Auf der Berliner Netzkultur Konferenz zum Motto „Identity sucks“ redete Miriam Meckel über die verschiedenen Ausdrucksformen von Identität im Netz. // von Christina zur Nedden
Für unsere Identität ist das Internet Glück und Last zugleich. Einerseits kann man mit einem virtuellen Alter Ego oder Pseudonym aus der Gesellschaft ausbrechen. Die digitale Identität wird zur Chance sich in neuen Öffentlichkeiten einzubringen und online neu zu erfinden. Andererseits neigt man im Netz dazu nur Ausschnitte seiner Persönlichkeit öffentlich zu machen. Identität wird zu einer Best-of-Marke seiner Selbst, die nur die Highlights des eigenen Lebens präsentiert. Das Internet und soziale Netzwerke insbesondere drohen somit nicht mehr als Orte der Selbstdarstellung zu sein, die wenig mit der Realität zu tun hat.
Identität ist eine Art Betriebssystem des Menschen
„Die Digitalisierung bewirkt eine fortwährende Entmaterialisierung. Individualität und Eigensinn gehen verloren„, heißt es in der Einleitung zu Prof. Dr. Miriam Meckels jüngstem Essay „Wir verschwinden – der Mensch im digitalen Zeitalter“. Miriam Meckel ist Direktorin des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement und Professorin für Corporate Communication an der Universität St. Gallen. Am 22. Februar sprach sie auf der dritten Netzkultur Konferenz, die unter dem Motto „Identity sucks“ im Haus der Berliner Festspiele stattfand.
Miriam Meckel erklärt Identität als eine Art Betriebssystem über das sich der Mensch definiert. Identität entsteht in einem ständigen Wechselspiel aus Inklusion und Exklusion. Wichtig ist dabei der „notwendige dritte„, denn der Mensch formt sich in Interaktion und sozialer Kommunikation mit Anderen und niemals alleine. Das Internet dient der Identität als Theaterbühne; es agiert als virtueller Spiegel unserer Selbst. Weniger als ein „Dritter„, der sich aktiv mit einem Menschen austauscht, ist das Internet ein Ort der „Ich-zentrierten Interaktion„, so Prof. Meckel. Als zeitgemäßes Beispiel nennt sie Selfies, die sie als „Selbstbespiegelung über das Smartphone“ bezeichnet. Die Schattenseite dieses Verhaltens ist, dass Algorythmen im Netz mit bevorzugten Informationen gefüttert werden und auf die Dauer nur die eigenen Gedanken zurück geworfen werden. So entsteht eine soziale Blase oder filter bubble, die das Leben im Netz schnell langweilig werden lässt.
Das größere Problem mit der Identität im Netz, ist laut Meckel jedoch, dass sie verfälscht oder reduziert ist. Das liegt daran, dass Identität im Netz als Produkt oder Ware verstanden würde. In ihrem Buch „Die Vernetzung der Welt“ beschreiben Googles Eric Schmidt und Jared Cohen digitale Identität als „most valuable commodity„. Sie ist ein handelbares Gut und natürlich will jeder das beste Produkt haben. Das Internet wird somit laut Meckel zum „Markt der Inszenierungsoptionen„. Jeder versucht den Wettbewerb der besten Identität zu gewinnen und führt regelmäßig digitale „Ego-Updates“ durch. Ist man kein Marktführer, hilft nur Selbstoptimierung um online schönere Bilder von sich zu präsentieren. Bei der Selbstüberwachung des Körpers hilft zum Beispiel das Schritte und Kalorien zählende Nike Fuel Band oder ein Mini-Computer im Backenzahn, der uns sagt was wir essen sollen. Anstatt verschiedene Aspekte unserer Identität – vielleicht auch die schwachen, unausgereiften – im Netz zu zeigen zwingt uns der Identitätsmarkt der perfekten Persönlichkeiten uns als digitale Übermenschen zu präsentieren. Im Internet ist somit kein Platz für volatile Identitäten, für menschliche Schwäche, für Individualität und Eigensinn. Was wir sehen ist für Meckel nur eine vermeintlich unfehlbare polierte Oberfläche.
Identität im Netz wirft gesellschaftliche Fragen auf
Manchmal hilft es sich daran zu erinnern, das der Mensch nicht perfekt ist, sagt Meckel. Erst diese Unperfektheit macht ein interessantes soziales Miteinander möglich. Identität im Netz ist nicht eine Ganzheit unserer Selbst; das kann sie gar nicht denn Identität bedeutet Vielfalt. Auf Mark Zuckerbergs Aussage, dass mehr als eine Identität ein Mangel an Integrität ist, zitiert sie den amerikanischen Dichter Walt Whitman: „Do I contradict myself? Very well then I contradict myself, I am large, I contain multitudes„. Identität ist Vielfalt, sie ist nicht vermarktbar, verhandelbar, sie muss nicht optimiert sein, sie ist volatil.
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Identität im Netz wirft andere Fragen auf: Kann man sich im Netz noch frei bewegen wenn jeder Klick die persönliche (und einsehbare) Datenspur vergrößert? Wer frei seine Meinung äußert, ist angreif- und verwundbar. Tut man dies im Internet bleibt diese Meinung, die sich vielleicht später ändert, für immer gespeichert und abrufbar. Wenn kontroverse Standpunkte online aus Angst vor Kritik nicht vertreten sind und der Mensch sich aus Gruppenzwang nur von seiner besten Seite zeigt: wie viel hat der Mensch, der ich im Internet bin dann noch mit mir gemeinsam?
Natürlich gibt es auch Ausnahmen: Menschen, die unter verschiedenen Pseudonymen oder vielleicht auch ihrem richtigen Namen alle Nuancen ihrer Persönlichkeit im Netz ausleben. Auch muss man zwischen öffentlicher Identität im Netz wie dem Facebook- oder Twitter-Profil und privaten Nachrichten unter Freunden unterscheiden. Das Internet ist längst kein separater Raum mehr, sondern eine Realität unseres Alltags in dem Online- und Offline-Identität zunehmend miteinander verschmilzt. Jedenfalls gilt das für private Nachrichten unter Freunden. Auch sei dahin gestellt, ob wir bereit sind, uns offline sofort mit unseren ganzen Schwächen der Öffentlichkeit zu stellen. Vielleicht sind Internet und analoge Welt gar nicht so verschieden, sondern das Internet bietet nur bessere Möglichkeiten uns von unserer Schokoladenseite zu präsentieren.
Teaser & Image by Ivar Veermäe/Berliner Festspiele
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Schlagwörter: berlin, Identität, Internet, konferenz, Miriam Meckel, Netzkultur
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