Noch befindet sich die digitale Technik im Embryonenzustand, wie es Christoph Kappes ausdrückt, aber schon jetzt verspüren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft die Eruptionen der neuen Netzwirklichkeit. In der Musikindustrie bleibt kein Stein auf dem anderen. Politische Machtkünstler ergeben sich den Shitstorms im Internet, Informationstechnologie wandert in die Computerwolke, Hardware-Produzenten erleben die Pulverisierung ihrer Geschäftsgrundlage und die klassische Telefonie verliert den Boden unter den Füßen, weil Skype und die verschriftete Kommunikation in sozialen Netzwerken die Oberhand gewinnen.
Ideenlos im Netz
„Vergleicht man den Lebenszyklus mit anderen Techniken, befinden wir uns in einem vermutlich noch sehr unausgereiften Stadium. Zehn Jahre nach Erfindung der Radiowellen gab es noch sogenannte ‘Knallfunkensender’, die ohrenbetäubenden Lärm machten und nur wenige Kilometer Reichweite hatten. Der elektrische Strom kam erst in den 1930er Jahren in deutsche Haushalte, 60 Jahre nach der Erfindung des Dynamos durch Siemens und 250 Jahre nach der Entdeckung elektrischer Ladung. Die Automobilindustrie macht auch seit 1970 noch gewaltige Fortschritte bei der Sicherheit, sogar die Schifffahrt wird in den letzten 40 Jahren durch Containerschifffahrt enorm verbessert“, schreibt Kappes in seinem Papier für Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft”.
Platon und der kommunikative Kontrollverlust
Regelfreie und flüssige Kommunikation in losen und netzartigen Strukturen, das unadressierte Senden, Folger-Strukturen, Mikrokommunikation und Instant-Kommunikationsakte wie Gefällt mir-Entscheidungen sind wichtige Stichworte, die die asynchrone Kommunikation des Netzes recht gut beschreiben. Man kann es auch in den Worten von Gerhard Wohland, Leiter des Instituts für dynamikrobuste Höchstleistung http://www.comperdi.de/home.html , ausdrücken: Es breitet sich eine Kommunikation unter Abwesenden aus. „Das ist allerdings schon in der Antike so gewesen. Sokrates wetterte gegen die Schrift. Erst Platon hat aufgeschrieben, was Sokrates gesagt hat. Der hat den Braten gerochen. Wenn ich aufschreibe, was ich denke und was ich sage, dann kann sich jeder Hinz und Kunz darüber her machen“, sagt Wohland. Man gibt etwas aus der Hand. Deshalb ist es auch so falsch, soziale Netzwerke als „Kanal“ zu bezeichnen. Das insinuiert Steuerbarkeit und Kontrolle, also das Kanalisieren von Kommunikation. Das findet aber nicht mehr statt: Gewissheiten, die irgendwelche Social Media-Schlaumeier täglich verkünden, sind schlichtweg unsinnig und leeres Geschwätz.
Digitale Infrastruktur entscheidet über Sieg und Niederlage
Man wisse erst hinterher, wozu etwas gut sei, so der Organisationswissenschaftler Wohland. Das entbinde nicht von der Notwendigkeit, kreative Ideen für die digitale Welt zu entwickeln. Vor einer ähnlichen Situation stand Deutschland im 19. Jahrhundert. Es waren wenige geniale Persönlichkeiten, die das Wagnis der Telekommunikation eingegangen sind, ohne zu wissen, welche wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen die neuen Technologien haben. Es war der Staatsbeamte und Reichpostmeister Heinrich von Stephan, der den Bau eines unterirdischen Telegraphennetzes veranlasste nach den verheerenden Stürmen im Jahr 1876. Mit einer Reichsanleihe wurde innerhalb von sechs Jahren die technisch beste und modernste Telegraphen-Anlage der Welt gebaut. Schon am 26. Juni 1881 konnte Kaiser Wilhelm die Fertigstellung eines Leitungsnetzes mit 37.373 Kilometern verkündet werden. Eine ähnliche Meisterleistung vollbrachte Stephan bei der Einführung der Telefonie und des internationalen Postverkehrs mit Frachtdampferverbindungen. Nur mit diesen infrastrukturellen Weichenstellungen konnte sich die Industrialisierung entfalten.
