschland hinweg, bis in den ländlichen Raum transportiert werden. Die Risiken einer abgekoppelten großen gesellschaftlichen Gruppe sind enorm. Demokratie braucht Bildung sagen wir Volkshochschulen und deshalb braucht es eine Übersetzung dieser digitalen Revolution für alle.

KN: Neben den geplanten Inputs von Expertinnen und Experten, werden auch physische Treffen der Kursteilnehmenden ermöglicht. Könnt ihr einmal erklären, was sich hinter den MOOCbars verbirgt?

JS: Gerne wollen wir Menschen die Gelegenheit geben, zusätzlich Face-to-Face über die Themen zu sprechen. Das erhöht die Motivation bis zum Ende dabei zu bleiben, auch sind nicht alle bereit im Netz öffentlich mit einer unbekannten Anzahl von Menschen zu kommunizieren. In lockerer Atmosphäre können die Themen vertieft werden. Alle MOOCbars werden an drei Terminen zur selben Zeit am selben Tag geöffnet. Zu Beginn werden wir mit einen Experten-Live-Interview zusätzliche Themen ansprechen. Es werden ca. 50 Veranstaltungsorte (MOOCbar-Karte) dabei sein, aus Österreich, Italien und Deutschland.

NO: Wichtig ist mir mit diesen regionalen Treffen die Hemmschwelle für Menschen zu senken, die sich mit ihrem digitalen Ich auseinandersetzen möchten, aber noch kein Gefühl für die Art der Öffentlichkeit im Netz haben. Diese können in einem geschützten Raum ihre Fragen stellen, entscheiden, was das Netz für Chancen für sie bietet und wie sie ihre Ziele erreichen können.

KN: Welche Rolle spielen Open Educational Resources (OER) in eurem Kurs?

JS: Der Kurs wird komplett als OER angeboten. Alle Materialien sind nach dem MOOC frei verfügbar. Wir hoffen, dass diese Materialien Grundlage einiger anderer Bildungsangebote sein können. Hier hat Oncampus, unser Partner als MOOC-Plattform eine deutliche Haltung, die wir gerne mittragen.

KN: Im Projekt habt ihr viele weitere Volkshochschulen als Veranstalter und Partner dabei. Wie geht es danach weiter, sind weitere Kurse geplant?

JS: Dieser MOOC ist die Initiative einzelner Mitarbeiter. Den #ichMOOC möchten wir gerne wiederholen und zwar im Frühjahr 2016. Das passt gut, denn im Juni findet in Berlin der VHS-Tag statt. Das Thema wird „VHS in der digitalen Gesellschaft“ sein. Aber erst einmal muss die Finanzierung stehen. Wir werden sicherlich über unterschiedliche Finanzierungsmodelle sprechen müssen. Jetzt sind wir erst einmal froh, dass sich die VHS Salzburg und der Bayerische Volkshochschulverband als Partner eingebracht haben. Es braucht solche mutigen Partnerschaften, um andere zu überzeugen. Und besonders freuen wir uns über die mutige Partnerschaft, die die FH Lübeck mit uns eingegangen ist. Hochschule und VHS sollten viel mehr digital kooperieren.

KN: Vielen Dank für das Gespräch, Nina und Joachim! Und viel Erfolg bei eurem #IchMOOC.


Teaser & Image by Jöran Muuß-Merholz (CC BY 4.0)


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ist Medienpädagogin. Sie interessiert sich dafür, was Menschen mit digitalen Medien machen und wir sie mit ihnen lernen und aktiv werden können. Bei Twitter ist sie unter @la_fool zu finden. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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