Die digitale Infrastruktur wird über Sieg und Niederlage einer vernetzten Ökonomie entscheiden. Das hat der ehemalige IBM-Cheftechnologe Gunter Dueck deutlich zum Ausdruck gebracht. „Schnelle Internetverbindungen sind von riesiger Bedeutung für die Wirtschaft, betont auch Kanzlerin Merkel immer wieder. Doch der Netzausbau läuft schleppend, vor allem in der Provinz. Jetzt gesteht die Bundesregierung: Sie wird ihre Breitbandziele wohl verfehlen”, schreibt Spiegel Online-Redakteur Christian Stöcker in einer vorzüglichen Analyse.
Man definiert sich zudem den Breitband-Status schön. Ein Megabit pro Sekunde (Mbit/s) sei schon so etwas wie eine Breitbandverbindung. „Legt man diese Zahl zugrunde, sind nach einem neuen Expertenbericht zum Breitbandatlas des Wirtschaftsministeriums inzwischen 39,4 Millionen oder 98,7 Prozent der Haushalte mit einer Breitbandverbindung ausgestattet. Diese Ziel habe man 2011 ‘mit leichter Verspätung’ erreicht, heißt es jetzt aus dem Wirtschaftsministerium”, so Stöcker.
Dass man sich mit diesen willkürlichen Festlegungen selbst in die Tasche lügt, ist wohl auch der Bundesregierung bewusst. Und was macht der Wirtschaftsminister Rösler? Richtig. Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis oder im Politiker-Neusprech ausgedrückt, einen Breitbandgipfel. So entstehen aber keine Ideen und Visionen. Es mangelt der Beamten-Elite in den Ministerien vor allem an der Einsicht. Erst ab einer Downloadrate von 30 Megabit pro Sekunde könne man von Breitband sprechen, so der Booz-Berater Roman Friedrich. In deutschen Ministerien seien diese Zusammenhänge schlichtweg nicht bekannt: „Man ist stolz darauf, dass wir zwei Megabit haben. Was helfen uns zwei Megabit? Der Markt geht woandershin“, kritisiert Friedrich.
Keine Visionen für Hightech-Kommunikation
Kein Heinrich von Stephan in Sicht. „Dieser Mann hatte Visionen. Die sehe ich bei den politischen Akteuren in Deutschland heute nicht. Es wäre an der Zeit für ein Bekenntnis, die fortschrittlichste, modernste und beste Infrastruktur für Hightech-Kommunikation in unserem Land zu schaffen. Das ist eine nationale Aufgabe. Solange diese Einsicht fehlt, wird nicht viel passieren“, kritisiert Bernd Stahl vom Netzwerkspezialisten Nash Technologies.Stattdessen beschäftigt sich das Bundeswirtschaftsministerium mit kleinkarierten Geheimrunden zur Betonierung des Urheberrechts im Internet. „Solange das Internet immer noch kriminalisiert wird, kann sich nichts ändern. Weil in den Köpfen derer, die Entscheidungen fällen noch nicht angekommen ist, was für Chancen schnelles Internet bietet. Eine Stufe drunter sieht es schon anders aus. Mancher Nachwuchs-Politiker begreift das schnelle Internet auch als Chance“, meint der Journalist Heinrich Bruns.
Dueck spricht von der von der Notwendigkeit einer „strukturkultivierenden Marktwirtschaft“. Der Staat müsse die Infrastrukturen auf die Zukunft ausrichten. Zu einem solchen Schritt würde sich niemand entschließen. Ein superschnelles Internet sei für die Wirtschaft und für die Transformation zur Wissensgesellschaft unabdingbar. „Dieselben Leute, die die 60 Milliarden für die Zukunft nicht geben wollen, argumentieren wie selbstverständlich, dass der entscheidende Anstoß zu Deutschlands Wirtschaftswunder der energische und kompromisslose Ausbau des Autobahnnetzes in den 1960er-Jahren war, der für Deutschland eine moderne Infrastruktur schuf.“ Ein kompromissloser Ausbau des Internets hätte ähnlich dimensionierte positive Auswirkungen.
Ein großer Teil der Wertschöpfung wandere schon jetzt in die digitalisierte und vernetzte Ökonomie, erklärt Stahl. Da gehe schon vieles an Deutschland vorbei.
Quelle/Crosspost: service-insiders
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Schlagwörter: Wandel, web, zukunft